Großverbraucher müssen die Netzgebühr nicht überweisen. Gericht verhandelt heute Klagen. Die wichtigsten Fragen und Antworten lesen Sie hier.

Hamburg. Der Strompreis wird 2013 weiter steigen - nicht nur wegen der Förderumlage für erneuerbare Energien, sondern auch wegen deutlich höherer Netzkosten. Aber nicht alle müssen zahlen. Heute berät das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf über Klagen regionaler Netzbetreiber gegen die umstrittene Netzentgeltbefreiungen für die Industrie. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wer wird auf welcher Grundlage von Netzentgelten befreit?

Die Stromnetzentgeltverordnung vom August 2011 befreit in Paragraf 19 Unternehmen mit einem hohen Verbrauch fast komplett von den Netzgebühren - und das rückwirkend schon für das vergangene Jahr. Mehr als 200 Unternehmen, die mindestens 7000 Stunden pro Jahr am Netz hängen und mehr als zehn Millionen Kilowattstunden Strom verbrauchen, müssen keine Netzentgelte mehr zahlen. Das sind Unternehmen der Chemie-, Baustoff- und Stahlindustrie. Dazu zählt unter anderem in Hamburg Europas größte Kupferhütte Aurubis. Bereits ab einem Stromverbrauch von 100 000 Kilowattstunden pro Jahr sinken die Netzkosten deutlich - insgesamt für Tausende Unternehmen.

Wie hoch sind die Kosten und wer zahlt?

Die Entlastung der Industrie bei den Netzentgelten für 2012 schätzt die Bundesnetzagentur auf 440 Millionen Euro, 2011 sollen es mehr als 400 Millionen Euro gewesen sein. Im kommenden Jahr spart die Industrie voraussichtlich mehr als 805 Millionen Euro Netzkosten. Das geht aus einer aktuellen Erklärung der vier Übertragungsnetzbetreiber Amprion, Tennet, 50Hertz und Transnet BW hervor. Übernehmen müssen diese Mindereinnahmen der Netzbetreiber letztlich die Verbraucher. Das Netzentgelt ist dabei ein wichtiger Bestandteil des Strompreises: Laut Bundesnetzagentur macht es rund ein Fünftel des Preises aus.

Steht der Strompreis nicht ohnehin durch die EEG-Umlage unter Druck?

In der Tat steigt die EEG-Umlage zum nächsten Jahr von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde - für den Durchschnittshaushalt eine Mehrbelastung von rund 60 Euro im Jahr. Auch bei der EEG-Umlage gibt es umfassende Ausnahmen für stromintensive Betriebe. Sie müssen nur 0,05 statt jetzt noch 3,6 Cent pro Kilowattstunde Umlage zahlen. 2012 profitieren nach Angaben des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle rund 700 Betriebe von diesen Teilbefreiungen, für 2013 haben schon mehr als 2000 Betriebe entsprechende Anträge gestellt.

Wie werden die hohen Netzkosten und Netzentgeltausnahmen begründet?

Die Regierung verweist darauf, dass gerade die Großabnehmer das Stromnetz stabil halten. Stabile Netze seien aber für ein Gelingen der Energiewende zentral. Außerdem dürfe die Industrie mit der Energiewende nicht überfordert werden. Schließlich zahlt die deutsche Industrie bereits rund doppelt so viel für den Strom wie in den USA. Die Netzbetreiber betonen ihre hohen Zusatzkosten für die Energiewende. Der zusätzliche Wind- und Sonnenstrom - regional ungleich verteilt und zeitlich unregelmäßig produziert - stelle die Netze vor Riesenherausforderungen: Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft beziffert das Investitionsvolumen bis 2020 auf bis zu 27 Milliarden Euro.

Warum regen sich die regionalen Netzbetreiber auf?

Stadtwerke, die regional über ihre Netzgesellschaften den Strom zum Verbraucher bringen, fürchten den Zorn der Endkunden, wenn sie die Millionennachlässe für die Industrie mit höheren Strompreisen ausgleichen müssen - selbst wenn dies nach einer gewissen Schamfrist, also nicht gleich zum Jahreswechsel, passiert. Deshalb klagen auch zwei regionale Netzbetreiber beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf.

Was spricht gegen die Befreiung?

Die Nachlässe stellten eine unerlaubte Beihilfe nach EU-Recht dar, und sie verfälschten den Wettbewerb für die Unternehmen, die knapp unter der Verbrauchsschwelle liegen und keinen Nachlass bekommen, so die Kritiker.

Was sagen die Verbraucherschützer?

Die weisen das Argument der angeblichen oder tatsächlichen Netz stabilisierenden Wirkung der Großverbraucher als "völlig wirklichkeitsfremd" zurück. Die Kosten für die Ausnahmen würden die Verbraucher noch viel teurer zu stehen kommen als bisher erwartet, warnt etwa Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher. Der Bund der Energieverbraucher rät zum Anbieterwechsel und zur Zahlungsverweigerung bei Preiserhöhungen. Einseitige Erhöhungen seien vielfach nur rechtens, wenn zugleich von den Unternehmen ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt wurde. Und selbst wenn ein solches Recht zugesichert werde, müsse der Stromlieferant vor der Preiserhöhung alle preisbildenden Faktoren abklopfen, ob er die erhöhte Umlage nicht selbst auffangen könne, betont der Bund der Energieverbraucher. Solange es keinen Nachweis für diese Billigkeitsprüfung gebe, könnten Kunden zunächst den alten Preis weiterzahlen. Ihnen dürfe vom Versorger der Strom nicht abgestellt werden.