Ob bei den Häfen oder in der Energiewirtschaft: Die norddeutschen Länder kämpfen zu oft um eigene Interessen, anstatt Kräfte zu bündeln.

Hamburg. Elfeinhalb Jahre hat es gedauert. Im März 2001 starteten Niedersachsen, Bremen und Hamburg die Planung eines neuen Containerhafens in Wilhelmshaven. Der erste und einzige deutsche Tiefwasserhafen sollte es werden, ein Terminal, das Frachtschiffe unabhängig von den Gezeiten mit einem Tiefgang von bis zu 18 Metern anlaufen können. Am Freitag wurde das Großprojekt eingeweiht, nach vielen Querelen, Pannen und Verzögerungen.

Für Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU), der um seine Wiederwahl im Frühjahr 2013 fürchten muss, ist der JadeWeserPort ein Prestigeprojekt ersten Ranges. Der Hafen bringt neue, dringend nötige Arbeitsplätze in die extrem strukturschwache Region um Wilhelmshaven. "Wir müssen aufhören, den neuen Tiefwasserhafen schlechtzureden. Diese Miesepeterei ist mir in den letzten Wochen ziemlich gegen den Strich gegangen", sagte der Politiker vor der Eröffnung ungewohnt aufgebracht.

Denn der JadeWeserPort ist nicht nur ein weiteres Beispiel dafür, wie der Zeitaufwand und die Kosten für ein großes Infrastrukturprojekt aus dem Ruder laufen können. Der Hafen steht auch als Symbol für schlechte Nachbarschaft und mangelnde Kooperation zwischen den Bundesländern im Norden. Zwischen Bremen und Niedersachsen gab es 2010 heftigen Streit um die weitere Verschiebung des Betriebsbeginns. Vor allem aus Hamburg aber kam hinter vorgehaltener Hand immer wieder Häme und Kritik am JadeWeserPort. Die Hansestadt hatte sich schon 2002 aus dem Projekt verabschiedet, um die finanziellen Mittel auf den Ausbau des eigenen Hafens zu konzentrieren. Seither wird der Bedarf des neuen Terminals an der Nordseeküste in der Hamburger Politik und Hafenwirtschaft wenn nicht komplett bezweifelt, so doch möglichst kleingeredet. Als die Realisierungsgesellschaft des JadeWeserPorts im Frühjahr eine weitere Verzögerung melden musste, weil massive Baumängel in der Spundwand unter der Kaimauer zu Tage traten, war die Schadenfreude an der Elbe groß.

Es läuft nicht rund im Norden, und gerade Hamburg präsentiert sich dabei in schlechter Form. In Husum geht heute die diesjährige Windkraftmesse Husum Wind Energy zu Ende, die weltweite Leitmesse der aufstrebenden Industrie. Die Husumer Messegesellschaft verzeichnete eine Rekordbeteiligung von 1171 Ausstellern. Rund 36 000 Besucher kamen an die Nordseeküste. "Weltweit gab es noch nie eine Windmesse mit dieser Zahl an Ausstellern", sagt Messechef Peter Becker. Für die Kleinstadt zwischen Hamburg und Sylt ist die Windmesse das wichtigstes wirtschaftliche Großereignis. Es findet alle zwei Jahre statt. Wie lange noch, ist indes völlig offen - denn auch Hamburg will Austragungsort der Messe werden. Nach vielen letztlich gescheiterten Gesprächen geht die Betreibergesellschaft Hamburg Messe und Congress in die Offensive. Zeitgleich mit Husum wollen die Hamburger im September 2014 ihre eigene Windmesse veranstalten.

Die öffentliche Wirkung, die sich daraus ergibt, ist fatal. Eigentlich müssten die Aussteller der Windmesse mit ihren Anmeldungen die Entscheidung über den künftigen Standort herbeiführen. Die Unternehmen der Windkraftwirtschaft aber sind in dieser Frage völlig uneins. Sowohl Husum als auch Hamburg haben für 2014 bereits Anmeldungen von Ausstellern akquiriert. In der Branche zirkuliert ein bunter Mix aus Vorschlägen. "Man sollte zwei Messen für die Windkraftbranche organisieren: eine vornehmlich für Investoren in Hamburg, und eine technikorientierte in Husum", sagt Willi Balz, Inhaber des führenden deutschen Windparkentwicklers Windreich. "Es schmerzt mich zu sehen, wie der Standort Husum mit der Windmesse derzeit unter Druck gerät, nachdem Husum für die Windkraftbranche mehr als zwei Jahrzehnte lang so viel getan hat."

Es gibt wirtschaftliche und politische Kooperation im Norden. Aber die scheint sich nur auf jene Projekte zu konzentrieren, die für alle Anlieger unverzichtbar sind. Der geplanten Elbvertiefung und -verbreiterung stimmte nach jahrelangen Verhandlungen über Ausgleichsmaßnahmen am Ende auch Niedersachsen zu. Für Hamburgs Hafen ist die Erweiterung des Seezugangs lebenswichtig. Der Landtag von Schleswig-Holstein hatte das Projekt bereits frühzeitig genehmigt - worüber sich in Kiel wegen des Streits um die Windmesse heutzutage viele ärgern. "Ich möchte die Landesregierung jetzt endlich einmal kämpfen sehen", kritisiert Jost de Jager, CDU-Vorsitzender von Schleswig-Holstein und dort früher Wirtschaftsminister, die Regierung von Ministerpräsident Torsten Albig (SPD).

Der Streit um die Windmesse ist ein hoch politischer Konflikt, zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein wie auch innerhalb der Länder. Kiel zog am Donnerstag die Genehmigung für Hamburg zurück, 600 000 Tonnen Schlick nach der Ausbaggerung aus dem Hafen in der Nordsee vor Helgoland verklappen zu dürfen. Für Anjes Tjarks, Mitglied der Grünen-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, ist das die Antwort auf Hamburgs Attacken gegen Husum: "Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass die Kieler Landesregierung beim Elbschlick jetzt wieder Beratungsbedarf sieht, nachdem die Hamburger Messegesellschaft in Husum Plakate mit dem Slogan ,See you in Hamburg' aufgestellt hat", sagt er. "Die Messegesellschaft ist zwar sofort zurückgerudert und hat die Plakate überklebt. Der entstandene Flurschaden für die norddeutsche Kooperation bleibt allerdings immens." Er appelliere an Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos), "zu einer kooperativen Linie im Verhältnis mit Kiel zurückzukehren".

Hamburg profitiert von der Sogwirkung seiner erfolgreichen und schlagkräftigen Wirtschaft. Der Standort ist so attraktiv wie seit Jahrzehnten nicht. Zuletzt ist es gelungen, zahlreiche Unternehmen aus der Windkraftindustrie wie etwa Siemens an die Elbe zu holen. Daraus leitet die Hamburg Messe ihre Motivation ab, Standort der Leitmesse sein zu wollen. Die Hansestadt wächst und gedeiht. Und doch wirkt jede einzelne Entscheidung über eine Firmenansiedlung im Wettbewerb vor allem mit Schleswig-Holstein wie Sieg oder Niederlage in einem finalen Schicksalskampf. Dass die Beiersdorf-Tochter Tesa ihren Sitz aus Hamburg nach Norderstedt verlegen will, gilt in Hamburg als schwerer Schlag. Umgekehrt war der Jubel groß, als der Windturbinenhersteller Nordex 2010 von Norderstedt 800 Meter weit nach Hamburg zog.

Die wirtschaftliche Koexistenz von Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein wirkt in jüngerer Zeit vor allem wie eine Geschichte von kleinlichem Gezerre und verbissener Drängelei. Etwas Großes hat die norddeutsche Troika schon lange nicht mehr auf die Beine gestellt. Die schlechte Tradition scheint sich zu verfestigen. Schon Anfang der 1980er-Jahre war nach Jahrzehnten der Planung und Diskussion das Projekt eines Großflughafens in Kaltenkirchen nördlich von Hamburg geplatzt. Immerhin: Dafür hat Hamburgs Airport Fuhlsbüttel mittlerweile einen eigenen S-Bahn-Anschluss.