Ein Markt in Bramfeld. Manche sind jede Woche da. Sie wissen, was sie wollen. Aber wie heißt der Artikel? Hier gibt's 60 000 “Nupsis“

Mirco Peters, 22, blickt sich verstohlen um: "Rentner sind wahrscheinlich die kompliziertesten Kunden", sagt er. "Sie haben häufig keine Zeit, fragen viel, aber oft wissen sie die Antworten selbst und meistens alles besser. Da hilft nur freundlich sein, lächeln, Luft anhalten."

Der selbstbewusste junge Mann arbeitet als "Navi-Max" im Max-Bahr-Baumarkt in Bramfeld. Mirco Peters "gibt die Richtung an", für die Kunden, die sich auf den 14 000 Quadratmetern Verkaufsfläche zwischen über 60 000 Artikeln nicht verloren vorkommen sollen. Das heißt auch, dass er sich nicht nur im Markt selbst verdammt gut auskennen muss. Sondern er sollte auch die Grundbegriffe der vielen verschiedenen Gewerke parat haben - und vielleicht auch detektivisches Gespür entwickeln: "Häufig wissen die Kunden zwar, was sie wollen, aber sie wissen nicht, wie der Artikel heißt oder wie sie ihn beschreiben sollen", sagt Mirco Peters. Das sei ungefähr vergleichbar mit einem Plattenverkäufer, dem die Leute Songs vorsingen, weil sie weder den Titel noch den Interpreten kennen.

So erfreuen sich die Begriffe "Nupsi" (Steckhalter für Regalböden) mit dem Zusatz "irgendsoein" sowie "Doppelnippel" (kann so gut wie alles heißen) größter Beliebtheit; seltener fällt der Begriff "Pinökel" (damit sind häufig Haken und Ösen gemeint). Aber der Knaller, meint Mirco, sei die Frage, ob er "Filzfüße" habe. Natürlich nicht, würde er dann für gewöhnlich antworten und die Kunden zum Regal mit den Filzgleitern führen, die man unter Sitzmöbel klebt oder nagelt, um empfindliche Böden vor Kratzern zu schützen. Doch beim Begriff "Dackelfüße" habe er neulich passen müssen: "Inzwischen weiß ich, dass es sich um Abstandshalter für Bad-Armaturen handelt."

Mirco Peters hat nach seiner Ausbildung an der Kasse angefangen. "Aber dieser Job macht entschieden mehr Spaß", meint er und blickt zu seiner Kollegin Victoria Kariuki, einer gebürtigen Kenianerin. Die schlanke Frau wuchtet gerade einen 25 Liter Farbeimer über den Scanner. Sie arbeitet seit einem Jahr an der Kasse und wirkt durchtrainiert. "An manchen Tagen bewegst du Tonnen, da brauchst du keinen Fitnessklub mehr", sagt sie und lächelt.

Der "Navi-Max" ist neben dem "Pack-an-Max" Teil des neuen Servicekonzepts der Hamburger Baumarkt-Kette, das sich zurzeit in der Testphase befindet. "Über den Preis allein gewinnt man in der Branche keine Neukunden mehr dazu, sagt Unternehmenssprecherin Simone Naujocks.

Es ist ein grauer Sonnabendvormittag im September, eigentlich der klassische Großkampftag für die rund 70 Angestellten, die hier im drittgrößten aller 78 Max-Bahr-Baumärkte arbeiten. Er liegt unweit der Stelle, wo ein gewisser Johann Jacob Heinrich Bahr an der Ecke Bramfelder Chaussee/Herthastraße 1879 mit einem Handwerksbetrieb den Grundstein für die spätere Kette legte.

Gleichzeitig ist es auch die umsatzstärkste Filiale des alteingesessenen Hamburger Unternehmens, das seit 2007 gemeinsam mit Praktiker die bundesweit drittgrößte Baumarktkette repräsentiert, die sich in einem harten Verdrängungswettbewerb behaupten muss.

"Leider fängt es an zu regnen, und das heißt: Wir haben kein Baumarktwetter", sagt Marktleiter, Uwe Wolff, 45, der diesen Job seit gut sieben Jahren macht. "Aber nachher soll ja die Sonne rauskommen, und dann brummt es wieder." Hofft er jedenfalls. Denn die Umsatzziele sind ehrgeizig.

Damals, nach der Wende, als man mit den Mitbewerbern Obi, Bauhaus, Hornbach & Co. in den wilden Osten zog und die Waren - vor allem Baumaterialien, Fenster, Türen und Schiebetüren - häufig nicht mal mehr die Regale erreichten, sondern gleich vom Lastwagen verkauft werden mussten, herrschte Goldgräberstimmung. Heute, 23 Jahre später, herrscht die aufs ganze Land gesehen, immer noch, zumindest mit Abstrichen. 2010 war ein schlechtes Jahr. "An kaum einer Branche lässt sich der Gesamtzustand eines Landes besser ablesen", sagt Simone Naujocks. "Je weniger Geld die Menschen im Portemonnaie haben, desto häufiger besuchen sie eine 'Männerboutique'."

Wobei sie sofort einschränkend hinzufügt: "Das ist vielleicht die hübscheste Umschreibung für einen Baumarkt, aber faktisch gesehen falsch und überholt. Inzwischen sind fast die Hälfte unserer Kunden Frauen." Und es sei auch keineswegs so, dass die sich bloß in der Gartenabteilung tummeln, um Dekoratives für den Balkon oder die Terrasse zu erstehen.

Selbst ist die Frau: Auch der Branchenführer Obi zielt zurzeit mit seinen Werbebroschüren auf diese Zielgruppe und scheut sich nicht, zarte, junge Heimwerkerinnen mit einem martialisch wirkenden Bohrhammer abzubilden. Die wachsende Zahl der Heimwerkerinnen liege nicht nur in der Emanzipation begründet oder an der Tatsache, dass der Anteil weiblicher Singles in der Bevölkerung steige, meint Simone Naujocks. Sie kennt berufsbedingt durch eine Vielzahl von Erhebungen so gut wie jedes Verhaltensmuster ihrer Kundschaft. Nichts sei schließlich so gut erforscht wie der Verbraucher.

"Auch die Industrie hat sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt", sagt Uwe Wolff, "vor ein paar Jahren musste beispielsweise Laminat noch geklebt werden. Heute werden die Elemente aneinandergeklickt, sodass ein eventueller Fehler rasch wieder behoben werden kann." Da trauten sich auch Menschen mit zwei linken Händen dran..." Damit meine er selbstverständlich nicht, dass Frauen überproportional häufig zu den Ahnungslosen gezählt würden. "Im Gegenteil, Frauen haben öfter einen Plan. Und häufig schicken sie einfach ihre Männer los."

So wie Karlheinz Klaus, der sich in die Warteschlange vor der Kasse eingereiht hat und sich schwergewichtig an seinem Einkaufswagen abstützt und an der Kasse wartet. Ja, er sei Stammkunde. "Ich komme beinahe jeden Sonnabend hierher", sagt er.

Er ist der Bandschleifer-, Zementmischer- oder Kettensägentyp, doch heute hat er lediglich gelbe Chrysanthemen für die Terrasse und Alpenveilchen gekauft, für den Mauervorsprung, an dem der Briefkasten hängt. "Im Auftrag meiner Regierung", sagt er, "und dann sagte meine Frau noch, ich solle mich heute mal auf die Blumen beschränken." Tatsächlich besitze er einen Bandschleifer und eine Kettensäge, im Grunde einen viel zu großen Werkzeugpark, aber "irgendwas fehlt ja immer".

Claudia Breuch, eine junge Grundschullehrerin, die mit ihrem einjährigen Sohn Manuel im Kinderwagen und einem neuen Werkzeugkoffer in der linken Hand bereits seit mehreren Minuten nach dem richtigen Bohrer sucht, greift zum Mobiltelefon, um ihren Mann Christian, ebenfalls Lehrer, anzurufen, der sich zur gleichen Zeit in der "Gartenoase" nach einem Gartentrampolin umschaut. "Brauchen wir 'nen Sechser oder einen Achter?", fragt sie - und greift nach einem kurzen Wortwechsel zum Holzbohrer der Stärke 8. "Wir haben gerade ein Haus gekauft, aber wir müssen vieles selber machen. Nur mit Handwerkern zu renovieren, das kann doch niemand bezahlen!", erzählt sie. "Die Garage haben wir zum Arbeitszimmer umfunktioniert. Das Tor haben wir rausnehmen lassen, dann kam der Maurer, tapeziert haben meine Eltern, und gestrichen haben wir." Auf dem Plan stehe noch die Verlegung eines Korkfußbodens sowie die Montage des Treppengeländers.

Insgesamt habe sich die Einstellung der Menschen zum Handwerk geändert, analysiert die Unternehmenssprecherin. "Für viele ist Heimwerken nach wie vor ein Hobby. Sie wollen Spaß haben, sich entspannen und Erfolge erzielen. Andere haben kein Vertrauen mehr zum Handwerk. Die sagen dann: 'Das ist so teuer, ich mach das lieber selbst, dann weiß ich wenigstens, dass es klappt. Und wenn es nicht klappt, dann weiß ich wenigstens, über wen ich mich ärgern muss.'"

Das meint auch Nuri Bedir, der vor 43 Jahren in Hamburg geboren wurde. Der Türke ist Betonfahrer, hat also einen gewissen Bezug zum Bau. Mit seinem Cousin schiebt er 400 Kilo Zement und einen 50-Kilo-Sack Spachtel ächzend in Richtung Kasse. "Wir wollen unsere Drei-Zimmer-Wohnung komplett sanieren. Dabei hilft die ganze Familie", erzählt er. "Wir bereiten alles für die Handwerker vor, fix und fertig. Dann macht der Klempner die Heizungen rein und der Elektriker die neuen Leitungen, und dann kommt der Fliesenleger fürs Bad und für die Küche, und den Rest erledigen wir wieder selbst." Anders könne man das doch gar nicht bezahlen. Und den Zementmischer könne man leihen.

Wer in einem Baumarkt erst einmal angefixt vor den Regalen steht, der denkt zumeist im Konjunktiv. Das könnte ich vielleicht/wahrscheinlich/sicherlich irgendwann einmal brauchen, lautet die These - und schon fallen einem im selben Moment viele Dinge ein, die man daheim noch nicht verschraubt, gedrechselt, abgeschliffen oder gebaut hat. "Das ist wie ein Automatismus", sagt Thomas Ulrich, 42, Speditionskaufmann aus Hohenfelde, der offen zugibt, ein Werkzeugjunkie zu sein. Für sein freimütiges Geständnis kassiert er einen spöttischen Seitenblick seiner Frau Ulrike, 38, die ihn in die Abteilung für Holzwerkzeuge begleitet hat. Ein ganz spezieller Holzspatel soll es sein, einer würde sogar reichen, aber sicher ist sicher und so packt er doch den ganzen Satz ein. Dieses Virus habe ihn vor vier Jahren gepackt, mit dem Kauf ihrer Doppelhaushälfte. Sie wollten fast alles selbst machen, und wenn ihnen ein Spezialwerkzeug fehlte, gab es stets einen hilfsbereiten Nachbarn, der das Gerät oder das Zubehör besaß. "Zum 40. Geburtstag schenkten mir die Nachbarn dann alle Werkzeuge, die ich mir bis dahin von ihnen ausgeborgt hatte. Aber ich bin immer noch nicht richtig ausgestattet ..."

Seine Frau hakt ihn unter. Sie möchte jetzt in die "Gartenoase" und sich nach Sonderangeboten umschauen. "Gartenmöbel kauft man schließlich zum Winter hin", meint Ulrike Ulrich resolut. Dann hält sie kurz inne und seufzt. "Sie sollten sich jetzt mal unseren Keller ansehen, der ist vollgestopft wie ein kleiner Baumarkt. Aber dafür guckt Thomas jetzt weniger Fußball."