Vor 125 Jahren wollte das britische Empire vor minderwertigen Produkten aus Deutschland warnen und erfand die bekannte Kennzeichnung.

Der Beginn der Kennzeichnung "Made in Germany" war alles andere als rühmlich. Denn mit diesem Siegel wollten Produzenten und Händler im Britischen Empire die Billigimporte aus dem deutschen Kaiserreich brandmarken. Im August 1887, also vor gut 125 Jahren, trat schließlich der "Merchandise Marks Act" in Kraft. Nach dieser Vorschrift mussten alle ins Vereinigte Königreich importierten Waren eine unmissverständliche Kennzeichnung des Herkunftslandes tragen. Die Furcht vor einer Billig-Konkurrenz, die damit verbundene Angst, eigene Marktchancen und Arbeitsplätze zu verlieren - das ist in der Geschichte immer wieder zu beobachten.

Doch der Schuss ging damals für die Briten nach hinten los: Statt die eigene Wirtschaft zu schützen, entwickelte sich das als Makel gedachte Zeichen sogar zu einem beispiellosen Qualitätsmerkmal. Die einstige Fehleinschätzung der Engländer begründete so ungewollt Deutschlands Aufstieg zur Exportnation.

+++ Vom "Buh"-Label zum Erfolgs-Siegel +++

Vor allem die Stahlproduzenten in der Metropole Sheffield hatten sich über minderwertige Nachahmerprodukte aus deutschen Werkstätten beklagt: Die britischen Messer, Sägen und Feilen waren aus teurem Gussstahl und weltweit eigentlich konkurrenzlos. Plagiate wurden dagegen aus Gusseisen hergestellt, waren nicht handgemacht und speziell gehärtet, sondern maschinell gefertigt. Auf den ersten Blick sahen sie jedoch genauso aus wie die Originale, und der günstigere Preis ließ Kunden gern auf die nachgemachten Metallwaren zugreifen. Sogar der Schriftzug "Sheffield made" wurde im 19. Jahrhundert imitiert. Experten bezeichneten die kopierte Ware zwar als "billig und schlecht", aber gerade aus Deutschland gelangten in der Folgezeit immer mehr Produkte auf den Markt der führenden Weltmacht Großbritannien.

Die Wirtschaft auf dem europäischen Kontinent gilt in den 1880er-Jahren gegenüber dem Empire als rückständig, denn die deutschen Hersteller können wegen fehlenden Kapitals und mangelnden Know-hows tatsächlich noch keine Produkte vergleichbarer Qualität liefern. Dennoch fürchten die britischen Stahlfabrikanten um ihren guten Ruf und den Verlust ihrer Vormachtstellung. Verzweifelt wenden sie sich deshalb an die Regierung in London und fordern Schutzzölle. Aber der Binnenmarkt im weltumspannenden Empire soll offen bleiben.

+++ Gütesiegel „Made in Germany" +++

Deshalb beschließt das britische Unterhaus 1887 eine Herkunftskennzeichnung zur Identifizierung aller ausländischen Waren. Das Urheberland muss mit den Worten "Made in ..." eindeutig zugeordnet werden, das Siegel soll vor Fälschungen warnen und den Kauf heimischer Produkte fördern.

Aber bereits innerhalb weniger Jahre zeigt sich: Mit dem Beschluss hat das Parlament ein Eigentor geschossen. Konsumenten auf der Insel entdecken, dass neben Eisenwaren ebenso Alltagsgegenstände wie Bekleidung, Porzellan, Bestecke und Bleistifte aus Deutschland stammen - und das in erstaunlich guter Qualität. Produzenten im Kaiserreich hatten nämlich schnell gelernt, niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten als Wettbewerbsvorteil gegenüber Großbritannien zu nutzen. Dieselben Vorteile, die zum Beispiel das aufstrebende China heute gezielt einsetzt.

Der rasche Wandel vor mehr als 100 Jahren offenbart sich auch am Volumen der Ausfuhren. "Der deutsche Export von Fertigwaren nach England hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Vergleich zu den 1880er-Jahren mehr als verdoppelt", stellt Wirtschaftshistoriker Richard Tilly fest. Schon 1896 erkennt der britische Journalist E. E. Williams: "Am meisten gegen eine Kennzeichnung spricht, dass sie als kostenfreie Empfehlung der deutschen Waren wirkt."

Selbst der Ausbruch des Ersten Weltkriegs kann den Vormarsch der Produkte aus Germany nur kurz bremsen, obgleich die Londoner Regierung vom Kauf der Erzeugnisse des Kriegsgegners abrät. Während des Zweiten Weltkriegs werden deutsche Güter ebenfalls boykottiert.

+++ So urteilen die Richter +++

Doch der Schaden bleibt begrenzt, in den folgenden Wirtschaftswunderjahren der Bundesrepublik wird "Made in Germany" endgültig zum Qualitätsstandard. Autos von Volkswagen und Mercedes, Maschinen von Siemens und Miele bürgen weltweit für deutsche Wertarbeit - langlebig, robust, zuverlässig und technisch ausgereift. Auch die DDR will lange nicht auf die Vorteile des bekannten Schriftzugs verzichten und gibt sich gesamtdeutsch. Erst nach einer Ministerratsverordnung vom 7. Mai 1970 müssen Exportprodukte mit einem "Made in GDR" gekennzeichnet werden. "Wir empfanden das damals regelrecht als geschäftsschädigend", sagt Günter Wiegand, heute Geschäftsführer der Glashütte Uhrenbetrieb GmbH.

Obwohl die Waren- und Herkunftsbezeichnung von keiner Institution offiziell vergeben wird, will sich die deutsche Wirtschaft bis heute unter keinen Umständen vom Label "Made in Germany" verabschieden. Als 2004 der EU-Außenhandelskommissar Pascal Lamy erwägt, die europäischen Länderkennungen durch ein "Made in EU" zu ersetzen, laufen deutsche Unternehmen, unterstützt von Regierung und Opposition, dagegen Sturm. Die Idee wird ebenso schnell ad acta gelegt wie erneute EU-Pläne aus diesem Jahr. Brüssel hatte einheitliche Regelungen für Herkunftsbezeichnungen angemahnt, allerdings nur für importierte Waren von außerhalb der EU.

Wenngleich ein Großteil deutscher Spitzenprodukte inzwischen in Fernost oder Osteuropa gefertigt wird, dürfen die Erzeugnisse die Bezeichnung "Made in Germany" tragen, sofern der Zusammenbau oder die maßgebliche Veredelung des Produkts in Deutschland erfolgt. Das nutzt beispielsweise Porsche mit der Endmontage von Fahrzeugen in Leipzig: Das Blech kommt aus der Slowakei, die Sitze aus den USA und das Getriebe aus Japan. Die Mehrkosten der deutschen Endfertigung in Höhe von einigen Hundert Euro pro Auto werden in Kauf genommen, um das Qualitätssiegel behalten zu dürfen und die Premiumpreise nicht zu gefährden. In einer globalisierten Welt vertrauen andere Hersteller auf ihren starken Markennamen und verwenden Hinweise wie "Made by Mercedes-Benz", "Made by BMW" oder "Made by Audi". Dabei ist die Assoziation zu "Made in Germany" durchaus beabsichtigt.

Ihren Titel als Exportweltmeister verlor die Bundesrepublik im Jahr 2009 an China, 2010 wurde sie auch noch von den Amerikanern überholt. Mit 8,4 Prozent verbuchten die Vereinigten Staaten gleichfalls im vergangenen Jahr einen geringfügig höheren Anteil an den weltweiten Ausfuhren als Deutschland, das auf 8,3 Prozent kam. China führt die Rangliste mit 10,7 Prozent an. Der Euro-Krise zum Trotz sollen deutsche Exporte dieses Jahr um rund sechs Prozent zulegen.

Wie abhängig die deutsche Wirtschaft von ihren Ausfuhren ist, zeigt die Statistik. Bei Exportweltmeister China beträgt der Anteil des Exports rund 26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), in den USA sind es nur rund zehn Prozent. In Deutschland hingegen liegt der Exportanteil bei gut 50 Prozent des BIP. Dabei setzen hiesige Firmen - nicht zuletzt dank der Briten - weiterhin auf die Marke "Made in Germany".