Die deutsche Wirtschaft ist in Feierlaune. Doch Ökonomen warnen vor Euphorie: Der Aufschwung basiere noch nicht auf nachhaltigem Wachstum.

Hamburg. Die deutsche Wirtschaft ist bester Stimmung. Wenn es nach den jüngsten Anzeichen geht, wird der Aufschwung in diesem Jahr sogar noch deutlich kräftiger ausfallen als von Experten erwartet. Selbst das Konsumklima hellt sich spürbar auf: Der entsprechende Index steigt nach Angaben des Nürnberger Marktforschungsinstituts GfK von 3,6 Punkten im Juli auf voraussichtlich 3,9 Punkte im August.

Am Freitag hatte schon der Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts um 4,4 auf 106,2 Punkte zugelegt, so stark wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hält inzwischen ein Wirtschaftswachstum in Deutschland von mindestens zwei Prozent für möglich, während die offizielle Wachstumsprognose der Bundesregierung für 2010 bisher noch bei 1,4 Prozent liegt.

Angesichts der vielen guten Nachrichten ist der Kurs des Euro gestern zeitweise auf den höchsten Stand seit elf Wochen gestiegen, in der Spitze notierte die Gemeinschaftswährung bei 1,3045 Dollar.

Zwar sorgen nach Einschätzung des GfK-Experten Rolf Bürkl nicht zuletzt auch der Hochsommer und die Fußball-Weltmeisterschaft bei den Menschen für gute Laune. "Doch die ist nicht völlig aus der Luft gegriffen", sagte Bürkl und verwies auf die erfreuliche Entwicklung am Arbeitsmarkt - Ökonomen erwarten für den Herbst weniger als drei Millionen Arbeitslose - und die weiter niedrige Inflationsrate. Entsprechend war der GfK-Teilindex für die Konjunkturerwartung auf den höchsten Wert seit Oktober 2007 hochgeschnellt.

Lediglich die Bereitschaft, größere Anschaffungen zu tätigen, nahm etwas ab, nachdem im Vormonat wegen der Fußball-WM mehr Geld unter anderem für Flachbild-Fernseher ausgegeben wurde. Minister Brüderle rechnet nun jedenfalls damit, "dass Kauflaune und Konsum im Verlauf dieses Jahres weiter zunehmen und positiv zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beitragen".

Doch nicht alle Fachleute mögen in den Jubel einstimmen. "Die Stimmungslage ist besser als die reale Situation", sagte Michael Bräuninger, Konjunkturchef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), dem Abendblatt mit Blick auf den privaten Konsum, der sich im bisherigen Jahresverlauf relativ schwach gezeigt habe.

Andreas Rees, Deutschland-Chefvolkswirt bei UniCredit, führt die bessere Konsumstimmung auf die abnehmende Angst vor Arbeitslosigkeit zurück: "Das beflügelt die Einkommenserwartung und überwiegt die zukünftigen Belastungen, insbesondere die Anhebung der Krankenversicherungsbeiträge und der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung." Zwar werde die Konjunktur insgesamt im zweiten Halbjahr "sehr gut laufen", sogar ein Wachstum von 2,5 Prozent sei für 2010 denkbar, sagte Rees dem Abendblatt. "Aber die aktuellen Indikatoren sagen uns noch nichts über die weitere Entwicklung im kommenden Jahr, und da bleiben wir bei unserer skeptischen Einstellung."

Ähnliche Konjunkturbarometer hätten sich in Amerika und in China zuletzt wieder abgeschwächt: "Das dürfte mit Verzögerung auch in Deutschland ankommen." So trübte sich das vom privaten Forschungsinstitut Conference Board erhobene US-Konsumklima, wie gestern mitgeteilt wurde, im Juli stärker als erwartet ein und sank auf den niedrigsten Stand seit Dezember 2009. Mittelfristig sehe es insgesamt eher nach einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums auch in Deutschland aus, meint Rees.

Auch Bräuninger sieht in den gegenwärtig außerordentlich positiven Indikatoren im Inland eher eine "Überzeichnung"; wie Rees rechnet er mit einer "leichten Abflachung" des Wachstumspfades im kommenden Jahr. Denn schon wegen der durch den drastischen Anstieg der Staatsverschuldung erzwungenen Sparprogramme in vielen Ländern Europas werde der Export, der im ersten Halbjahr kräftig angezogen hatte, künftig an Fahrt verlieren.

"Euphorie ist eindeutig fehl am Platz", urteilte denn auch Werner Schnappauf, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) , und warnte vor Übermut: "Der jetzige Aufschwung bedeutet noch kein nachhaltiges Wachstum." Für die Jahre 2011 und 2012 erwarte der BDI nicht, dass sich die konjunkturelle Dynamik zwangsläufig so positiv weiterentwickeln werde wie in diesem Jahr.

Gründe dafür seien die weltweit auslaufenden Konjunkturprogramme und die anstehende Haushaltskonsolidierung in vielen Ländern. Außerdem hätten die Preise für Rohstoffe inzwischen ein hohes Niveau erreicht und sich in Verbindung mit dem schwachen Euro nochmals erhöht.

Tatsächlich kletterten die Importpreise nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Juni um 9,1 Prozent - so kräftig wie seit knapp zehn Jahren nicht mehr. Rohöl verteuerte sich auf Jahressicht um gut 30 Prozent, Nicht-Eisenmetall-Erze um mehr als 40 Prozent, berichtete die Behörde gestern. Wie der BDI beobachtet, hat sich zudem die Lage bei der Unternehmensfinanzierung zuletzt wieder zugespitzt.

Einen Wermutstropfen sehen Experten sogar in den Daten vom Arbeitsmarkt, die sich in den ersten sechs Monaten wesentlich besser entwickelt haben als von zahlreichen Volkswirten im vergangenen Jahr prognostiziert. Die aktuelle Unsicherheit über den weiteren Kurs der Konjunktur zeige sich auch in der Personalpolitik der Firmen, sagte Rees: "Die Unternehmen stellen zwar weiter ein, nutzen aber vor allem die Zeitarbeit."