In Hamburg sind 2000 Arbeitsplätze bei Karstadt in Gefahr. 97 Prozent der angemeldeten Forderungen dürften verloren sein.

Hamburg/Essen. Wo an normalen Tagen Mitarbeiter Currywurst mit Pommes frites vertilgen, fielen gestern weitreichende Entscheidungen über die Zukunft des Traditionsunternehmens. In der Kantine der Essener Karstadt-Zentrale stimmte die Gläubigerversammlung dem Sanierungsplan von Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg zu. Fast 100 Prozent der Gläubiger billigten ohne großen Widerspruch den Verzicht auf bis zu 97 Prozent ihrer angemeldeten Forderungen von 2,7 Milliarden Euro. Damit ist der Weg frei für einen raschen Verkauf der insolventen Warenhauskette - ob dieser aber gelingen kann, wird sich erst in den kommenden Wochen herausstellen.

Nach wie vor lässt sich Görg bei den Verkaufsgesprächen nicht in die Karten gucken. "Das ist der Ritt auf der Rasierklinge", beschrieb er seinen heiklen Job. Ursprünglich sah der Insolvenzplan vor, dass der Kaufvertrag bis zum 30. April unterschrieben sein muss. Auf Antrag eines Vertreters des Vermieterkonsortiums Highstreet gab es in dieser Frage aber eine Änderung: Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg kann nun notfalls auch über April hinaus mit Investoren über den Verkauf verhandeln. In diesem Fall müsste der Gläubigerausschuss kurzfristig der Fristverlängerung zustimmen. Wenn etwa ein "angelsächsischer Investor" mehr Zeit brauche, um Karstadt als Ganzes zu übernehmen, könne ihm diese nun eingeräumt werden, erläuterte Görgs Mitarbeiter Helmut Balthasar den Beschluss.

Damit erhält Görg zwar mehr Spielraum, eine Zerschlagung der Kette zu verhindern. Bei Branchenkennern, die den Verkaufsplan ohnehin als ehrgeizig ansahen, wachsen allerdings die Zweifel am Erfolg der Verkaufsaktion. Görg hingegen bemühte sich, unter den Gläubigern weiterhin Optimismus zu verbreiten: "Wir haben Anlass anzunehmen, dass wir bis zum Ablauf der Frist am 23. April ein Angebot bekommen werden", sagte der Insolvenzverwalter. Mit "einer Handvoll" Investoren würden nach wie vor Gespräche geführt, bestätigte Görgs Sprecher Thomas Schulz dem Abendblatt.

Im Vorfeld der Gläubigerversammlung war immer wieder die Rede von sechs Interessierten gewesen, die bereits seit Wochen die Bücher des insolventen Warenhauskonzerns prüfen. Ziel des Insolvenzverwalters ist es weiterhin, Karstadt als Ganzes zu verkaufen. Er lockt mit günstigen Mietverträgen für die 120 Filialen und Zugeständnissen der 26 000 Beschäftigten, die drei Jahre lang auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten und so einen Beitrag von mehr als 150 Millionen Euro leisten. Zudem sei Karstadt bilanziell saniert und schreibe operativ schwarze Zahlen. Wie Sprecher Thomas Schulz dem Abendblatt sagte, sei der Gewinn in den ersten beiden Monaten erfreulich gewesen. Als Gegenleistung muss sich der Käufer verpflichten, alle 120 Häuser mindestens bis Herbst 2011 zu betreiben. Bis Ende März waren im Rahmen des Sanierungsplans bereits 13 Filialen geschlossen worden, darunter auch die Filiale im Hamburger Elbe-Einkaufszentrum.

Die verbliebenen rund 2000 Karstadt-Beschäftigten in Hamburg hoffen nun, dass ihre Arbeitsplätze gerettet werden. "Die Angst um den Job hängt seit Juni 2009 wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen", beschreibt Friedrich Overdiek, stellvertretender Betriebsratschef in der Filiale Mönckebergstraße, die Stimmung. "Je kleiner ein Haus ist, desto größer ist vermutlich die Angst." Auch der Hamburger Einzelhandelsverband hofft auf einen guten Ausgang des Ringens um Karstadt. "Die Warenhäuser sind für die Stadtteile enorm wichtig", sagte Geschäftsführer Ulf Kalkmann. "Gerade in Stadtteilen wie Eimsbüttel oder Harburg ist Karstadt ein unverzichtbarer Kundenmagnet."

Experten halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass auf Dauer alle Filialen erhalten bleiben. "Der Markt für Warenhäuser schrumpft, da wird sicher jedes Haus auf den Prüfstand gestellt", sagte Kai Hudetz, Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung, dem Abendblatt. "Eine solche Kette zu übernehmen ist ein Riesenprojekt - das wird zu einer Filetierung führen." Zudem sei die Lage für potenzielle Investoren kompliziert: "Jeder, der Karstadt übernimmt, muss im Hinterkopf behalten, was mit Kaufhof passiert." Denn auch der Handelskonzern Metro will seine Warenhauskette seit Jahren verkaufen. Dennoch hatte Metro-Chef Eckhard Cordes kurz nach der Karstadt-Insolvenz Interesse bekundet, einzelne Filialen zu übernehmen und mit seiner Tochter Kaufhof zusammenzuführen. Nach Angaben von mit dem Vorgang vertrauten Personen schafft der Konzern aktuell mit Banken und juristischen Beratern die Voraussetzungen, um schnell reagieren zu können, sobald ein Verkauf einzelner Karstadt-Filialen ansteht. Ein weiteres denkbares Szenario wäre, dass ein Finanzinvestor beide Ketten übernimmt. Handelsprofessor Thomas Roeb hält das für die wahrscheinlichste Variante. "Das heißt natürlich auf lange Sicht auch, dass viele Filialen dichtmachen und harte Einschnitte kommen."