Die Griechen steuern schnurstracks in den Staatsbankrott. Wird der nicht abgewendet, kommt es zum Domino-Effekt, einer Katastrophe.

Die Kunden stürmen die Banken und plündern ihre Konten. In den Geschäften kommt es zu Hamsterkäufen. Bis nichts mehr da ist. Die Ladenregale bleiben leer, der Einzelhandel hat kein Geld mehr. Auf den Straßen versammelt sich das Volk und demonstriert gegen die Regierung. Die Proteste schlagen in Gewalt um, die Regierung wird gestürzt, es herrscht Anarchie. Der Schwarzmarkt verdrängt die Marktwirtschaft. Und das alles, weil der Staat bankrott ist.

Dies ist ein Horrorszenario. Aber an den Börsen wird schon ganz offen mit dem Horror spekuliert. Es geht nicht um eine Staatspleite in Afrika, sondern um eine ganze Reihe von Staatspleiten mitten in Europa. Die Insolvenz der amerikanischen Lehman-Bank wäre ein Klacks im Vergleich zu dem, was durch den Bankrott eines Eurolandes ausgelöst würde.

Die Griechen stehen kurz davor. Das Land, eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen, hat mit seinen elf Millionen Einwohnern eine Wirtschaftskraft, die gerade mal so groß ist wie die von Niedersachsen und Bremen zusammen (8,5 Millionen Einwohner). Und dennoch gefährdet dieses kleine Land den Euro. Weil es so gut wie pleite ist. Und weil sich das griechische Virus langsam auch auf andere überträgt. Gehen mehrere Euroländer pleite, ist der Euro tot.

Griechenland kann nur von außen gerettet werden. Doch in dieser Krisensituation offenbart sich ein Geburtsfehler des Euro: Für drohende Staatsbankrotte gibt es keine Gebrauchsanweisung. Die EU ist hilflos und schaut entsetzt auf die Panik an den Börsen. Der griechische Börsenindex stürzte in der vergangenen Woche um fast zehn Prozent ab, aber auch der spanische Index verlor fast acht und der portugiesische über sieben Prozent. Der Euro büßte seit November fast 15 Cent gegenüber dem Dollar ein. Und auch der DAX schwächelt. Experten sagen: Das ist die Strafe für jahrelanges Schuldenmachen.

Der Fall Griechenland zeigt, wie man das Vertrauen in den Euro durch Misswirtschaft, Korruption und Gaunerei zerstört. Griechenland ist heute nur Euromitglied, weil die Regierung damals die Haushaltszahlen gefälscht hat. Eine Strafe dafür gab es bis heute nicht. Der Euro brachte den Hellenen viele Vorteile: Weil die Zinsen niedrig waren, kam günstiges Geld ins Land. Doch das Geld wurde für Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst und steigende Sozialleistungen ausgegeben. Die griechische Wirtschaft schafft nicht genügend Jobs, es gibt viel zu viele Staatsbedienstete. Steuern von den Reichen werden kaum eingetrieben, in den Häfen schaukeln protzige Yachten.

Schon vor Ausbruch der Finanzkrise war Griechenland hoffnungslos verschuldet: Nur ein einziges Mal in elf Jahren erfüllte Athen die Maastricht-Kriterien, nach denen sich ein Staat nur mit drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts neu verschulden darf.

Das Ergebnis: Die aufgelaufene Staatsverschuldung liegt bei 125 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, erlaubt sind 60 Prozent. Griechenlands Neuverschuldung erreicht in diesem Jahr fast 13 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland hat 2010 ein Defizit von 3,4 Prozent.

Das Vertrauen in Griechenland ist schon seit Jahren dahin. Ratingagenturen haben die Kreditwürdigkeit herabgestuft. Und so wurde es für die Griechen immer schwieriger, an frisches Geld zu kommen. Staaten holen sich ihr Geld durch Staatsanleihen: Sie leihen sich für einen bestimmten Zeitraum Geld und bieten dafür Zinsen. Und genau hier begann Griechenlands Teufelskreis: Weil Anleger Angst haben, ihr Geld nicht mehr wiederzusehen, müssen die Griechen immer höhere Zinsen bieten. Über sieben Prozent sind es schon. Deutschland bietet für eine Bundesanleihe gerade mal drei Prozent. Je schlechter Griechenland bewertet wird, desto teurer werden die Schulden. Und je mehr ein Land für seine Schulden zahlen muss, desto schlechter wird es danach wieder bewertet. Irgendwann kommt der Punkt, an dem Griechenland seinen Anlegern die Zinsen nicht mehr zahlen und keine neuen Anleihen mehr ausgeben kann. Dann ist Griechenland bankrott. Das könnte schon im April der Fall sein, dann braucht das Land 20 Milliarden Euro, weil Anleihen auslaufen und neu ausgegeben werden müssen.

Die Börse kennt gegenüber strauchelnden Staaten keine Gnade: Die Spekulanten wetten schon seit Wochen auf sinkende Kurse der griechischen Staatsanleihen. Und auch die nächsten Kandidaten sind ausgemacht. Portugal zum Beispiel: Die Neuverschuldung stieg auf 9,3 Prozent des BIP und damit um mehr als das Dreifache des Erlaubten. Auch Spanien droht der Bankrott: Das Defizit liegt bei 11,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Regierung will binnen drei Jahren 50 Milliarden Euro einsparen. Immerhin haben die Gewerkschaften zugesagt, von einem Generalstreik abzusehen.

Ebenfalls in Gefahr befinden sich Irland - das Land ist nach dem Platzen der Immobilienblase in Nöten - und Italien. Die Italiener waren bislang Europas Meister im Schuldenmachen. Bis sie von Griechenland abgelöst wurden.

Früher war die Sache einfach: Da werteten die Staaten einfach ihre Währung ab, die Schulden schrumpften somit von ganz allein. Das Problem heute: Die Staaten sind Mitglied in der Eurozone. Eine Abwertung funktioniert nicht. Außer Griechenland steigt nach einem Bankrott aus dem Euro aus und führt die Drachme wieder ein.

Es gibt diejenigen, die sagen, dass Griechenland pleitegehen soll - quasi als heilsamer Schock. Zunächst würde der Euro durch eine griechische Pleite auch nicht dramatisch an Wert verlieren, weil Griechenland von seiner Wirtschaftskraft nicht bedeutend ist. Doch die wahre Auswirkung ist eine psychologische. Denn die Staatspleite eines Eurolandes hätte verheerende Auswirkungen auf das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung. "Die Finanzmärkte würden über weitere unsichere Kandidaten spekulieren", sagt Rudolf Hickel, Direktor des Bremer Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW), dem Abendblatt. Wenn erst ein Mitglied fällt, kommt der Domino-Effekt: Spekulanten setzen so lange auf einen Kollaps von Ländern wie Portugal, Spanien, Irland oder Italien, bis die Zinsen für deren Staatsanleihen explodieren. Die Länder könnten sich anstrengen, wie sie wollen - eine Pleite wäre nicht abzuwenden.

"Wenn Griechenland aus der Währung aussteigt, wäre das für die Eurozone eine Katastrophe", sagt Hickel. Denn für den Fall einer Staatspleite gibt es in der EU keine Insolvenzordnung. Soll heißen: Die Schuldner bleiben auf ihren Forderungen sitzen. Carsten Klude, Chefvolkswirt der Hamburger Privatbank M. M. Warburg meint, ein griechischer Staatsbankrott würde "zu deutlich stärkeren Verwerfungen führen als die Lehman-Pleite". Der Grund: Griechenland hat Anleihen im Wert von fast 300 Milliarden Euro ausgegeben. Die Lehman-Bank stand 2008 mit 140 Milliarden Dollar in der Kreide. Viele griechische Anleihen gingen nicht nur an heimische Banken, sondern auch an Banken in anderen EU-Ländern. Geht Griechenland pleite, dann wären nicht nur die heimischen Banken zerstört, sondern auch viele europäische und vor allem deutsche Geldinstitute müssten Milliarden abschreiben. Darüber hinaus hat die griechische Regierung auch bei deutschen Unternehmen fleißig eingekauft - die Unternehmen würden auf ihren Kosten sitzen bleiben.

Und auch für Griechenland wären ein Bankrott und ein anschließender Ausstieg aus der Eurozone nur von Nachteil: Die Glaubwürdigkeit wäre vollends dahin, mit der Kreditwürdigkeit wird es nicht besser. Schulden müssten in Euro gezahlt werden - unmöglich mit einer abgewerteten Drachme.

Was also tun gegen den Staatsbankrott? Die EU hat den griechischen Haushalt unter ihre Verwaltung gestellt. 2012 sollen die Obergrenzen des Maastricht-Vertrages wieder eingehalten werden. Binnen zwei Jahren von fast 13 auf drei Prozent Neuverschuldung? "Das ist nicht machbar, das weiß jeder", sagt Wirtschaftsforscher Hickel. Hinzu kommt, dass Griechenland durch ein eisernes Sparprogramm auch die eigene Wirtschaft gefährdet.

Griechenland braucht frisches Geld. "Im Ernstfall wird es zum Einstehen der anderen Euroländer kommen", sagt Klude. Aber wie? Nothilfen von anderen EU-Staaten sind verboten. Noch. "Es war ein Gründungsfehler der Währungsunion, dass Problemfälle wie Griechenland nicht geregelt sind", sagt sein Bremer Kollege Hickel. Er fordert ein Krisenkonzept: Geld gegen Sparerfolge. Nur wenn Griechenland seine Sparergebnisse nachweist, gibt es Geld von der EU. Bislang haben Schuldenmacher in der EU ein bequemes Leben - weil noch nie Sanktionen verhängt wurden. Strafen müssen von den Staats- und Regierungschefs beschlossen werden - und die halten sich zurück, weil die meisten von ihnen selbst gegen die Kriterien verstoßen. "Solange das nicht geregelt ist, wird der Euro immer unter Abwertungsverdacht stehen", sagt Hickel.

Bleibt die EU säumigen Zahlern gegenüber weiter milde und pumpt Milliarden in die maroden Volkswirtschaften, ist der Euro weiter in Gefahr: Die Geberländer, allen voran Deutschland, müssten durch Steuererhöhungen immer mehr Geld aufbringen. Anreize zum Arbeiten und Investieren sind das nicht. Deswegen könnte auch der Internationale Währungsfonds in Griechenland einspringen. Der Vorteil: Der IWF hat klare Regeln für Notkredite, und die EU müsste sich nicht die Hände schmutzig machen. Der Nachteil: Länder wie USA und China, die zum IWF gehören, mischen künftig in der europäischen Geldpolitik mit. Das gefällt den EU-Staaten gar nicht. Experten gehen davon aus, dass Europa das griechische Problem deshalb allein lösen will.

Jede Euroland-Regierung kann dazu beitragen: durch Sparen. Doch genau das machen die meisten Euroregierungen nicht. Das hat Folgen auf den Weltmärkten: "Es kann sein, dass die Stimmung gegen die europäischen Haushaltspolitiken insgesamt umschlägt", sagt Joachim Scheide, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Dann steigen die Zinsen, die Regierungen für Kredite zahlen müssen. "Wenn die Zinsen auf die Staatsverschuldung in Deutschland um ein Prozent steigen, nimmt unser Defizit um 20 Milliarden Euro zu", sagt Scheide. Auch Deutschland ist nicht vor dem griechischen Virus sicher.

Griechenlands Regierung will sparen: bei Löhnen, bei der Rente, bei der Bildung, bei Subventionen. Steuern sollen erhöht werden. "Ob die Rettung gelingt, liegt nicht nur an der Ausgabenseite, sondern auch an der Bevölkerung", sagt Carsten Klude.

Das griechische Volk hat in den vergangenen Tagen gezeigt, was es davon hält: nichts. Zoll- und Steuerbeamte streiken, auch die Studenten und Bauern sind auf der Straße. Für Mittwoch hat der gesamte öffentliche Dienst einen Ausstand angekündigt.