Lohnt sich noch ein Einstieg? Oder ist es schon zu spät? Was Analysten jetzt empfehlen. Eine Abendblatt-Umfrage.

Hamburg. An der Börse herrscht seit Wochen wieder Euphorie. Keine Spur von Urlaubspause. Anleger investieren, als gäbe es bald keine Aktien mehr zu kaufen. "Die Aufwärtsbewegung an der Börse ist vor allem von institutionellen Anlegern getrieben. Durch die niedrigen Leitzinsen der Notenbanken verfügen sie über hohe Liquidität", sagt Chefvolkswirt Jochen Intelmann von der Hamburger Sparkasse (Haspa). Von Aktien versprechen sich viele Investoren derzeit höhere Renditen, zumal Staatsanleihen derzeit nur wenig Zinsen bringen, auch Tagesgeldkonten werfen im Schnitt nur noch 1,4 Prozent ab.

Gestern stieg der Deutsche Aktienindex (DAX) auf den höchsten Stand seit Oktober 2008. Das wichtigste deutsche Börsenbarometer schloss mit 5426,85 Punkten - ein Plus von 1,78 Prozent. Beflügelt wurde der Aktienmarkt von den Halbjahresergebnissen der beiden britischen Banken Barclays und HSBC, die trotz hoher Abschreibungen Milliardengewinne verbuchen konnten.

Längst vergessen ist die Abwärtsspirale von Anfang März, als das wichtigste deutsche Börsenbarometer bis auf rund 3666 Punkte abstürzte und viele glaubten, es ginge noch tiefer abwärts. Doch dann kam überraschend die Wende. Seit dem 9. März hat der DAX um rund 48 Prozent zugelegt. Diesen idealen Einstiegspunkt haben wohl nur wenige Anleger getroffen. "Die Privatanleger sind sehr zurückhaltend und wir drängen sie auch nicht zur Aktienanlage", sagt Intelmann.

Nachdem die Marke von 5300 Punkten jedoch nachhaltig überwunden werden konnte, wächst die Zuversicht der Börsianer. Darauf setzen offenbar auch Privatanleger, die verstärkt über Investmentfonds wieder in den Markt einsteigen. "Erstmals seit fünf Jahren gibt es im ersten Halbjahr wieder ein positives Mittelaufkommen für Aktienfonds", sagt Frank Bock vom Bundesverband Investment und Asset Management. So wurden im ersten Halbjahr 4,9 Milliarden Euro in Aktienfonds investiert.

Dennoch bleiben die Banken zurückhaltend mit ihren Prognosen für das zweite Halbjahr. Die begonnene Konjunkturerholung berge noch viele Risiken. Unter die Tiefstände im März dürfte das Börsenbarometer jedoch nicht mehr sinken, ergab eine Umfrage des Abendblatts unter Analysten. Was Banken- und Finanzberater jetzt empfehlen:

Hamburger Sparkasse

Die Hamburger Sparkasse sieht kurzfristig Luft bis 5800 Punkte beim DAX. "Mit Blick auf das Jahresende halten wir aber an unserem Kursziel von knapp 5000 Punkten fest", sagt Haspa-Chefvolkswirt Jochen Intelmann. Denn es sei kein kräftiges Wachstum zu erwarten, eher ein langes Tal, das erst noch durchschritten werden muss. Deshalb favorisiert die Haspa eher defensive Aktien aus den Branchen Pharma, Konsum oder Versicherung. Dazu gehören Titel wie Münchener Rück, Nestlé, Novartis und Beiersdorf. "Erst in jüngster Zeit haben wir konjunktursensible Titel wie Siemens in die Empfehlungsliste aufgenommen", sagt Christian Hamann von der Haspa.

Berenberg Bank

Die Berenberg Bank geht davon aus, dass der DAX bis Mitte nächsten Jahres 5800 Punkte erreichen kann. "Wir rechnen nicht damit, dass sich der extreme Aufschwung der letzten Wochen noch lange fortsetzen wird", sagt Robert Freiherr von Kapherr. Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die ihre Ergebnisse fürs zweite Quartal vorgelegt hatten, überraschten die Analysten mit besseren Zahlen als erwartet. In den USA waren es sogar 75 Prozent der Firmen. "Die Unternehmen haben ein sehr gutes Kostenmanagement", so von Kapherr. Vor allem in den USA sei es leichter, Mitarbeiter zu entlassen. "Aber bei den Umsätzen konnten die Firmen die Erwartungen nicht übertreffen." Dahinter steht folgende Gefahr: Die Kosteneffekte sind nur ein Einmaleffekt und können bei ausbleibenden Umsatzsteigerungen nicht ihre Wirkung entfalten. Bisher hat Berenberg vor allem auf defensive Aktien wie Unilever, Coca-Cola, Microsoft oder Pfizer gesetzt. Konjunkturabhängige Aktien wie Daimler, Siemens oder Stahlerzeuger ArcelorMittal wurden nur niedrig gewichtet.

Commerzbank

Die Commerzbank sieht das DAX-Ziel bei 5500 Punkten. "Es kann jetzt eine Übertreibung nach oben geben", sagt Wertpapierstratege Hans-Jürgen Delp von der Commerzbank. Dennoch erwartet die Bank keine großen Rückschläge beim DAX. "Maximal bis 4800 Punkte", sagt Delp. Er rät den Anlegern, schrittweise wieder in den Aktienmarkt einzusteigen und mit Investmentfonds in die Breite zu gehen.

Aktienfonds mit Schwerpunkt Europa können im ersten Halbjahr auf beeindruckende Ergebnisse verweisen. So gewann der Veri-Eurovaleur-Fonds 32 Prozent. Der DWS-Ring-Aktienfonds legte um 18 Prozent zu. In solchen Phasen erweisen sich aktiv gemanagte Aktienfonds mit guten Fondsmanagern den passiven Indexfonds überlegen, die nur rund zehn Prozent im ersten Halbjahr zulegen konnten.

Privates Anlage-Management

Trotz Börsenaufschwungs rät der Hamburger Vermögensverwalter Hans-Georg Kuhlmann vom Privaten Anlage-Management seinen vermögenden Kunden nur zu einem 15-prozentigen Aktienanteil. "Dazu setzen wir auf Bundesanleihen und Unternehmensanleihen", sagt Kuhlmann und erinnert an die Vergangenheit: "Nach starken Kursverlusten im Herbst 2001 erholten sich die Märkte sechs Monate lang um mehr als 40 Prozent. Dann folgte ein erneuter Absturz von 60 Prozent." Risiken sieht Kuhlmann in der hohen Verschuldung der Firmen und den vielen Kurzarbeitern, "die potenzielle Langzeitarbeitslose sind". Dennoch sieht auch Kuhlmann, dass es bei vielen Anlegern einen Anlagestau gibt. "Sie sind noch nicht in Aktien investiert und werden jetzt nervös und gierig." Es könnte also auch sein, dass der Aufschwung an der Börse länger dauert als erwartet. Gerade weil viele Experten so zurückhaltend sind.