Der Airbus bekommt sein Innenleben. Der dritte Teil der Abendblatt-Serie: Die Kabine wird fertiggestellt und das Seitenleitwerk aufgesetzt.

Hamburg. In gemessenem Tempo, Zentimeter für Zentimeter, steigt der Kranich vom Hallenboden empor. Aufgehängt an nur vier Schrauben schwebt das sechs Meter hohe und 600 Kilogramm schwere Seitenleitwerk mit dem gelben Firmensymbol jetzt über dem Lufthansa-Jet. Einer der Männer in Airbus-Arbeitskleidung auf einer Hebebühne neben dem Flugzeug dirigiert den Kran mit einer Fernbedienung, setzt die Heckflosse an ihren Platz.

Anders als der Rumpf, der noch die hellgrüne Korrosionsschutzfarbe trägt, ist das in Stade aus Kohlefaserwerkstoff hergestellte Leitwerk bereits fertig lackiert. Ganz oben prangen in Weiß die beiden letzten Buchstaben der Kennung D-AIDN, die die A321 nach seiner Zulassung für den Liniendienst tragen wird. Vorerst aber zählt nur die Airbus-interne Seriennummer 4976.

Gleich nach dem Anbau des Leitwerks wird ein Lufthansa-Ingenieur die Arbeit begutachten. "Fast alle unsere Kunden nehmen diese Möglichkeit wahr", sagt Christian Pester, Koordinator für die Station 35 der Hamburger Endmontagelinie. Bis zur Fertigstellung gibt es etwa 30 solcher Kundenabnahmen. Außer dem Seitenleitwerk installiert Pesters Team die Höhenleitwerke und die Heckspitze mit dem Hilfstriebwerk, das den Jet später während der Bodenzeiten mit Energie versorgt, sowie die Landeklappen, die aus dem Werk Bremen kommen.

Ebenfalls auf dieser Station schalten die Techniker erstmals die Hydraulik und die Klimaanlage ein und setzen die Elektrik mit ihren insgesamt 300 Kilometer Kabeln unter Spannung. "Hier erwecken wir das Flugzeug zum Leben", sagt Pester.

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Ein anderes Team hat inzwischen mit der Kabinenausstattung begonnen. Die sogenannten Monumente - die jeweils drei Bordküchen und Toiletten - hat man allerdings schon etliche Tage zuvor, noch vor dem Zusammenbau von Rumpfvorder- und Hinterteil, provisorisch ins Flugzeug gestellt. "Weil diese Module nicht durch die Türen passen, müssten wir sie sonst zerlegen", erklärt Michael Duschl, Leiter Kabinenmontage für die A320-Familie. Auch sonst ist die Reihenfolge wichtig. Zuerst kommen Seitenverkleidungen und Gepäckfächer in den Jet. "Bevor die Kollegen aus der Sattlerei den Teppich legen können, muss der Kunde die Arbeiten am Fußboden und der Technik darunter abgenommen haben", so Duschl.

Doch nicht immer geht alles glatt. Bei der Lufthansa-Maschine zeigen sich Risse im Kitt, mit dem man die Fugen zwischen den Bodenplatten abdichtet. Es muss nachgearbeitet werden, der Einbau der Sitze verschiebt sich.

Der Zeitplan aber lässt genügend Spielraum, solche Verzögerungen durch Überstunden oder Wochenendarbeit aufzuholen. Denn der Kabineneinbau erfolgt in Etappen, verteilt über etwa 14 Tage. In der Regel sind höchstens acht bis zehn Mitarbeiter gleichzeitig im Flugzeuginnenraum tätig, meist Mechaniker und Elektriker. "Wären es deutlich mehr, würde man sich nur gegenseitig auf die Füße treten", sagt Duschl. Er ist für 175 Beschäftigte einschließlich der Leihkräfte verantwortlich; im Rahmen der geplanten Produktionsratensteigerung soll die Zahl auf rund 200 zunehmen.

Nachdem die Schwierigkeiten mit dem Fußboden behoben sind, dürfen die 200 Passagiersitze ins Flugzeug - in 38 Reihen hintereinander, die meisten davon mit je zwei Dreiersitzblöcken rechts und links vom Mittelgang. Die erst im vergangenen Jahr neu entwickelten, pro Einzelplatz nur noch elf Kilogramm wiegenden Sitze wurden von Recaro Aircraft Seating geliefert. Gefertigt werden sie im Stammwerk Schwäbisch Hall und in Polen.

Die Bordküchen hingegen stammen vom schweizerischen Hersteller Bucher Leichtbau nahe Zürich, während die Toiletten den kürzesten Weg haben: Sie entstehen auf Finkenwerder bei der zum Diehl-Konzern gehörenden Firma Dasell.

Auch wenn die Kabinen der doppelstöckigen A380-Megajets weit aufwendiger ausgestattet sind, ist die Arbeit in den Flugzeugen der A320-Familie "auf keinen Fall langweilig", sondern durchaus abwechslungsreich, sagt Sebastian Völcker. "Ich installiere zum Beispiel die Küchengeräte, verlege Kabel im Kabinenboden, baue Sitze ein und bringe die Beschilderung an", sagt der 28 Jahre alte Fluggerätemechaniker.

Darüber hinaus gebe es auch in den kleineren Jets je nach der Fluggesellschaft erhebliche Unterschiede bei der Ausstattung: "Die Spanne reicht von den Billigfliegern bis zu Maschinen, die in jedem Sitz Bildschirme für das Bordunterhaltungssystem haben." Bei derartigen Jets seien schon deshalb deutlich mehr Arbeitsstunden nötig, weil alle Funktionen jedes einzelnen Sitzes getestet werden müssen, sagt Michael Duschl. Zwar geht es hier meist nicht um sicherheitskritische Dinge. Aber es ist schließlich die Kabine, die der Fluggast im Blick hat - selbst in einem Kurz- und Mittelstreckenjet wie der A321 manchmal für mehr als drei Stunden. Daher ist der Flugzeuginnenraum wichtig für den Qualitätseindruck, den die Airline hinterlässt.

Entsprechend hart ist der Wettbewerb. So hat Boeing vor gut einem Jahr eine modernisierte Kabinenausstattung für ihre 737-Reihe mit Anklängen an das Innendesign des neuen Langstreckenfliegers 787 Dreamliner eingeführt. "Damit ist Boeing beim Modell 737 ein Generationensprung gelungen", sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. "Die Kabine schafft ein ganz neues Raumgefühl und wirkt sehr viel luftiger als bisher." So sei der Kopfraum ähnlich üppig bemessen wie sonst nur in Großraumflugzeugen.

Doch nach Auffassung von Günter Butschek, Chef von Airbus Deutschland, müssen die Europäer die Konkurrenz nicht fürchten: "Das Kabinendesign der A320-Familie haben wir wie auch das Gesamtflugzeug stetig modernisiert und verbessert." So investiere das Unternehmen jedes Jahr rund 250 Millionen Euro in die Weiterentwicklung dieser Typenreihe.

"Zahlreiche Umfragen belegen, dass gerade die breite und komfortable Kabine bei Passagieren wie auch bei Fluggesellschaften - von Low-Cost- bis Staatsfluglinien - äußerst beliebt ist", so Butschek. Und der Verkaufserfolg der im Dezember 2010 angekündigten Variante A320neo unterstreiche "das langjährige Kundenvertrauen und die Zukunftsfähigkeit der gesamten A320-Familie". Tatsächlich hat Airbus seitdem bereits rund 1500 der mit besonders sparsamen Triebwerken ausgerüsteten Maschinen verkauft. Die erste davon soll im Oktober 2015 den Liniendienst aufnehmen.

Ihren A321-Jet mit der Seriennummer 4976 hat die Lufthansa jedoch schon im Jahr 2006 bestellt, lange vor dem Verkaufsstart der modernisierten Ausführung. Dem Flugzeug stehen nun noch der Anbau der Motoren sowie eine lange Reihe von Funktionstests bevor. Mehr als 100 000 Mess- und Prüfschritte müssen abgehakt werden, bevor der Flieger erstmals abheben kann.

Die Flugzeuge der A320-Familie sind das Brot-und-Butter-Geschäft von Airbus; mehr als 4900 dieser Maschinen entstanden seit 1987. Das Abendblatt blickte im Hamburger Werk hinter die Kulissen: In einer fünfteiligen Serie berichten wir über den Bau eines A321 für die Lufthansa. In den noch folgenden Teilen vier und fünf geht es um die Lackierung, den Anbau der Triebwerke, um die Boden- und Flugtests sowie um die Abnahme durch die Lufthansa.