Warum viele Menschen in Athen lieber im Großmarkt einkaufen und sich eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union wünschen.

Athen. Beile sausen durch die Luft, Messer werden gewetzt und Knochensägen angesetzt. Überall hängt und liegt Fleisch, Schweinerippen, Hammelkeulen und Schafshäute, Rinderbraten, Schüsseln voller Innereien. Der Großmarkt in der Straße Athinas im Zentrum der Stadt läuft auf vollen Touren. Laut preisen die Händler ihre Waren, schneiden Portionen zurecht, locken und foppen ihre Kundschaft. Ein Metzger drückt Lamm durch einen Fleischwolf und gibt einer Kundin das Gehackte. Zwei ältere Männer sitzen um die Mittagszeit bereits im Kaffeehaus neben der Fleischgasse und schenken sich aus der Karaffe ihren ersten Rotwein ein. Aber die meisten Menschen schieben sich an den Auslagen vorbei, prüfen die Ware, kaufen etwas Frisches zum Abendessen.

Ein paar Meter weiter in einem anderen Gang ein ähnliches Bild bei den Fischhändlern. Die ganze Vielfalt des Meeres liegt eisgekühlt in Kisten, Lachs und Thunfisch, Doraden, Makrelen und Tintenfisch, Krebse, Shrimps und Sardinen. Es wird filetiert, gewogen, gepackt, kassiert, was das Zeug hält. Rundherum an den Außenseiten des Marktes stehen die Auslagen mit Nüssen und getrocknetem Obst, mit Feigen, Rosinen, Mangos und Kiwis, Pistazien, Haselnüssen und Sonnenblumenkernen. Die Preise im Markt erscheinen aus dem deutschen Blickwinkel günstig.

Das Fleisch bewegt sich, abhängig von Art und Qualität, je Kilo zwischen zwei und zehn Euro. Das Gleiche gilt überwiegend für den Fisch. Nur bei Trockenfrüchten, obligatorisch für einen griechischen Esstisch, fallen einige Preise auf, 14 Euro für ein Kilo geröstete Pistazien, zwölf Euro für getrocknete Kiwis. Sind die Lebensmittel in diesem Markt billig, oder sind sie teuer?

"Das Fleisch im Großmarkt kostet etwa 20 bis 30 Prozent weniger als in den Supermärkten. Deshalb kaufen viele Menschen dort ein", sagt Alkiviadis Pappas, 55, ein Fachanwalt für Handelsrecht, in seiner Kanzlei eine Viertelstunde Fußweg vom Markt entfernt. "Die Preise für Lebensmittel allgemein sind recht stabil. Aber teuer oder billig hängt vom Einkommen ab. Vielen Staatsbediensteten wurden die Bezüge gekürzt." Und die Gehälter fielen auch in der Privatwirtschaft, sagt Pappas. Erst kürzlich sei der Mindestlohn für die Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen von 750 auf 590 Euro im Monat gesenkt worden: "Damit will die Regierung die besonders hohe Arbeitslosigkeit bei den Jüngeren bekämpfen."

Nur wenige Straßen vom griechischen Parlament entfernt betreibt Pappas seine Kanzlei im fünften Stock eines schmalen Bürohauses. Das Arbeitszimmer unter dem Dach, eine Art Galerie, ist stilvoll eingerichtet. Ledergebundene griechische Gesetzbücher stehen auf dem Regal, auf einem Podest am Fenster eine alte Druckerpresse, auf dem schweren, dunklen Holztisch der Laptop des Anwalts. In den 1980er-Jahren studierte Pappas in Hamburg Jura, 1985 promovierte er an der Elbe. Seit vielen Jahren gibt er internationalen Investoren in Griechenland juristischen Rat und Beistand. Als Teilhaber von Windkraftprojekten im Land agiert er auch selbst als Unternehmer.

Pappas sieht die Krise als Chance. "Die Gehälter im Land wurden seit 2009 so radikal gesenkt, dass viele hier bereits von Sozialdumping sprechen. Das bedeutet aber auch, dass Griechenland für Investitionen - vor allem bei den arbeitsintensiveren Tätigkeiten - deutlich attraktiver geworden ist. Es gibt im Land sehr gut ausgebildete Arbeitskräfte. Und die Griechen arbeiten hart, anders, als es manchmal im Ausland dargestellt wird."

Über die wirtschaftliche Lage seiner Heimat macht sich der Anwalt keine Illusionen. Wenige Häuserblöcke entfernt werden im Parlament die großen Schlachten zur Rettung des Landes ausgetragen. Jüngst hatte Ministerpräsident Giorgios Papandreou vor den Abgeordneten angekündigt, dass die Griechen selbst per Referendum über die Annahme des Euro-Rettungspakets und über die jüngsten Sparmaßnahmen im Land abstimmen sollen. Ein Schock für viele in der EU, denn das fragile Rettungswerk zur Stabilisierung Griechenlands wurde so wieder infrage gestellt. Gestern nun machte Papandreou beim Thema Volksabstimmung überraschend wieder einen Rückzieher.

Dennoch verschärft sich der Ton zwischen Griechenland und den anderen EU-Mitgliedstaaten. Für Pappas aber bietet nur die enge Zusammenarbeit in der EU eine Perspektive. "Europa und seine Institutionen müssen vertieft werden. Und gewiss, es muss auch eine Art Investitionshilfe in der EU nach dem Vorbild des deutschen Länderfinanzausgleichs geben. Auf Dauer funktioniert die Gemeinschaft eben nicht, wenn einzelne Länder hohe Außenhandelsüberschüsse erzielen, während andere Mitgliedstaaten ökonomisch immer weiter zurückfallen."

Eine Abwendung Griechenlands von Europa sieht Pappas nicht, trotz der teils wilden Polemiken gegen die Europäische Union im Allgemeinen und gegen Deutschland im Besonderen in der griechischen Boulevardpresse und auch im Fernsehen. "Die Griechen sehen die Ursachen für ihre aktuelle Misere überwiegend klar im eigenen Land und nicht in Europa", sagt Pappas zum Abschied und lächelt: "Dieses schöne Land wird von Gott verwöhnt und von seinen eigenen Menschen so schlecht behandelt. Und das wissen sie auch."

Eine modernere Art Solidarität der stärkeren für die schwächeren Staaten in der EU hält auch Martin Knapp für unumgänglich. Knapp, 53, mischt in der Diskussion in Griechenland ordentlich mit. Seit drei Jahren leitet er als Geschäftsführer die Deutsch-Griechische Industrie- und Handelskammer in Athen. Schon 1988 arbeitete der Philologe, der in Athen studiert hatte, für die Deutschen Industrie- und Handelskammern erstmals in Griechenland, damals in Thessaloniki.

Anfang 2010 erwähnte Knapp in einer griechischen Talkshow das Phänomen, dass der Staat Renten an Menschen überweise, die längst tot seien. Damit brachte er eine Lawine ins Rollen und sich selbst anschließend in mehr als zwei Dutzend weitere Fernsehrunden. Und er behielt recht. Mittlerweile schätzen Experten die Zahlungen an virtuelle Rentner und deren Angehörige allein 2010 auf bis zu acht Milliarden Euro. "Mit solchen Diskussionsbeiträgen macht man sich natürlich hier nicht nur beliebt", sagt Knapp.

Der Geschäftsführer erzählt in einem Konferenzraum der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer in der Nähe einer Ausfallstraße gleich um die Ecke bei der Botschaft der USA. Vorn am Eingang der Büroetage sitzt ein Wachmann an einem Schreibtisch, bei dem man klingeln muss, um Einlass zu bekommen. "Reine Vorbeugung", sagt Knapp. "Während der Demonstrationen der vergangenen Monate gab es immer wieder mal Bürobesetzungen bei allen möglichen Organisationen und Einrichtungen." Bei ihm allerdings nicht, sagt er.

Der Verbandsfunktionär kennt die griechische Wirtschaft aus dem Effeff, er berät Unternehmen aus dem Ausland und diskutiert mit seinen Partnern im Land. Anfang Oktober organisierte seine Kammer eine deutsch-griechische Unternehmerkonferenz, als Rahmenprogramm für den Besuch von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und seiner Delegation in Athen. "Es wird in die griechische Wirtschaft zu wenig investiert. Das ist Raubbau an der Zukunft des Landes", sagt Knapp. "Die Voraussetzung für neue Investitionen aus dem Ausland ist natürlich, dass ein investorenfreundliches Klima geschaffen wird. Diese Aufgabe kann der griechischen Seite aber niemand abnehmen."

Die heutige Lage der griechischen Wirtschaft sei deshalb so prekär, meint Knapp, weil die Defizite schon seit mindestens 30 Jahren wüchsen: "Griechenlands Wirtschaft ist in drei Stufen heruntergefahren worden: Nach dem Beitritt zur EU 1981 begann die Abwanderung der Industrie, verstärkt noch einmal durch die Öffnung Osteuropas nach 1990. Hinzu kam dann die investorenfeindliche Politik des Populisten Andreas Papandreou, dem Vater des heutigen Ministerpräsidenten. Und schließlich die Einführung des Euro und die Verschuldung von Staat und privaten Haushalten mit billigem Geld."

Täglich sieht Knapp die Mühen und Leistungen, den inneren und äußeren Kampf der Griechen um den Wiederaufschwung ihres Landes. Und er glaubt nicht, dass Griechenland diesen Kampf allein gewinnen kann: "In Europa gibt es keine Arbeitsteilung im Sinne eines Investitionspakts. Die südlichen Länder wurden und werden immer nur als Absatzmarkt und touristische Ziele betrachtet", sagt er. "Die gerechte Transferunion in Europa wäre eine Investitionsunion. Man investiert Kapital und bekommt Arbeitsleistung zurück. Aber so weit ist die EU noch lange nicht."