Ex-Industriepräsident Hans-Olaf Henkel inszeniert sich und seine Idee eines Nordeuro. Notfalls will er sogar eine eigene Partei gründen.

Hamburg. Laeiszhalle, kleiner Saal. Gut 600 Menschen passen hier hinein, wo sonst Theaterstücke aufgeführt und Musikabende inszeniert werden. Doch heute geht es nicht um Kultur. Es geht ums Geld. Um Euro-Krise und Rettungsschirme. Um die Angst der Menschen vor der Zukunft. Und um die Selbstinszenierung eines Mannes. "Rettet unser Geld" heißt die Bühnentournee mit Live-Diskussion, mit der Hans-Olaf Henkel, 71, ehemaliger IBM-Manager, Berater der Bank of America, Spendeneinsammler der FDP, Industrielobbyist und Aufsichtsrat von sieben Unternehmen, aktuell durchs Land tingelt.

Der rüstige Mann im Rentenalter, der im Vorjahr nach Heiner Geißler der meistgeladene Talkshow-Gast war, hat eine Mission. Ehemals glühender Euro-Befürworter und verlässlicher FDP-Wähler, zählt er heute zu Deutschlands größten Euro-Kritikern und ist mit den Granden sowie der jungen Führungsspitze der FDP zerstritten. Er habe als Euro-Befürworter einen Kardinalfehler gemacht und bekenne sich auch dazu, sagt der Mann, den einige weit rechts verorten, "Neopopulist" oder "populistischer Stimmenfänger" nennen, der so gerne Initiator einer politischen Bewegung sein will, die Deutschland aus der Euro-Krise führt. Doch das sei ein harter Job, eine Aufgabe, die viel Kraft koste. Seit fünf Monaten, sagt Henkel, meide er Talkshow-Auftritte. Er könne dort seine Botschaften nicht transportieren, werde ständig von Unwissenden mit "Totschlagargumenten" unterbrochen, bekomme nie den Beifall, den er eigentlich verdient habe. Netter als in den "TV-Quasselbuden", hofft er, ist es auf den Theaterbühnen der Republik. Hier hat er statt 20 Sekunden satte 90 Minuten Zeit, um über seine Ansichten zur Europolitik zu dozieren.

Dunkler Anzug, dunkler Mantel, polierte Schuhe, so spaziert Hans-Olaf Henkel zum Bühneneingang. "Ich komme direkt aus meinem Wohnort Berlin", sagt er. "Mit dem Zug, zweite Klasse. Das Ticket habe ich selber bezahlt. Und auch für meinen Vortrag bekomme ich keinen müden Cent. Null Euro vom Kartenverkauf." 450 Menschen haben für je 23 Euro Tickets gekauft. Die Einnahmen gehen für Saalmiete, Sicherheitspersonal und Marketing drauf. Die meisten Zuhörer sind älter als 50 Jahre, gut gekleidet. Eine Hanseatin sagt: "Henkel for President." Ein hinter ihr Sitzender: "Er hat stichhaltige Argumente. In Zeiten wie diesen ist es wichtig, Kritikern eine Bühne zu geben."

Henkel sieht seinen "Einsatz hier als Investition für Deutschland. Die Gesellschaft braucht Aufklärung. Und die Merkels und Röslers Druck. Die müssen endlich aufwachen, unser Land und Geld retten, eine Kehrtwende hinlegen, genau wie in der Atompolitik."

Auf der Bühne stehen ein Tisch, zwei Stühle. Der Moderator führt Henkel als einen der "profiliertesten Wirtschaftslenker" ein, nennt ihn einen "Vordenker, keinen Querdenker", einen "Ehren-, keinen Plagiatdoktor der TU Dresden", der sich viermal mit Fidel Castro getroffen habe und nach dem auf Sulawesi ein giftiger Schmetterling benannt wurde. Das Publikum lacht, klatscht und guckt gespannt.

Jetzt steht Hans-Olaf Henkel allein auf der Bühne, rechts außen. Er hat kein Rednerpult, keinen Stichwortzettel. Nach einem Blick über die gut gefüllten Reihen parliert er los, ohne Stocken oder Stottern: Redet von der Unfähigkeit der Regierenden, von der schlappen "Jugend-forscht-Truppe" der FDP, von der er so enttäuscht ist, vom jüngsten Rettungsschirm, mit dem sich die Regierungen nur Zeit gekauft hätten.

"Frau Merkel behauptet ja: Scheitert der Euro, scheitert Europa", referiert der gebürtige Hamburger. "Ich sage Nein, es gibt Alternativen." Zum Beispiel die Einführung des "Nordeuro oder Nordo" für die wirtschaftlich noch recht intakten Staaten und des "Südeuro oder Südo" für die wirtschaftlich maladen "Olivenländer". Den starken Nordo sollten die "Geberländer" Deutschland, Österreich, Holland und Finnland nach Henkels Plan einführen. Den weicheren Südo die 13 "Nehmerländer" der Euro-Zone, von denen einige nie hätten den Euro einführen dürfen. Sie würden erdrosselt vom starken Euro. Die EU habe 27 Mitgliedstaaten, nur 17 seien in der Euro-Zone. Der Euro habe Europa gespalten. 75 Prozent der Deutschen seien gegen die Hilfspakete, die Mehrheit wolle den Euro nicht mehr. "Wir rennen in einen europäischen Zentralstaat hinein, in die Vereinigten Staaten von Europa, in denen Einfalt und Gleichmacherei herrschen", warnt Henkel mit leicht geröteten Wangen. "Für mich fühlt sich das so an: Ich fahre auf der Autobahn, und 100 Geisterfahrer kommen mir entgegen." Beifall brandet auf. Immer wieder. Niemand fällt Henkel ins Wort wie sonst in den Talkrunden. Dies ist seine Show. Die Henkel-Show. Er zelebriert sie.

Und dann wird es richtig spannend. Die FDP war ja lange die Partei, die seinen Idealen entsprach, wiederholt Henkel: Aber jetzt sei sie unwählbar geworden. Trotzdem ruft er das Publikum auf, Mitglied der im Sturzflug befindlichen Regierungspartei zu werden. Er hebt den Zeigefinger, sagt: "Achtung, wichtig, bis spätestens Ende November die Beitrittsunterlagen anfordern." Dann können die Neu-FDPler sich noch an der vom FDP-Euro-Kritiker und Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler initiierten Mitgliederumfrage beteiligen. "Wenn mehr als die Hälfte der befragten Mitglieder sich hinter Schäffler stellen, wird die FDP und damit die Bundesregierung zu einem Umdenken auch in ihrem irrwitzigen Euro-Kurs gezwungen", hofft Henkel. "Wir sollten der FDP noch eine letzte Chance geben, doch noch auf den richtigen Kurs zurückzukommen. Wenn sie die Chance nicht nutzt, treten wir fix wieder aus und gründen im Januar eine neue Partei. Dann bleibt noch genügend Zeit bis zur Bundestagswahl, bei der wir im Gegensatz zur FDP ausreichend Stimmen bekommen sollten, um es in den Bundestag zu schaffen." Ob er denn selbst auch erwäge, Mitglied der FDP zu werden, wird Henkel aus dem Publikum gefragt. "Ja, wenn Sie alle mit antreten, dann komme ich natürlich mit", antwortet er. "Kommt die FDP nicht zur Vernunft, stehe ich auch für die alternative Partei, die Neue Europa Partei, NEP, heißen könnte, zur Verfügung."

Nach gut zwei Stunden brandet ein letztes Mal Beifall auf. Er hält 42 Sekunden lang an. Der angehende Neupartei-Gründer atmet hörbar erleichtert aus. Der Abend sei gut gelaufen, sagt er. Und einige Dutzend Exemplare seines Buchs hat er auch noch signiert und verkauft.