Beim Euro wurden viele Fehler gemacht. Aber wer ihn abschaffen will, verkennt die historische wie politische Bedeutung für die Gemeinschaft.

Es ist die Stunde der grauen Panther. Sie sind nicht mehr ganz frisch ums Haupt, aber sprungbereit wie eh und je. Ziel ihrer Attacken ist die europäische Währungsunion. "Ein Riss geht durch die Euro-Zone, zwischen Ländern mit starker und mit schwacher Währung", sagt der emeritierte Wirtschaftsprofessor Joachim Starbatty, einer der Veteranen der deutschen Euro-Kritiker. "Um den Euro zu retten, müssen die schwachen Länder ausscheiden."

Geht es schon zu Ende mit dem Euro, ehe er überhaupt die Pubertät erreicht hat? Wird es das letzte Weihnachtsfest sein, bei dem die Deutschen die Gemeinschaftswährung über den Ladentisch reichen? War es ein fataler Fehler, wirtschaftliche Schwergewichte wie Deutschland und Frankreich in einer Geldunion mit Staaten wie Griechenland und Portugal zu vereinen, die fast noch ökonomische Entwicklungsländer sind? Klingt bald wieder die D-Mark in deutschen Kassen anstelle des viel geschmähten "Teuro"?

Starbatty wusste ja schon immer, dass es nicht gutgehen kann mit der europäischen Gemeinschaftswährung. Schon vor zwölf Jahren klagte er vor dem Bundesverfassungsgericht gemeinsam mit den Ökonomen Karl Albrecht Schachtschneider, Wilhelm Nölling und Wilhelm Hankel gegen die Einführung des Euro. Erfolglos damals zwar, aber aus Sicht der "Eurofighter", wie sie später gern genannt wurden, nicht ganz vergebens. Hatten sie doch wenigstens einen Pflock eingerammt bei der Debatte um dieses große Thema. Nachdem die Länder der Euro-Zone im Frühjahr beschlossen hatten, gemeinsam dem wirtschaftlich maroden Griechenland beizuspringen, zogen die alten Kameraden im Mai erneut nach Karlsruhe. Vor dem höchsten deutschen Gericht fochten sie die deutsche Beteiligung an der Hellas-Hilfe an, denn diese verletze die Euro-Staatsverträge.

Mit jedem Monat seither fühlen sich die Herren bestätigt. Nicht nur Griechenland geriet in diesem Jahr an den Rand des Staatsbankrotts, auch Irland musste - wenngleich widerwillig - Finanzhilfen der anderen Euro-Länder annehmen. Einen "Rettungsschirm" von 750 Milliarden Euro an Krediten und Bürgschaften hatten die Euro-Staaten nach dem drohenden Absturz der Griechen gespannt. Der allerdings erscheint längst nicht mehr breit genug. Folgen auf Griechenland und Irland demnächst Portugal und Spanien? Müssen die Europäer gar eine dauerhafte "Transferunion" errichten, ein ökonomisches Netz der starken für die schwachen Staaten der Euro-Zone?

Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen heute und am Freitag in Brüssel darüber beraten, wie die Gemeinschaftswährung stabilisiert werden kann. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, hat einen zentralen Wunsch dafür schon mal formuliert: mehr Staatsgeld im Kampf gegen die Krise.

In den Talkshows wimmelt es dieser Tage von Kassandras

Die Kapitalmärkte setzen die schwachen Euro-Staaten unter Druck. Wenn diese Länder Staatsanleihen - Schuldverschreibungen - begeben, müssen sie dafür wesentlich höhere Zinsen zahlen als etwa Deutschland. Der Schulterschluss der Euro-Länder - derzeit sind es 16 in der Europäischen Union - erscheint kurzfristig als einzige Chance, schwache Staaten vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Das allerdings dürfte wachsende Verpflichtungen vor allem für Europas größte Volkswirtschaft Deutschland mit sich bringen. Es droht womöglich ein dauerhaftes Stützungssystem des europäischen Nordens für den Süden, ähnlich dem deutschen Länderfinanzausgleich, nur in umgekehrter Himmelsrichtung.

Sollen die fleißigen Deutschen nun auch noch Südeuropa alimentieren? Sollen sie noch mehr zum Zahlmeister Europas werden, als sie es ohnehin schon sind, während ihre eigenen Löhne stagnieren und ihre Träume von sicheren Renten platzen?

"Es ist ein Angriff auf die innere Souveränität, die innere Gesetzgebung und die innere Demokratie der europäischen Nationen", schimpft Euro-Kritiker Hankel, "denn der Rettungsschirm und was da noch kommen soll, greift in die Autonomie der nationalen Haushalte ein." Der Wirtschaftsprofessor ist über seine düsteren Voraussagen für den Euro aus den 90er-Jahren "nicht stolz und glücklich. Auch Kassandra war nicht glücklich, als ihre schlimmen Prophezeiungen eingetreten sind".

Von Kassandras wimmelt es dieser Tage in Meinungsspalten und Talkshows. Sie prophezeien das Ende des Euro in seiner jetzigen Form und weisen auch gleich auf Auswege hin: Die Teilung der Gemeinschaftswährung in einen Nord- und einen Südeuro, einen für die Streber- und einen für die Schlaffi-Staaten, schlägt Hans-Olaf Henkel vor, der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Bei der Gelegenheit wirbt er gleich für sein neues Buch "Rettet unser Geld!". Da gibt sich der einstige Euro-Promotor Henkel auch gern mal zerknirscht: "Ich bekenne mich schuldig", sagt er. "Heute sehe ich meinen Einsatz für den Euro als größte Fehleinschätzung meiner beruflichen Laufbahn." Als BDI-Präsident hatte Henkel in der Wirtschaft für den Euro so vehement geworben, wie er die heutige Währungsunion ablehnt.

Seit Anfang 2002 gibt es den Euro für die Bürger der Mitgliedstaaten als Bargeld. Bereits in seiner ersten ernsthaften Krise steht er in der Kritik wie früher nur die chronisch labile italienische Lira. Eine Aufteilung der Währungsunion in Nord und Süd ist nur eine der Varianten, die dieser Tage hitzig diskutiert werden. Auch ein Alleingang der stärkeren Nordstaaten in einer verkleinerten Währungsunion steht zur Debatte, der Zwangsauschluss der siechen Griechen oder gleich die komplette Abschaffung des Gemeinschaftsgeldes. Gern verweisen die Euro-Skeptiker auf die Meinungsforschung. Denn etliche Deutsche trauern noch immer ihrer guten alten D-Mark nach. Warum nicht ihre Auferstehung fordern, wie es Blogger in vielen Internetforen tun?

Ökonomischen Laien mag man bei diesen Debatten fehlendes Wissen nachsehen und dem Selbstvermarkter Henkel die Angst vor seinem Bedeutungsverlust. Bedenklich aber wirkt die Art, in der manche Profis die Gemeinschaftswährung niederreden.

Der Euro ist weit mehr als ein Zahlungsmittel, er dient der Entwicklung eines modernen Europa. Die Anführer der deutschen Wirtschaft wissen das genau: "Die deutsche Industrie war und ist ein eindeutiger Befürworter der gemeinsamen europäischen Währung", sagt BDI-Präsident Hans-Peter Keitel. "Dem stabilen und sicheren Euro haben wir als deutsche Wirtschaft einen Teil unseres Erfolgs zu verdanken." Auch Arbeitgeberpräsident und Unternehmer Dieter Hundt sieht es so: "Der Euro hat sich in der Krise bewährt." Die öffentliche Meinung aber klingt anders: In einer aktuellen Umfrage für das Magazin "Stern" sagen 45 Prozent der Befragten, der Euro habe Deutschland eher Nachteile gebracht - nur 33 Prozent stellen die Vorteile heraus.

Die Erweiterung der europäischen Union und die Einführung des Euro waren Ende der 90er-Jahre populärer als heute. Die Aussicht auf ein einigeres Europa entfaltete ähnliche Dynamik wie ein Jahrzehnt zuvor die deutsche Einheit. Viel zu kurz kam dabei die Information, dass diese Währung ähnlich funktioniert wie eine Ehe: Sie ist gedacht für gute und für schlechte Zeiten.

Nun fehlt der Gemeinschaft quasi der Ehevertrag. Die Griechen haben sich in die Gemeinschaftswährung mit frisierten Statistiken seinerzeit hineingefälscht, die Iren sich bei der Rettung ihrer Banken nach dem Kollaps am Immobilienmarkt gefährlich überschuldet. Die einst als streng gedachten Maastricht-Kriterien für die Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten scheinen niemanden mehr sehr zu interessieren.

Was tun? Die Euro-Länder werden Regeln für eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik definieren müssen und obendrein strengere Vorgaben für Disziplin in den nationalen Haushalten. Die Euro-Krise, glaubt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), könnte am Ende das voranbringen, was der EU gegen den Widerstand ihrer Bürger in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist - eine wesentlich engere Union der EU-Staaten.

Völlig überholt kann die Idee von der gemeinsamen Währung nicht sein. Neun Staaten bewarben sich bei der zurückliegenden Runde um die Mitgliedschaft im Euro-Klub, noch unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und mit dem Wissen, dass Gemeinschaft in einer globalisierten Welt stärker macht. Nur Estland erfüllt einstweilen die nötigen Finanzkriterien und wird zum 1. Januar den Euro einführen. Der letzte Beitritt aber dürfte das kaum gewesen sein. Auch Schweden und Polen wollen das europäische Geld, ebenso Litauen und Lettland.

Helmut Schmidt fordert von den Deutschen weitere Opfer

An die historische Bedeutung des Euro hat niemand so eindringlich und unermüdlich erinnert wie dessen Miterfinder Helmut Schmidt. In den 70er-Jahren stellte er als Bundeskanzler gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten Valery Giscard d'Estaing die entscheidenden Weichen für den Weg zur Gemeinschaftswährung. Der 91-jährige Staatsmann sieht im Euro weit mehr als die Zins- und Erbsenzähler dieser Tage. "Wer in dieser Lage lediglich taktiert und finassiert, wer gar jedwedes Auseinanderfallen des Euro-Verbundes öffentlich diskutiert, dem fehlt jede Weitsicht", schreibt der Mitherausgeber der "Zeit" in deren jüngster Ausgabe. Bräche die Euro-Zone auseinander, würden die Währungen der schwachen Südländer gefährlich ab-, eine wiedereingeführte D-Mark hingegen "kolossal aufgewertet" werden, so Schmidt. Mit einer so erstarkten neuen Mark aber würden "der deutsche Export schwer behindert, der hohe soziale Wohlstand und ungezählte deutsche Arbeitsplätze vernichtet".

Der Altbundeskanzler spricht mit Blick auf die Euro-Zone eine Botschaft aus, an die sich die meisten amtierenden Politiker aus Furcht vor dem Groll der Wähler nicht herantrauen: "Selbstverständlich werden die notwendigen Reparaturen insbesondere uns Deutsche abermals viel Geld kosten." Die Deutschen aber hätten in der Vergangenheit "erheblich zum Unfrieden in Europa und in der Welt beigetragen". Deshalb müssten sie nun "auf eine ganz andere Weise dazu beitragen, dass die Schrecken der Vergangenheit sich nicht wiederholen können. Dafür sind weitere Opfer an Souveränität und an Geld geboten", mahnt Helmut Schmidt.

Deutlich sind sie, diese Worte. Düster aber klingen sie nicht.