Die Deutsche Bahn startet am 1. November ihr neues Bezahlsystem Touch & Travel. Doch Experten halten die Technik für noch nicht ausgereift.

Hamburg. Die Schlange im Reisezentrum ist lang, und auch vor dem Fahrkartenautomaten warten Reisende, bis sie ihr Ticket ziehen können. Doch der Zug fährt in wenigen Minuten. In Hauptverkehrszeiten ist das keine ungewöhnliche Situation. Kleine blaue Kästen an Bahnhöfen, in Nähe der Fahrkartenautomaten, sollen Abhilfe schaffen. Handy davorhalten, einsteigen, Strecke fahren, aussteigen. Schlange stehen und Fahrkarte lösen ist somit überflüssig. Einmal im Monat schickt die Bahn dann eine Rechnung und der Betrag wird vom Konto abgebucht. Vorher muss man sich bei der Bahn für das System anmelden und seine Kontoverbindung angeben.

"Wir starten nach mehrjähriger Testphase am 1. November bundesweit mit unserem Bezahlsystem Touch & Travel" (berühren und fahren), sagt Holger Auferkamp von der Deutschen Bahn. "Dann sind alle Fernbahnhöfe mit entsprechenden An- und Abmeldestationen ausgerüstet." Doch noch kämpft das neue Bezahlverfahren mit einigen Hindernissen.

Damit es schnell geht, soll das Handy nur vor den blauen Kasten gehalten werden. Doch dafür muss das Smartphone mit der Nahfunktechnik NFC ausgerüstet sein. Darüber verfügen nur die wenigsten Geräte, nicht einmal das neue iPhone. Alternativ bleibt das Abfotografieren eines Barcodes oder das Eingeben der Nummer, die der blaue Kasten trägt. Die Bahn nennt ihn Touchpoint.

Auf diese Weise werden Einsteige- und Zielbahnhof ermittelt, was für die spätere Abrechnung wichtig ist. "Das ist nicht für den Massenbetrieb ausgelegt, wenn man sich vorstellt, dass viele Fahrgäste so ihre Tickets erwerben wollen", sagt Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn dem Abendblatt. Er gehört zu den Testkunden des Systems und hat bereits Erfahrungen gesammelt.

Die Alternative zum Einloggen am Touchpoint ist das An- und Abmelden per Geodaten (GPS). Der Ticketpreis errechnet sich dann mithilfe der Funkzellen, die der Bahnfahrer auf seiner Reise durchfährt. Alle paar Minuten wird das Smartphone per GPS geortet. Mit diesem Verfahren wäre es auch möglich, sich erst nach einer oder mehrerer gefahrener Stationen anzumelden und so einen Teil der Strecke schwarzzufahren. "Die Fahrgäste müssen jederzeit mit einer Kontrolle rechnen", sagt Auferkamp. "Außerdem gehen wir nicht davon aus, dass das System auf diese Weise missbraucht wird."

In jedem Fall sind An- und Abmeldung ganz wichtig. Sonst fährt man nach Berechnungen der Bahn weiter als in der Realität und zahlt entsprechend mehr. "Beim Umsteigen ist kein erneutes Ab- und Anmelden erforderlich", sagt Auferkamp. Die so gewonnenen Daten werden nach 55 Tagen gelöscht. Bahnexperte Naumann sieht beim Datenschutz kein Problem, aber noch eine andere Gefahr: "Auch nach dem Einloggen am Touchpoint muss man die beabsichtigte Fahrt noch einmal bestätigen. Sonst hat man keine Fahrkarte." Bei der Kontrolle wird dann das Handy mit einem abgebildeten Barcode vorgezeigt. Deshalb muss auch der Akku über die gesamte Fahrstrecke durchhalten.

Den Preis für die Strecke erfährt der Kunde erst beim Aussteigen. "Wir wissen ja nicht, wie weit der Kunde fahren will", sagt Auferkamp. Denn eine Zieleingabe ist mit der Anmeldung nicht nötig. "Das sehe ich als einen Verstoß gegen die Preisangabenverordnung", sagt Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg. Immerhin wird die Bahncard berücksichtigt, wenn man eine besitzt.

Aber eine Platzkarte kann man mit dem System Touch & Travel nicht buchen, ebenso nicht spezielle Spartarife der Bahn. "Dabei wäre es naheliegend, dass Kunden, die die neue Technik nutzen, immer den günstigsten Preis bekommen", sagt Castelló. Doch Sondertarife müssen nach deutschem Recht allen Kunden angeboten werden, auch denen, die nicht mit einem Smartphone bezahlen wollen.

Zudem ist die Nutzung des neuen Systems auf Kunden von Telekom, Vodafone und O2 beschränkt. Auch im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) funktioniert Touch & Travel nicht. "Der HVV verfügt über ein eigenes System zum Bezahlen per Handy", sagt ein Sprecher. "Nach dreijähriger Testphase finde ich Touch & Travel noch nicht ausgereift", urteilt Castelló.

Als Alternative bleibt technikafinen Kunden die kostenlose App DB Navigator. Sie funktioniert - im Gegensatz zu Touch & Travel - mit allen Mobilfunknetzen. Auch damit kann man sich ein Handy-Ticket buchen und zusätzlich eine Platzkarte. Ein weiterer Vorteil: Den Preis erfährt man sofort.