Nach dem Urteil zu gentechnisch verunreinigtem Honig verlangt Berlin umfangreiche Kennzeichnungspflicht.

Hamburg. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu gentechnisch verunreinigtem Honig hat womöglich weitreichende Konsequenzen: Verbraucher dürfen nun auf eine generelle Gentechnik-Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel hoffen. Mit dem Urteil im Rücken will die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ilse Aigner (CSU), eine solche europaweit geltende Kennzeichnung durchsetzen.

"Wir kämpfen seit Jahren dafür, aber bisher standen wir damit in Europa allein", sagte Ministeriumssprecher Holger Eichele dem Abendblatt. "In Brüssel hieß es immer, es gebe keinen Handlungsbedarf. Jetzt haben wir Handlungsbedarf."

Nach dem Richterspruch des EuGH vom Dienstag darf Honig, der auch nur geringste Rückstände wie Pollen von Genpflanzen enthält, nur dann in den Handel kommen, wenn die Substanzen eine Lebensmittelzulassung haben. Im konkreten Fall ging es um die Klage eines Augsburger Imkers, neben dessen Bienenkörben Genmais der Sorte Monsanto 810 angebaut worden war. Dieser ist jedoch nur als Futtermittel und nicht als Lebensmittel zugelassen.

Auch wenn sich das Urteil auf Honig bezieht, betrifft die neue Rechtslage nach den Worten von Eichele ebenso Milch von Kühen, die genmanipuliertes Tierfutter fressen. Bisher unterliegen tierische Erzeugnisse wie Honig oder Milch nicht der Kennzeichnungspflicht für genmanipulierte Inhaltsstoffe.

Noch gestern Abend wollte Ministerin Aigner telefonisch mit ihren Amtskollegen aus den Bundesländern über die Konsequenzen aus dem neuen Urteil beraten. Auch auf der turnusmäßigen Verbraucherschutzministerkonferenz am Donnerstag und Freitag kommender Woche in Bremerhaven soll darüber gesprochen werden. So ist bisher noch unklar, was mit dem Honig geschieht, der bereits in den Regalen des Einzelhandels steht.

Der deutsche Imkerbund betrachtet das Urteil des EuGH als großen Erfolg: "Damit wurde endlich die von der Imkerschaft seit Langem geforderte Rechtssicherheit geschaffen", sagte Verbandspräsident Peter Maske. Ein Imker, der in seinem Honig gentechnisch veränderte Organismen finde, könne nun Schadenersatz von demjenigen verlangen, der die entsprechenden Pflanzen angebaut habe.

Den Gesetzgeber forderte Maske auf, die Sicherheitsvorschriften für den Anbau von Genpflanzen deutlich zu verschärfen. "Ein Sicherheitsabstand von 300 Metern ist nicht mehr ausreichend. Stattdessen sollte der Abstand zu Feldern mit konventionell angebauten Pflanzen mindestens zehn Kilometer betragen", sagte er. Er räumte aber ein, dass dies den Anbau von Genpflanzen in Deutschland quasi unmöglich mache. Tatsächlich könne der EuGH-Spruch erhebliche Folgen für die zulässigen Abstände haben, sagte Aigner-Sprecher Eichele. Der Bauernverband riet seinen Mitgliedern angesichts der "unkalkulierbaren Haftungsrisiken" vom Anbau von Genpflanzen ab.

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Als Konsequenz aus dem Urteil forderte Maske auch eine flächendeckende Untersuchung von Honig auf gentechnisch veränderte Organismen. Nach Einschätzung des Verbandspräsidenten könnten bis zu zwei Drittel des Importhonigs, der nach Deutschland eingeführt wird, mit gentechnisch veränderten Organismen verunreinigt sein. "Dies betrifft vor allem Honig aus südamerikanischen Staaten wie Argentinien, in denen in großem Umfang Gentechnik in der Landwirtschaft eingesetzt wird." Rund 80 Prozent der 83 000 Tonnen Honig, die die Deutschen jährlich konsumieren, kommen aus dem Ausland, vor allem aus Süd- und Mittelamerika.

In Hamburg ist für die Kontrolle von heimischem und importiertem Honig das Institut für Hygiene und Umwelt zuständig. "Wir beraten noch, wie wir uns auf das EuGH-Urteil einstellen müssen, weil man eine Entscheidung in dieser Richtung nicht unbedingt erwartet hat", sagte Arne Mohring, Prüfleiter für Honig, dem Abendblatt. Das Institut untersucht Honig bisher nur "bei Verdacht" auf Gentechnik.

So wurden im Jahr 2007 in allen zwölf geprüften Rapshonigen aus Kanada "wesentliche Anteile" des gentechnisch veränderten Monsanto-Rapses GT73 in den Pollen nachgewiesen. Dieser Raps ist allerdings in der EU als Lebensmittel zugelassen.

Nach Auffassung von Gerd Billen, Vorsitzender des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, stellt das EuGH-Urteil den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen im Freiland infrage. Das Problem bei der Gentechnik seien zunächst nicht potenzielle Gesundheitsgefahren, sagte Billen der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Es gehe vielmehr darum, dass jemand, der gentechnikfreie Waren anbieten wolle, "diese Option auch haben muss".

Beim Honiganbieter Langnese aus Bargteheide jedoch blieb man gelassen. Aufgrund von Analysen könne man versichern, "dass sich die neue Rechtsprechung nicht auf die Verkehrsfähigkeit und Deklaration unserer Produkte auswirkt", erklärte Frank Filodda, Leiter Qualitätssicherung bei Langnese.