Die Wirtschaftsregierung sei nur ein symbolischer Schritt. HWWI-Chef Thomas Straubhaar fordert Euro-Bonds und Aus für Leerverkäufe.

Hamburg. Einen Tag nach dem deutsch-französischen Gipfeltreffen haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ihre Vorschläge nun auch in einem Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy geschickt. Ihr Hauptziel ist es, mit einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung der 17 Euro-Länder, die sich zweimal pro Jahr trifft, "den institutionellen Rahmen des Euro-Währungsgebiets zu stärken und straffer zu organisieren". Ob die Maßnahmen reichen, die aktuelle Schuldenkrise einzudämmen, ist jedoch in der Politik und im Euro-Raum umstritten. Noch fehlen Details, wie die Pläne umgesetzt werden sollen. Das Abendblatt hat Ökonomen zur Wirksamkeit der Ideen befragt:

Gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung

Der Plan für eine gemeinsame Wirtschaftsregierung ist ein "symbolischer Schritt", sagt der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, Gustav A. Horn. "Sarkozy und Merkel haben erkannt, dass es eine isolierte Wirtschaftspolitik in einem gemeinsamen Währungsraum nicht mehr geben kann." Klar sei aber auch, dass eine Wirtschaftsregierung, die sich nur zweimal im Jahr trifft, keine Regierung im herkömmlichen Sinne ist, zumal ihr die demokratische Legitimation fehlt. Hauptaufgabe dieser Wirtschaftsregierung sollte es sein, Ländern, die in Schwierigkeiten stecken, konkrete Ratschläge und Hilfen zu geben, wie sie ihre Finanzpolitik wieder auf den richtigen Pfad bringen.

Für den Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, ist die Idee weder neu noch zielführend. "Wir brauchen keine Euro-Regierung, die nur Grundsätzliches beredet. Wir brauchen ein Aufsichtsgremium, das konkret sämtliche Instrumente, wie den Rettungsschirm oder Euro-Bonds, kontrolliert und justiert." Den stark verschuldeten Ländern muss nachhaltig geholfen werden, aus der Schuldenfalle herauszukommen. Der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Joachim Scheide, hält von dem Vorschlag gar nichts. "Solche Treffen gibt es seit vielen Jahren, doch letztlich brachte dies alles nichts."

Finanzmarkttransaktionssteuer und Körperschaftssteuer

Bis Ende September wollen die Länder einen Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer vorlegen und bis 2013 ihre Unternehmenssteuern vereinheitlichen. Die Besteuerung aller Finanztransaktionen hält Horn für sinnvoll. Damit könnte der Anreiz für viele hochspekulative Transaktionen vermindert werden, die nicht selten zu den Verwerfungen an den Börsen beitragen. Zudem werde damit der Finanzsektor an den Kosten seines Tuns beteiligt. Der Sparer, der dreimal im Jahr etwas von seinem Konto abhebt, würde die Belastung kaum spüren. Investoren, die täglich Hunderttausende Operationen vollziehen, umso mehr. "Der Steuersatz sollte zwischen 0,1 und 0,5 Prozent auf die Umsätze betragen", schlägt Horn vor. Geschätzt würden damit bis zu 20 Milliarden Euro jährlich eingenommen. Das Geld sollte nach einem festgelegten Schlüssel, der sich nach dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) richten könnte, auf die 17 Euro-Länder verteilt werden. Straubhaar lehnt eine Finanzmarkttransaktionssteuer ab. Mit einer solchen Abgabe würden auch Geschäfte belastet, die nichts mit Spekulationen oder reinem Finanzhandel zu tun hätten. Beispielsweise würde somit auch der Verkauf einer internationalen Firma belastet.Scheide hält eine Finanzmarkttransaktionssteuer nur für sinnvoll, wenn sie international eingeführt wird. Sonst sei sie nicht wirksam.

Verbindliche Obergrenze für die Staatsverschuldung

Eine Schuldenbremse soll nach dem Vorbild Deutschlands auch in allen Euro-Ländern in die Verfassung aufgenommen werden. Laut Grundgesetz darf in der Bundesrepublik von 2016 an die Neuaufnahme von Schulden maximal 0,35 Prozent des BIP betragen. Straubhaar hält nichts davon. "Schon der Maastricht-Vertrag ist zum zahnlosen Tiger geworden. Fast alle Regierungen verstoßen gegen die Kriterien und tragen dafür immer gute Gründe vor. Eine weitere nationale Selbstverpflichtung scheint deshalb nicht zielführend. Wenn der Stabilitätspakt schon gescheitert ist, warum sollte eine Schuldenbremse wirken?" Fakt ist: Schon im Maastricht-Vertrag wurden zur Stabilität des Euro strenge Kriterien festgelegt. Danach darf die öffentliche Verschuldung maximal 60 Prozent des BIP jedes Euro-Mitglieds betragen, die Höhe der jährlichen Neuverschuldung höchstens drei Prozent. Beide Kriterien werden regelmäßig verletzt - und seit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers von keinem der großen Euro-Länder eingehalten. Die einst vorgesehenen Geldbußen werden angesichts der Krise nicht verhängt.

Die Verordnung einer Schuldenbremse nach deutschem Modell hält IMK-Chef Horn zudem für einen "schwerwiegenden Eingriff von außen in demokratische Gepflogenheiten". Es könnte manche Länder sogar destabilisieren. Der Konjunkturchef des Kieler IfW hält auch nichts von neuen Schuldenbremsen. "Es müssen vielmehr Mechanismen geschaffen werden, mit denen bestehende Kriterien endlich überwacht und eingehalten werden", sagt Scheide. "Es muss sich hier grundlegend etwas in der Philosophie der Politik ändern. Gute Vorsätze reichen nicht, sie müssen auch umgesetzt werden."

Alternativen: Regulierung der Finanzmärkte und Euro-Bonds

Als Alternative zu den Vorstößen sprechen sich Wirtschaftswissenschaftler vor allem für ein stärkere Regulierung der Finanzmärkte aus. Die Rolle der Rating-Agenturen, Leerverkäufe oder Hedgefonds müsse neu definiert werden. Hier wäre eine strengere Aufsicht notwendig. So sollten aus Sicht von HWWI-Chef Straubhaar Leerverkäufe weltweit verboten werden. "Derzeit werden wir noch zu sehr von den Finanzmärkten getrieben. Es darf nicht sein, dass Rating-Änderungen, gepaart mit Leerverkäufen zu einer Eigendynamik an den Aktienmärkten führen, die mit der realen Wirtschaft nichts mehr zu tun hat." Zudem müsse der Rettungsfonds deutlich aufgestockt werden, um die Krise in den Griff zu bekommen, ist Horn überzeugt. Straubhaar plädiert zudem für die Ausgabe von Euro-Bonds. "Euro-Bonds würden einen Befreiungsschlag in der jetzigen Situation bringen." Sie seien ein Baustein zur Finanzierung des Rettungsschirms. Merkel und Sarkozy lehnen Euro-Bonds bisher ab.