Verbauter Meerblick, zu dicke Animateure: Bei den Urlaubskonzernen gehen viele Reise-Reklamationen ein. Ein Tag beim TUI-Kunden-Service.

Da war die Kundin, deren Pilot auf der Hinreise "zu schnell geflogen" war, um eine Verspätung aufzuholen. Urlaubsmindernde Folge: "Ohrenschmerzen." Da war die Frau, in deren Hotelzimmer in Ägypten eine Gratisflasche Rotwein wartete, leider aber auch zwei Gläser - "obwohl doch bekannt war, dass ich allein reiste!" Ein Affront gegenüber der Single-Reisenden.

Und da war das Ehepaar, dem im Appartement zwei zum Doppelbett zusammengeschobene Einzelliegen zu schaffen machten: "Hier rutschte nicht nur das Bett auf den Fliesen, sondern auch die Matratze vom Bett." Ein "gemeinsamer Schlaf" war unmöglich, ein bisschen Improvisation offenbar auch: "Unser Familienleben war massiv beeinträchtigt."

Urlaub ist auch ein halbes Jahrhundert nach Josef Neckermann für viele Deutsche ein Abenteuer geblieben. Frei nach Eugen Roth: weiß nicht woher, weiß nicht wozu, mich wundert's, dass ich's trotzdem tu . Denn die Gefahren lauern immer und überall. Afrikaner am Strand, andere Deutsche im Pool, zu hohe Wellen vor den Seychellen und zu niedrige Temperaturen im Zimmer. Schließlich, der liebste Feind des Pauschalreisenden, unbotmäßiges Servicepersonal.

Beide Animateurinnen "sind dick und deshalb kaum auseinanderzuhalten", beschwerte sich ein Urlauber auf Mallorca. "Wir aßen doch bloß einen Keks", jammerte ein anderer in Italien, als ihn der Bademeister aus dem Pool verwies wegen wiederholten Verstoßes gegen das Verzehrverbot.

"Nein", sagt Judith Rott, Leiterin des Kundenservice von Europas größtem Reisekonzern, der TUI in Hannover, "es gibt nichts, worüber sich unsere Gäste noch nicht beschwert haben."

Der Ärger geht ja oft schon vor der Reise los. Deshalb hat das Touristikunternehmen eigens ein Bearbeiterteam für vorauseilende Reklamationen installiert. Das kümmert sich dann um Kunden, die mit den Flugzeiten nicht einverstanden sind oder nach der Buchung den Katalogtext noch mal genauer studierten und dabei feststellten, dass mit der "aufstrebenden Ferienregion" kein Platz am neuen Lieblingsziel der High Society gemeint ist, sondern viele Bauarbeiter und ein Kran vor dem Fenster.

Beliebtes Missverständnis: das "Zimmer zur Meerseite", von dem aus das Meer nur selten zu sehen ist, dafür aber meist die Rückseite eines anderen Hotelblocks, der sich die Frontposition am Strand gesichert hat. Und auch der "Naturstrand" ist selten so idyllisch wie er klingt, sondern meist ungepflegt, mit Algen und spitzen Steinen.

Andere Kunden nahmen Anlass zur frühen Klage, weil die umfangreichen Reiseunterlagen den heimischen Briefkasten verbeulten: "Das Ableitblech innerhalb des Briefkastens wurde verbogen und die Briefkastenklappe ließ sich nicht mehr schließen", schrieb ein Mann nach Hannover. Sachbeschädigung, Schadenersatz!

Noch schlimmer getroffen fühlte sich ein selbst ernannter "Premium-Kunde", dessen Hochschultitel offenbar der Computer verschluckt hatte. Ein deutscher Professor ist schließlich auch im Urlaub im Dienst und verlangt den nötigen Respekt an Rezeption und Poolbar: "Wenn ich mit TUI-Unterlagen auf Reisen bin", schrieb jedoch der Herr Professor Doktor, "gerate ich jedes Mal in Rechtfertigungsnöte, wenn ich meine Identität (Hotel, Voucher, Reiseleitung o. a. m.) offenlegen muss. Ich werde dann angeschaut, als wäre ich ein Hochstapler. Das ist unerträglich."

Rasende Piloten, Figurprobleme der Angestellten, Schlampereien in der Adresszeile - nichts entgeht den kritischen Augen deutscher Reisender. Nicht mal die Urlaubsreklame. "Sie werben", mailte ein erzürnter Kunde an Frau Rott, "mit einem Mann, der auf einem Esel sitzt. Der ausgewachsene Mann ist nach unbestrittener veterinärmedizinischer Auffassung für den Esel als Last viel zu schwer."

"Auf manche Anfragen", sagt Frau Rott und schüttelt ihre weichen braunen Locken, "fällt mir auch nicht sofort etwas ein."

Beruhigend zu wissen, dass nicht nur wir Deutschen zu klagen haben. Eine polnische Mutter zog einen Reiseveranstalter vor Gericht, weil ihre 13-jährige Tochter schwanger aus dem Ägyptenurlaub zurückkehrte. Schuld war nicht etwa ein hübscher Junge aus dem Zimmer nebenan, sondern "durch den Hotelpool streunende Spermien". Ebenfalls Ungemach auf hoher See erlitt ein englischer Rentner: Er musste sich übergeben, dabei ging sein Gebiss über Bord. Wer bezahlt nun den Schaden?, wollte der zahnlose Mann wissen.

Warum verlieren wir ausgerechnet in den Ferien unsere Gelassenheit und suchen nach dem Fehler im System, nach der Panne im Pauschalen? Ist es Langeweile? Ferienkoller? Oder gehört die ausgefeilte Reklamation am Ende des Urlaubs längst so zum Ritual wie einst die Dia-Show mit Käsehappen und Bier? 63 000 Beschwerden erreichen pro Jahr Frau Rotts Abteilung. Per Brief, per Fax, per Telefon und zunehmend per Mail. Im Schnitt 200 pro Tag. Das klingt viel, aber Frau Rott weist darauf hin, dass das gerade mal zwei Prozent des Buchungsaufkommens entspricht. Die britische Königin bekommt mehr Post von ihren Untertanen.

+++ Top Ten der Reisemängel +++

Die ganz überwiegende Zahl der Reisen geht also gut. Obwohl Boulevardzeitungen und Fernsehsendungen wie "Der Urlaubsreporter" den Bedarf des Menschen, sich auch in der schönsten Zeit des Jahres zu sorgen, treffsicher erkannt haben und ihr Publikum schulen, hinterm Duschvorhang nach Schimmel zu fahnden und unterm Laken nach einem Haar des Zimmermädchens.

Unter den Beschwerdeführern ist der Berufsreklamist, der - halb Paranoiker, halb Weltverbesserer - grundsätzlich an allem etwas auszusetzen hat, wiederum eine kleine Minderheit. Deutlich unter fünf Prozent, schätzt Frau Rott. Die meisten hätten ein echtes Anliegen, und, jetzt kommt's: "Wir freuen uns über jede Reklamation!" Denn nur so können die Urlaubskonzerne auf Schwächen reagieren, ihre Vertragshotels ins Gebet nehmen oder den örtlichen Reiseleiter zusammenstauchen.

Hinzu kommt, dass Beschwerden ein hervorragendes Bindemittel sind. "Wir überprüfen regelmäßig", sagt Frau Rott, "ob unsere Kunden wieder gebucht haben." Unter den Beschwerdeführern liegt die Wiederholungsquote um sechs Prozentpunkte höher als bei denen, die nichts von sich hören ließen. Der Querulant, dein Freund und Helfer? "O ja", nickt Frau Rott. Das sei ja nicht nur im Tourismusgeschäft so. Andere Branchen hätten ebenfalls festgestellt: Kritiker sind die treuesten Kunden.

Unverständlich, wenn Unternehmen dann doch nachlässig und unwirsch auf ein Gesprächsangebot reagieren. Wie etwa die Fluggesellschaft British Airways, wo man sich ungnädig zeigte, als ich nach einem Rückflug von New York eine Verspätung von acht Stunden bemängelte. In der hastig getippten Antwort teilte British Airways mit, dass der Kundenärger bei ihr zurzeit überhandnehme und man sich nicht sofort um alles kümmern könne: "Aufgrund eines ungewöhnlich hohen Aufkommens, das wir im Moment zu bearbeiten haben, möchten wir Sie schon im Voraus um Geduld bitten. Wir werden uns unaufgefordert wieder mit Ihnen in Verbindung setzen." Setzen, Ruhe, hieß das wohl. Einen guten Monat später kam der abschlägige Bescheid, in seiner Offenheit wiederum fast herzerweichend: "Ich weiß, dass dies nicht die Antwort ist, die Sie erwartet hatten, und es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen ..."

Aus solchen Briefwechseln können Freundschaften wachsen. Frau Rott kennt Fälle, mit denen es seit Jahren hin- und hergeht - durchaus irgendwann auch im Positiven. Ihre Kollegin Karin Llapashtica betreute 2004 die Urlauber, die von der Flutwelle in Südostasien betroffen waren. Es ging um die Benachrichtigung von Angehörigen, Rückholung, Erstattung und Nachsorge durch psychologische Dienste. Eine Kundin, die den Tsunami überlebte, schreibt ihr noch heute, wann immer sie wieder auf Reisen geht.

Krisen, weiß man bei TUI, sind stets auch Chancen für ein Unternehmen, sich zu beweisen. Mit der isländischen Aschewolke und dem europaweiten Flugverbot im Frühjahr 2010 war es ähnlich. Alles an sich ein großes Ärgernis, das die Veranstalter viel Geld kostete, allein TUI schrieb 120 Millionen Euro ab. Aber auch eine Gelegenheit zu zeigen, dass man die Kunden nicht im Stich lässt.

In der Konzernlobby in Hannover hängen zur Motivation der Mitarbeiter an einer großen Plakatwand fast 100 Dankesbriefe, die nach dem Vulkanausbruch eintrafen. Eine gute Erinnerung, dass es im Milliardengeschäft Tourismus nicht um den Export von Kaffeebohnen oder Flugzeugersatzteilen geht, sondern um Menschen. Hinter jeder Kundennummer steckt eine Geschichte, ein individuelles Urlaubserlebnis.

+++ Service: Reiserecht +++

Beschweren ist einfach. Voraussetzung ist nur, dass der Kunde die Mängel schon im Urlaub zu Protokoll gegeben hat, damit die örtliche Reiseleitung die Gelegenheit hatte, sofort zu reagieren. Lässt sich der Schaden nicht beheben, sollte die Reklamation nach der Rückkehr innerhalb eines Monats an den Veranstalter geschickt werden.

Für jedes Schreiben wird eine elektronische Akte angelegt, mitgesandte Fotos oder Beweisstücke werden eingescannt und nach Datum in grauen Hängeregistraturen abgelegt. Es sei denn, beim Corpus Delicti handelt es sich um Dinge, die entsorgt werden müssen, um Kakerlaken oder ein im Hotelzimmer gefundenes Glasauge beispielsweise. Alles schon vorgekommen.

Was bei der Durchsicht des Posteingangs auffällt: Nachsicht und Humor sind selten. Die Schreiber kennen ihre Rechte, der Ton ist scharf, die Anklage krachend. Und schnell wird die ganz große Keule herausgeholt: "Andernfalls - Prozess am Hals." Man meint, als Ghostwriter diene die Herzkönigin aus "Alice im Wunderland" - die schrie immer "Kopf ab, Kopf ab!", sobald beim Krocketspiel etwas schieflief.

Dabei bringt massives Vorgehen keine Vorteile. Was die Beschwerdeführer oft vergessen: Auch am anderen Ende der Leitung sitzt ein kleiner Mensch, nicht die abgebrühte Anwaltschaft des Aktienkonzerns.

Schließlich war da auch noch ein Urlauber, der Angst hatte, zufrieden zu sein. Das kam so: Eine Anzeige für einen Ferienflieger zeigte einen strahlenden jungen Mann neben einer lächelnden Stewardess kurz vor dem Start unter der Überschrift: "Wenn Sie zufrieden sind, haben wir unser Flugziel erreicht." Der Kunde kam ins Grübeln: "Was ist", fragte er, "wenn ich sofort nach Einsteigen in das Flugzeug zufrieden bin? Bleibt das Flugzeug dann am Boden?" Oder noch schlimmer: "Kurz nach dem Abheben fühle ich mich so richtig zufrieden. Dreht das Flugzeug dann um und landet sofort wieder?"

Was antwortet man auf so einen Brief? Antwortet man überhaupt?

"Natürlich", sagt Frau Rott.

Irgendetwas nicht ernst zu nehmen entspräche nicht ihrer Natur. Kann sie sich auch nicht leisten. "Ab und zu haben wir den Eindruck, ein Brief stammt gar nicht von Kunden, sondern von einem Komiker oder einem Journalisten." Ein Test sozusagen, in der Hoffnung, die Beschwerdestelle gebe sich in Anbetracht blühenden Irrsinns eine Blöße.

Mit dieser Hoffnung ist man bei Frau Rott allerdings an der falschen Adresse. Blühender Irrsinn ist für sie ganz normal. Und bisher hat sie immer eine Antwort gefunden.