EU-Kommissar Oettinger regt Aufbauplan und Entsendung von Experten an. Deutsche Wirtschaft prüft verstärktes Engagement vor Ort.

Hamburg. Bislang drehte sich die Diskussion vor allem um Griechenlands überbordende Schulden. Nun aber rückt in den Vordergrund, wie die angeschlagene Wirtschaft des Landes in den kommenden Jahren gestärkt und modernisiert werden könnte - mit Hilfe aus der Europäischen Union.

"Es ist richtig, Griechenland zu helfen. Neben dem Rettungsschirm und den Auflagen zur Haushaltskonsolidierung brauchen wir einen Aufbauplan für Griechenland, der vergleichbar ist mit dem Aufbauplan 1990 für die neuen Bundesländer", sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger dem Abendblatt. Der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Mitglied der CDU, plädiert dafür, die griechische Verwaltung und die Wirtschaft mit erfahrenem Personal zu unterstützen, sofern dies gewünscht wird: "Ich kann mir vorstellen, dass aus EU-Ländern pensionierte Berufsschullehrer und Handwerksmeister im Ruhestand freiwillig und auf bestimmte Zeit entsandt werden. Gerade Fachleute aus Europa können die Arbeit der Griechen in den nächsten zehn Jahren sinnvoll anleiten. Die Kosten könnten sich Griechenland und das Land, aus dem die Experten kommen, teilen."

Hilfe zur Selbsthilfe für Griechenland will auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) organisieren. In Berlin traf er gestern die Vertreter von Wirtschaftsverbänden, um eine "Investitions- und Wachstumsoffensive" für die griechische Wirtschaft in Gang zu bringen. "Nur wenn die Wettbewerbsfähigkeit des Landes steigt, kann Griechenland aus seinen Problemen herauskommen", sagte Rösler.

+++Die Euro-Krise+++

Er wolle deutsche Unternehmen dazu animieren, höhere Investitionen in Griechenland zu prüfen, etwa in den Bereichen Tourismus, Telekommunikation, erneuerbare Energien oder Transport und Verkehr. Allerdings müssten dafür auch die Verwaltungsabläufe und die Rechtssicherheit in Griechenland verbessert werden. Die deutsche Wirtschaft könne vor allem mit ihrer stark mittelständisch geprägten Erfahrung helfen. "Das ist keine Frage des Geldes", sagte der Minister vor dem Hintergrund der Euro-Hilfspakete für Griechenland. "Wir brauchen dazu kein zusätzliches Geld." Im August und im September sollen Delegationen der deutschen Wirtschaft zu Gesprächen nach Griechenland reisen.

Ökonomen reagierten unterschiedlich auf die Griechenland-Vorstöße der Politik. "Wir müssen uns in der Euro-Zone grundsätzlich darauf verständigen, wie die Wettbewerbsfähigkeit schwächerer Länder und Regionen verbessert werden kann", sagte Volker Treier, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), dem Abendblatt. Er hatte an dem Treffen bei Minister Rösler gestern teilgenommen. "Der griechische Staat ist finanziell nach den jüngsten Beschlüssen der Euro-Länder zunächst stabilisiert, die griechische Realwirtschaft ist es allerdings noch nicht." Treier verwies darauf, dass die griechischen Banken auch nach der Streckung der Staatsschulden durch die Länder der Euro-Zone zu wenig Spielraum für Kredite an griechische Unternehmen hätten. Zudem gebe es für Geschäfte mit Griechenland aus Deutschland heraus zu wenig Hermes-Exportbürgschaften.

Treier, der beim DIHK für die Außenwirtschaft zuständig ist, plädierte allerdings dafür, dass Aufbauhilfen für Griechenland - auch Expertisen von Fachleuten - primär im EU-Rahmen organisiert werden müssen. "Es wäre ungünstig, wenn Deutschland sich hier als Lehrmeister profilieren wollte und würde." Griechenland besitze vielfältige Möglichkeiten, seine Wirtschaft zu stärken: "Ob maritime Logistik, erneuerbare Energien oder Tourismus: Die geografische Lage des Landes ist sehr gut, das Potenzial für den wirtschaftlichen Aufschwung ist da. Es muss nur gehoben werden", sagte Treier.

Kritisch äußerte sich Professor Michael Bräuninger, Chefökonom des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI): "Mangelndes Wissen scheint mir in Griechenland derzeit nicht das Problem zu sein", sagte Bräuninger dem Abendblatt. "Zunächst muss das Land seine Strukturen selbst entwickeln. Das ist aber vor allem eine Aufgabe für die politische Willensbildung vor Ort." Bräuninger wies darauf hin, dass es seit Jahrzehnten Strukturfonds der EU gebe, die speziell für die Entwicklung wirtschaftlich schwächerer Regionen in der Gemeinschaft gedacht seien. Auch Expertisen internationaler Gremien wie des Internationalen Währungsfonds (IWF) stünden dem Land bereits zur Verfügung. "Einen Krisengipfel bei Minister Rösler braucht das Land eher nicht", sagte Bräuninger. Mit rund 350 Milliarden Euro Staatsschulden hat Griechenland gut 160 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung erreicht. Die Wirtschaft des Landes schrumpft derzeit.