Oft sind Arbeitslose und Überschuldete betroffen. EU will Bankverbindung für jeden Europäer durchsetzen

Hamburg/Brüssel. Fast täglich ist Gunthard Nieder von der Schuldnerberatung Barmbek der Diakonie mit dem Problem konfrontiert: "Wer kein Girokonto hat, ist vom bargeldlosen Zahlungsverkehr abgeschnitten und damit von vielen existenziellen Bereichen des Lebens", sagt der Experte. Kein Konto bedeutet häufig keine Wohnung, keine Arbeitsstelle. "Wer kein Konto hat, ist stigmatisiert", sagt Nieder.

Jetzt soll das Problem auf europäischer Ebene angegangen werden. "Ein Konto ist ein Werkzeug, das im Alltag völlig unerlässlich ist", sagt EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier in Brüssel. Dennoch haben rund sieben Prozent der EU-Verbraucher kein Konto, etwa überschuldete Bankkunden, Arbeitslose und arme Menschen. Das entspricht gut 30 Millionen Europäer. Barnier forderte alle EU-Länder auf, dafür zu sorgen, dass jeder Europäer ein Konto eröffnen kann - zu vernünftigen Gebühren oder kostenlos.

Vorgaben wurden auch zum Leistungsumfang des Kontos gemacht. Es müsse zumindest ermöglichen, Geld einzuzahlen, zu überweisen oder abzuheben, sagte Barnier. Ebenso sollten Lastschriften möglich sein, ein Überziehungskredit allerdings nicht. Künftig können die Konten nach dem Willen der EU-Kommission auch in solchen EU-Staaten eröffnet werden, in denen der Kunde nicht seinen ständigen Wohnsitz hat. Barnier will die Regeln auf freiwilliger Basis durchsetzen. Ein Jahr haben die Banken Zeit, die Empfehlung der EU-Kommission umzusetzen. Gelingt das nicht, wird Brüssel ein verbindliches Gesetz erlassen.

"Freiwillige Regelungen bringen uns nicht weiter", sagt Achim Tiffe, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Finanzdienstleistungen in Hamburg (IFF). "Das haben die Erfahrungen in Deutschland gezeigt. 18 Prozent der Überschuldeten in Deutschland haben kein eigenes Girokonto, zeigt der Überschuldungsreport des IFF."

Rund anderthalb Jahrzehnte, nachdem sich die deutsche Kreditwirtschaft verpflichtet hat, ein Girokonto für jedermann unabhängig von der Art seiner Einkünfte und seiner finanziellen Verhältnisse einzurichten, ist das Problem in Deutschland immer noch nicht gelöst. "Kunden werden noch immer abgelehnt, und die Dunkelziffer ist hoch, weil es vielen peinlich ist, darüber zu sprechen", sagt Hjördis Christiansen von der Verbraucherzentrale Hamburg. Sie schätzt die Zahl der Betroffenen in Hamburg auf einige Tausend. "Nur wenige wehren sich oder suchen Rat."

Im vergangenen Jahr betreuten die Verbraucherschützer 132 Leute, denen ein Konto verweigert wurde. "Die Hamburger Sparkasse verweist die Kunden gern an ihr ehemaliges Kreditinstitut", sagt Christiansen. Die Postbank und die Deutsche Bank lehnen eine Kontoeröffnung ab, wenn der Betreffende Schulden bei dem jeweiligen Kreditinstitut habe. Bei der Commerzbank seien negative Schufa-Einträge der Grund für eine Verweigerung, und bei der Sparda Bank Hamburg reiche schon der Bezug von Arbeitslosengeld II.

Diesen Schilderungen der Verbraucherschützer widersprechen alle Banken. "Die Haspa steht zu der freiwilligen Selbstverpflichtung der deutschen Banken, dass jeder Bürger ein Anrecht auf ein Girokonto hat", sagt Andre Grunert, Sprecher der Hamburger Sparkasse. "Bezieher von Arbeitslosengeld II werden bei uns nicht benachteiligt. Das ist völlig ausgeschlossen", sagt Dieter Miloschik von der Sparda Bank Hamburg. Die Kontoverweigerung müsse dann andere Gründe gehabt haben, etwa wenn Kunden völlig alkoholisiert in der Filiale auftauchen oder bereits eine Bankverbindung haben. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Banken führt eine ganze Liste von Einschränkungen auf, mit denen eine Kontoeröffnung verweigert werden kann. "Wer einen Schufa-Eintrag wegen Scheckbetrug hat, hat keinen Anspruch auf ein Konto", sagt Ralf Palm von der Postbank. Doch nicht immer sind die Versagungsgründe so klar geregelt. Auch die Gefahr, dass am Ende des Monats nicht mehr genügend Geld für die Begleichung der Kontogebühren auf dem Konto ist oder der Kunde Vereinbarungen nicht einhält, reichen für eine Ablehnung.

Nach Angaben des Bankenverbandes haben 99 Prozent der deutschen Bevölkerung ein Girokonto. "Das heißt aber auch, dass über eine halbe Million Menschen keinen Kontozugang haben", sagt Tiffe. Die Zahl der tatsächlich Betroffenen schätzt er noch höher.

Zwar können sich Kunden beschweren, wenn ihnen ein Konto verweigert wurde. Doch das machen die wenigsten. "Sie fühlen sich als Bittsteller und begehren nicht auf", sagt Nieder. Das Problem lösen sie, "indem sie die Konten von Verwandten oder Bekannten für Überweisungen nutzen, und das oft über viele Jahre hinweg".