Bundesweit sind 55 000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Die Gewerkschaft kritisiert die Unternehmen. Azubis in allen Branchen gesucht.

Hamburg. Pamela Paulsen hat ihre Ansprüche stark zurückgeschraubt. "Es ist richtig schwer, noch Auszubildende zu bekommen", sagt die Personalverantwortliche bei Backring Nord, einem Fachhändler für Bäckereien und Eisdielen. Zwar hat die Firma aus Bahrenfeld inzwischen vier angehende Fachkräfte in der Lagerlogistik gefunden. Aber nur, weil Pamela Paulsen bei den Zensuren beide Augen zudrückt. "Hauptschüler mit einer 3 oder 4 in Deutsch und Mathe nehmen wir mittlerweile auch", sagt die Personalexpertin, "sonst würden wir überhaupt niemanden mehr bekommen".

Für die Unternehmen droht der fehlende Nachwuchs zum Konjunkturkiller zu werden. In Hamburg sind nach Angaben der Agentur für Arbeit derzeit 3000 Lehrstellen unbesetzt. Selbst in vermeintlich attraktiven Berufen mangelt es an Bewerbern. So fehlen in der Hansestadt 40 angehende Friseurinnen und Friseure, 70 zukünftige Kaufleute im Einzelhandel und 48 Interessenten für das Hotelfach (siehe Tabelle). "Den Lehrstellen gehen die Bewerber aus", sagt Hans Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Das belastet nicht nur Hamburger Firmen, sondern ist inzwischen ein bundesweites Problem. So befürchtet Driftmann, der auch Chef des Haferflockenherstellers Kölln in Elmshorn ist, dass in diesem Jahr mehr als 55 000 Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Gleich mehrere Städte meldeten mehr als 1000 offene Lehrstellen bei den Firmen, dazu zählten neben Hamburg auch Stuttgart, Hannover, Berlin, Dresden und Erfurt.

Ein Grund für die große Zahl freier Plätze ist laut Arbeitsmarktforschern der Bewerberrückgang, den weder die doppelten Abiturjahrgänge ausgleichen können noch die Aussetzung der Wehrpflicht. Entscheidend ist vielmehr, dass auch 2011 die Zahl der Abgänger aus Haupt- und Realschulen um weitere 3,5 Prozent sinkt - und das ist die Hauptklientel für eine Berufsausbildung, gerade im Handwerk.

Insbesondere den Bäckern, Malern oder Dachdeckern droht neben dem Mangel an Bewerbern auch noch das Problem, dass viele ältere Firmeninhaber keine Nachfolger finden. "Wir appellieren an die Jugendlichen, sich jetzt zu bewerben. Das Handwerk bietet viele Karrierechancen, nirgendwo sonst stehen so viele Betriebe zur Übergabe an die nächste Generation bereit - allein in Hamburg in den kommenden zehn Jahren 5000 kleine und größere Firmen", sagte Josef Katzer, Präsident der Hamburger Handwerkskammer.

Vor allem bei anspruchsvolleren Berufen im kaufmännischen Bereich konkurrieren zudem etliche Bildungsträger um die jungen Leute. "Allein in Hamburg haben wir Dutzende Hochschulen, die jetzt einen Bachelor anbieten. Dies hält viele Abiturienten von einer Lehre ab", sagt Fin Mohaupt von der Handelskammer Hamburg. Etlichen Jugendlichen fehle auch die Zielorientierung, beklagen Personalexperten. Die jungen Männer und Frauen verließen die Schule, ohne sich Gedanken über ihren Berufsweg zu machen. "Wir haben immer wieder Bewerber, die sich nicht über uns als Arbeitgeber informieren", sagt Kerstin Papenhagen vom Hamburger Systemhaus b & w computer, das bisher vergeblich nach Auszubildenden für IT-Berufe sucht.

Bei den Gewerkschaften stößt die Kritik der Unternehmen an den Schülern allerdings auf Unverständnis. "Von einem bundesweiten Bewerbermangel kann keine Rede sein. Allein vergangenes Jahr haben mehr als 80 000 Bewerber keinen Ausbildungsplatz gefunden, obwohl die Bundesagentur für Arbeit sie für ausbildungsreif hält", sagte Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Vorsitzende. Insgesamt seien zurzeit 320 000 junge Leute in der Warteschleife, absolvierten Praktika und Berufsvorbereitungskurse. "Viele Firmen machen es sich zu einfach", beklagt die Gewerkschaftsvertreterin Sehrbrock und ergänzt: "Sie konzentrieren sich nur auf die Besten."