Ökonomen kritisieren Rolle der Bonitätswächter. Rettung Griechenlands wird schwerer

Hamburg. Am Finanzmarkt gibt es eine Zahl, die Griechenlands Misere vollständig widerspiegelt: Auf fast 18 Prozent ist die Rendite der griechischen Staatsanleihen gestern geklettert, das ist der höchste Stand seit der Einführung des Euro. Damit liegt der Abstand zur Rendite der als "sicherer Hafen" geltenden Bundesanleihen inzwischen bei knapp 14,3 Prozentpunkten.

Ausgelöst wurde der erneute Zinsanstieg der hellenischen Papiere offenbar nicht zuletzt durch die Entscheidung der Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P), die Bonitätsnote des Landes gleich um drei Stufen von "B" auf "CCC" und damit auf Ramschniveau herabzustufen - Venezuela, Ägypten oder Sambia werden besser beurteilt. Auch die Renditen von Staatsanleihen der ebenfalls hoch verschuldeten Euro-Länder Portugal und Irland zogen an.

Mit dem Rating-Urteil setzte S&P für das Finanzministertreffen zur Griechenland-Krise ein Signal. So gab es gestern Abend in Brüssel auch keine Einigung. Die Minister streiten darüber, wie Banken und Versicherungen an den Milliardenkosten für einen neuen Rettungsplan beteiligt werden können. Vor allem Deutschland dringt auf einen Beitrag privater Gläubiger. Das Paket soll einen Umfang von rund 90 Milliarden Euro haben. Dabei trifft Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit seinen weitgehenden Plänen zur Beteiligung von Privatgläubigern auf Widerstand der Euro-Partner. Einige Länder wie Belgien wollen es den privaten Gläubigern selbst überlassen, ob sie mitmachen oder nicht. Der Anteil der Privaten am Notpaket wird auf 30 Milliarden Euro geschätzt. Am Sonntag wollen die Minister weiterverhandeln.

Nach Auffassung von S&P-Konkurrent Moody's müsste ein Zahlungsaufschub für Athen unter Beteiligung privater Gläubiger als Zahlungsausfall gewertet werden, wäre also gleichbedeutend mit der Staatspleite. "Unter den gegebenen Umständen" sei es schwer vorstellbar, dass die Banken tatsächlich freiwillig auf die fristgerechte Rückzahlung von Schulden verzichten, sagte Moody's-Manager Bart Oosterveld.

"Damit macht man die Rettung Griechenlands noch schwieriger", sagte Rudolf Hickel, Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft an der Universität Bremen, dem Abendblatt. Er sieht die Rolle der Rating-Agenturen in der Schuldenkrise sehr kritisch: "Einerseits betreiben sie ihr Geschäft privatwirtschaftlich und sind an Mutterhäuser gekoppelt, die mit Banken zusammenarbeiten, andererseits übernehmen sie quasi hoheitliche Funktionen."

Es bestehe immer die Gefahr, dass die Agenturen diese Macht missbrauchen: "Sie nehmen Einfluss auf die Politik, und das mit dem Heiligenschein der rein ökonomischen Beratung versehen." Hickel wandte sich scharf gegen die jüngsten Aktionen von S&P und Moody's im Hinblick auf Griechenland. Sie seien "unnütz und gefährlich".

Selbst beim Bundesverband deutscher Banken (BdB) findet man - unabhängig von aktuellen Vorgängen - kritische Worte zu den drei führenden Agenturen Fitch, Moody's und S&P, die ausnahmslos aus dem angelsächsischen Raum kommen. Die Verwendung von Ratings durch Aufsicht und Notenbanken sei "nicht unproblematisch", heißt es vom BdB: "Die 'offizielle Verwendung' führt dazu, dass die Aussagekraft der Ratings überschätzt wird." Zudem könnten die Agenturen am Markt Automatismen auslösen, die die Stabilität des Finanzsektors gefährden.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Meister, warnt davor, den Bewertungsagenturen zu viel Beachtung zu schenken. Die Politik sollte "nicht so sehr auf die Frage achten, wie wird Griechenland geratet. Denn die bekommen momentan am Kapitalmarkt eh kein Geld, sonst bräuchten wir die Hilfsprogramme nicht." Die drei Bewertungsagenturen Fitch, Moody's sowie S&P hätten vor zehn Jahren bei fast ähnlichen ökonomischen Daten Griechenlands dem Land hervorragende Noten ausgestellt, bemängelte Meister.

Wirtschaftswissenschaftler Hickel sprach sich für die Schaffung einer neuen Rating-Agentur aus, die bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt sein könnte, bei ihren Urteilen aber von ihr unabhängig sein müsse. Grundsätzlich sei dies zwar eine gute Idee, meint Hans-Peter Burghof, Leiter des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim. Doch die Hürden seien hoch: "US-Anleger müssten die Urteile dieser Agentur akzeptieren, und die dortigen Börsen müssten sie zulassen."

Auch aus Sicht von Burghof haben die Urteile der Rating-Häuser politische Auswirkungen. Allerdings hätten diese Unternehmen kaum eine andere Wahl, als so zu agieren, wie sie dies derzeit tun. Das Problem liege eher bei den europäischen Regierungen: Die Politiker wollen etwas, das es nicht gibt. Sie wollen einen Konkurs ohne Konkurs."