Griechenland überrascht mit schlechten Zahlen. Doch ein Schuldenschnitt könnte laut EZB neue Bankenkrise auslösen

Hamburg. Schon wieder enttäuscht Griechenland mit unerwartet schlechten Zahlen zur Staatsverschuldung - und wird damit immer mehr zur Gefahr für Europas Finanzsystem. So lag das griechische Haushaltsdefizit zum Jahresende 2010 bei 10,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wie die europäische Statistikbehörde Eurostat gestern mitteilte. Bisher hatte die EU-Kommission mit einer Defizitquote von 9,6 Prozent gerechnet. Auch der gesamte Schuldenstand ist höher als bislang befürchtet.

Damit wächst die Gefahr, dass die finanziellen Probleme Athens nicht ohne einen Schuldenschnitt zu lösen sind - mit unabsehbaren Folgen, die sogar eine neue Bankenkrise auslösen könnte. Wenn es in strauchelnden Euro-Ländern zu Umschuldungen komme, sei das für die Geldhäuser riskant, sagte Jürgen Stark, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), dem ZDF-Nachrichtenportal heute.de: "Im schlimmsten Fall könnte die Umschuldung eines Mitgliedslandes die Auswirkungen der Lehman-Pleite in den Schatten stellen."

Auch der Bankenexperte Wolfgang Gerke hält gravierende Folgen eines Schuldenschnitts nicht für abwegig. "Eine Umschuldung Griechenlands könnte für einige Unternehmen der Finanzbranche schwierig werden", sagte er dem Abendblatt. "Betroffen wären nicht nur Banken, sondern auch Versicherungen, Pensionsfonds und Pensionskassen, die griechische Staatsanleihen wegen ihrer höheren Zinsen gekauft haben."

Trotz der Gefahren spricht sich Gerke für eine Umschuldung aus: "Die Risiken sind da, aber man darf sich nicht an dem zugrunde liegenden Problem vorbeilügen." Schließlich werde jetzt abermals deutlich, dass Athen "immer höhere Schulden produziert als angekündigt" - und bisher übertrage man die daraus resultierenden Lasten einseitig auf die Steuerzahler der Euro-Länder. Würde ein Teil der griechischen Schulden gestrichen, "dann würde man die Banken, die man meint, retten zu müssen, eben retten."

Vor einem Jahr hatten die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Hilfspaket im Umfang von 110 Milliarden Euro für Griechenland geschnürt. Dennoch sind die Aussichten trüb. Selbst Außenminister Dimitris Doutsas hatte kürzlich eingestanden, Griechenland befinde sich in einem dunklen Tunnel, und Licht sei an keinem Ende des Tunnels in Sicht. "Die heutigen Zahlen zeigen, dass der Weg zu einer nachhaltigen Stabilisierung der griechischen Staatsfinanzen noch sehr weit ist", kommentierten Volkswirte der Commerzbank die jüngsten Daten von Eurostat.

Nach Prognosen des IWF erreicht der Schuldenstand erst in diesem Jahr mit 158 Prozent des BIP seinen Höhepunkt. "Der 110-Milliarden-Euro-Hilfsfonds wird wahrscheinlich Mitte 2012 aufgebraucht sein", erklärte Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses Berenberg. "Falls die Renditen auf die Staatsanleihen nicht dramatisch fallen sollten, könnte Griechenland es sich nicht erlauben, sich selbst am Markt zu finanzieren." Zuletzt lag die Rendite griechischer Staatspapiere bei rund 16 Prozent.

Ungeachtet dieser deprimierenden Daten ist Schmieding gegen eine baldige Umschuldung: "Die Ansteckungsgefahren sind immer noch viel zu gravierend." Je länger man den ebenfalls hoch verschuldeten Ländern Spanien und Irland Zeit gewähre, ihre Finanzen überzeugend in den Griff zu bekommen, "umso geringer wird die Gefahr einer Kettenreaktion nach dem Lehman-Muster infolge eines möglichen Schuldenschnitts in Griechenland."

Wie die Eurostat-Zahlen zeigen, wird das griechische Haushaltsdefizit in der Euro-Zone nur von Irland übertroffen: Dort liegt die Neuverschuldung bei 32,4 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Inselstaat leidet unter einer Bankenkrise und musste im November 2010 unter den Euro-Rettungsschirm flüchten. Irland erhält 85 Milliarden Euro Hilfe. Für Spanien ermittelten die Statistiker eine Lücke in den Staatsfinanzen von 9,2 Prozent, in Portugal sind es 9,1 Prozent. Auch die Regierung in Lissabon wird demnächst Hilfen der EU und des IWF in Anspruch nehmen. Aktuell wird der Bedarf auf rund 80 Milliarden Euro geschätzt.

In Deutschland lag das Defizit bei 3,3 Prozent und damit nur knapp oberhalb der nach dem Maastricht-Vertrag erlaubten Marke von 3,0 Prozent. Das Nicht-Euro-Land Großbritannien jedoch wies ein Minus von 10,4 Prozent auf - und schnitt damit kaum besser ab als Griechenland.

Allerdings enttäuschte gestern nicht nur Athen: Portugals bislang angesammelter Schuldenstand belief sich auf 93 Prozent des BIP, damit war er um etwa zehn Prozentpunkte höher als angenommen. Die Abweichung wurde damit erklärt, dass nun auch Unternehmen, die dem Staat gehören, in die Berechnung einbezogen wurden. Doch den traurigen Rekord hält in dieser Disziplin abermals Griechenland: Ende 2010 machten die Staatsschulden insgesamt 142,8 Prozent des BIP aus. Am anderen Ende der Skala rangiert Estland - mit 6,6 Prozent.