Die Europäische Zentralbank (EZB) will mit höheren Leitzinsen von 1,25 Prozent gegen die anziehende Inflation vorgehen. Eine Analyse.

Hamburg. Die Schuldenkrise in der Europäischen Union ist wieder voll entbrannt. Während Portugal mithilfe des Rettungsschirms der EU seinen Staatshaushalt finanzieren will, hat die Europäische Zentralbank (EZB) gestern mit der ersten Zinserhöhung seit 2008 deutlich gemacht, dass sich die Politik des billigen Geldes dem Ende zuneigt.

Die EZB erhöhte den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent, um der seit Monaten anziehenden Inflation Einhalt zu gebieten. "Wir müssen Preisstabilität für 330 Millionen Menschen sicherstellen", sagte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Mit ihren Leitzinsen beeinflusst die Europäische Zentralbank langfristig Preisentwicklung und Konjunktur.

Kommentar zur Leitzinserhöhung: Pro und Contra

Hohe Energie- und Rohstoffpreise sorgen dafür, dass die Teuerungsrate im Euro-Raum mit 2,6 Prozent deutlich über der Zielmarke der EZB von zwei Prozent liegt. Offen ließ Trichet, ob dem Schritt weitere Zinserhöhungen folgen werden. Experten sind davon aber fest überzeugt, denn mit einer einmaligen Zinsanhebung lässt sich die Inflation nicht eindämmen. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass eine Zinserhöhung um mindestens einen Prozentpunkt notwendig ist, um die Teuerungsrate um 0,2 bis 0,4 Prozentpunkte zu senken.

"Ich erwarte weitere Zinsschritte im Sommer und im Herbst", sagte Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Hamburger Sparkasse. "Wir gehen davon aus, dass der Leitzins Ende des Jahres bei 1,75 Prozent liegen wird." Nichts, was Trichet gesagt habe, stehe einer weiteren Zinserhöhung im Weg, sagte Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Hamburger Berenberg Bank. Er rechnet damit, dass der Leitzins Anfang 2013 bei drei Prozent liegen wird.

Verbraucher müssen sich vor allem auf steigende Zinsen bei Dispo- und Verbraucherkrediten einstellen. Sparer können auf höhere Zinsen für Tages- und Festgeld hoffen.

In Deutschland begrüßten Bankenverbände und Ökonomen die Zinserhöhung als richtiges Signal. "Der Schritt war überfällig", sagte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Kritik kam von den Gewerkschaften. "Die Zinserhöhung belastet Wachstum, Beschäftigung und Staatsfinanzen, was weitere Ausgabenkürzungen in den Euro-Krisenländern nach sich ziehen wird", sagte Claus Matecki, Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Die Verbraucher in den Südländern werden von den Zinserhöhungen stärker getroffen. So haben in Portugal fast alle Immobilienkredite eine Laufzeit von nur zwölf Monaten. "Damit schlägt sich eine Veränderung des Leitzinses schneller in einer Verteuerung der Baukredite nieder", sagt Andreas Rees von Unicredit. Hohe Arbeitslosigkeit führt in diesen Ländern ohnehin zu Zahlungsproblemen, die dann die Banken belasten. In Portugal sind 11,2 Prozent der Erwerbsfähigen arbeitslos. Sollte der Leitzins bis zum Ende des Jahres auf 1,75 Prozent steigen, befürchtet das Land Einbußen beim Wachstum.

Als drittes Land der EU beantragte Portugal Finanzhilfen, da es die hohen Zinsen am Kapitalmarkt von über neun Prozent nicht mehr aufbringen kann. Im Gespräch sind 70 bis 90 Milliarden Euro. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bezeichnete das Hilfeersuchen als "vernünftigen und notwendigen Schritt". Viele Länder hatten Portugal bereits gedrängt, Hilfen anzunehmen, um die Lage an den Finanzmärkten zu entspannen.

"Wir sind nun endgültig in der Verteilungsunion angekommen", sagte Karl-Werner Hansmann von der Universität Hamburg. "Die Finanzhilfen für einzelne Länder lösen die Probleme nicht dauerhaft, so unvermeidbar sie jetzt auch sind." Die Krisenländer bräuchten jetzt auch Zeit, um ihre Sparprogramme umzusetzen. Der Experte rechnet damit, dass die Diskussion um die Euro-Anleihen wieder aufkommen wird. Das bedeutet, die Euro-Länder nehmen zumindest zu einem bestimmten Teil gemeinsam Geld am Kapitalmarkt auf und verteilen es dann auf die einzelnen Länderhaushalte.

"Der europäische Markt für Staatsanleihen wird so für Investoren liquider und berechenbarer." Sonst würden sich Spekulanten immer wieder das schwächste Glied in der Kette aussuchen, um seine Kreditfähigkeit zu testen. Folglich richten sich jetzt die Blicke auf Spanien. Das Land versicherte, keine Hilfen nötig zu haben. Auch Experten der Commerzbank geben diese Einschätzung. Am Kapitalmarkt muss es derzeit nur gut halb so viel Zinsen wie Portugal zahlen.