Der Europäische Gerichtshof verlangt einheitliche Tarife für Männer und Frauen. Experten rechnen derweil mit steigenden Prämien.

Hamburg. Beim Abschluss von Versicherungsverträgen müssen künftig Frauen und Männer gleich behandelt werden. Unterschiede in den Prämien aufgrund der Lebenserwartung oder des Risikoverhaltens sind nicht mehr zulässig. Die Versicherungen müssen künftig Unisextarife anbieten. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) gestern in Luxemburg (C-236/09). Die bislang übliche Berücksichtigung des Geschlechts als "Risikofaktor" für Versicherungsbeiträge diskriminiere Frauen und sei deswegen ungültig, entschieden die Richter. So zahlen etwa Frauen in der privaten Krankenversicherung 30 bis 50 Euro höhere Beiträge pro Monat, weil sie länger leben und häufiger zum Arzt gehen. Betroffen sind aber auch viele andere Sparten der Versicherungswirtschaft. Sie steht mit dem Urteil vor gravierenden Einschnitten bei der Kalkulation neuer Tarife. Experten rechnen durch die Angleichung mit generell steigenden Prämien. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Auf welcher Grundlage beruht das jetzt gefällte Urteil?

Geschlechtsspezifische Tarife sind in der EU schon seit einigen Jahren nicht gern gesehen. Eine EU-Gleichstellungsrichtlinie von 2004 verlangt geschlechtsneutrale Prämien schon von 2007 an. Die EU ermöglichte es aber ihren Mitgliedstaaten, eine solche Risikoberechnung weiter zuzulassen. Deutschland hatte davon im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz auch Gebrauch gemacht. Gleichzeitig wurde aber von der EU festgelegt, dass diese Regelung nach fünf Jahren - also Ende 2012 - überprüft werden solle. Im konkreten Fall hatte ein belgisches Gericht die höchsten EU-Richter um Prüfung der Ausnahmebestimmung gebeten. Selbst eindeutig nachweisbare biologische Unterschiede dürfen künftig nicht mehr berücksichtigt werden. Der EuGH begründet seine Entscheidung pauschal: Verschiedene Tarife aufgrund des Geschlechts "laufen der Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zuwider".

Welche Policen sind betroffen?

Geschlechtsspezifische Tarife, bei denen Frauen mehr als Männer bezahlen müssen, gibt es in der privaten Rentenversicherung, bei der Berufsunfähigkeitsversicherung, der privaten Pflegezusatzversicherung und der privaten Krankenversicherung. Außerdem sind spezielle private Zusatzversicherungen im Gesundheitsbereich betroffen - von der Zahnzusatzpolice bis zur Chefarztbehandlung im Krankenhaus. Umgekehrt zahlen Männer bei diesen Verträgen einen geringeren Beitrag für die gleiche Leistung.

Bei welchen Verträgen sind derzeit Frauen im Vorteil?

Günstigere Tarife erhalten sie bei der Risikolebensversicherung, weil sie länger leben und bei der Kfz-Versicherung, weil sie umsichtiger fahren. In der Autohaftpflichtversicherung zahlen Frauen im Durchschnitt 5,4 Prozent weniger als Männer, wenn sie ein Auto neu zulassen. In der Vollkaskoversicherung liegt der Unterschied sogar bei 10,4 Prozent, errechnete das Vergleichsportal Aspect Online.

Wie werden sich die Prämien durch die Angleichung entwickeln?

Frauen können in den Sparten, in denen sie jetzt mehr bezahlen, mit einer Entlastung rechnen. Im Gegenzug müssen Männer höhere Tarife entrichten. Das Ausmaß hängt auch davon ab, wie das Verhältnis beider Geschlechter in den jeweiligen Tarifen ist", sagt Birger Jaspers von Ergo. "Da zum Beispiel weniger Frauen in der privaten Krankenversicherung sind, dürfte es nur zu einem leichten Tarifanstieg bei den Männern kommen." Lars Gatschke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen rechnet mit einem generellen Anstieg des Prämienniveaus. "Deshalb muss die Aufsichtsbehörde BaFin diese Tarifanpassung überwachen, damit es nicht unter dem Deckmantel der Angleichung zu nicht gerechtfertigten Preiserhöhungen kommt", sagt er.

Werden Männer bei der Rentenversicherung bald benachteiligt?

Für Manfred Poweleit, Herausgeber des Branchendienstes map-Report ist das eindeutig. "Frauen beziehen im Schnitt 5,2 Jahre länger Rente. Wenn man jetzt von einer einheitlichen Auszahlung von angenommen 300 Euro monatlich ausgeht, so ergibt sich für Frauen ein Vorteil von 18 600 Euro", rechnet der Experte vor. Bisher erhalten Männer eine höhere Monatsrente, um diesen Unterschied auszugleichen.

Ab wann gilt die neue Regelung?

Als Stichtag haben die Richter den 21. Dezember 2012 festgelegt. Bis dahin muss das Urteil umgesetzt sein. Ein Trost bleibt: Altverträge sind nach Einschätzung der Versicherungswirtschaft nicht betroffen. Kein Mann muss also fürchten, dass seine zugesagte Rente geringer ausfällt oder die bestehende Autoversicherung deshalb teurer wird.