Der Flugzeugbauer will 1500 neue Stellen schaffen, davon einige Hundert in Hamburg, sagt der Betriebsratsvorsitzende Jan-Marcus Hinz.

Hamburg. Trotz einer Rekordauslieferung von Flugzeugen 2010 und Aufträgen für die kommenden sechs Jahre stehen bei Airbus schwierige Verhandlungen zwischen Geschäftsführung und Betriebsräten an. Die Arbeitnehmervertreter wollen bis Mitte des Jahres einen neuen Vertrag über die Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2020 abschließen. Der neue Betriebsratsvorsitzende für das Hamburger Werk, Jan-Marcus Hinz, rechnet jedoch mit wenig Entgegenkommen vom Management. Das Abendblatt sprach mit dem Nachfolger des langjährigen Hamburger Betriebsratsvorsitzenden Horst Niehus über sichere Arbeitsplätze, Auslagerungen, zu viele Leiharbeiter und warum mehr Top-Positionen im Management an deutsche Standorte verlagert werden sollten.

Abendblatt: Sie sind vor wenigen Tagen zum Betriebsratsvorsitzenden des Airbus-Standorts Hamburg gewählt worden. Welche Aufgabe hat für Sie jetzt die höchste Priorität?

Jan-Marcus Hinz: Der seit dem Jahr 2003 geltende sogenannte Zusatztarifvertrag Siduflex - die Bezeichnung steht für Sicherheit durch Flexibilität - läuft Ende 2012 aus und damit auch die Beschäftigungssicherung. Wir sehen starken Handlungsbedarf, einen Nachfolgevertrag mit der Unternehmensleitung abzuschließen. Denn die Auszubildenden, die im vergangenen Jahr eingestellt wurden, kommen nach Abschluss ihrer Lehre schon nicht mehr in den Genuss der bisherigen Vereinbarung. Für sie würde eine Übernahmegarantie nicht mehr zum Tragen kommen. Für sie und alle anderen wären betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausgeschlossen.

Hat der bisherige Vertrag aus Ihrer Sicht seinen Zweck gut erfüllt?

Hinz: Das System der Arbeitszeitkonten, die in Phasen hoher Auslastung aufgefüllt und während beschäftigungsschwacher Monate wieder abgebaut werden, hat sich bewährt. Allerdings dürfte ein Großteil der Mitarbeiter die Konten inzwischen bis zum oberen Rand gefüllt haben. Wir müssen uns mit der Geschäftsleitung aber grundsätzlich darüber verständigen, was Flexibilität bedeutet. Das ist ein Streitpunkt. Nach unserer Ansicht setzt Airbus zu stark auf Leihkräfte. Die vereinbarte Flexibilisierungsquote von 25 Prozent ist überschritten.

Wie viele Leiharbeiter gibt es denn am Standort Hamburg?

Hinz: Hier kommen auf eine Stammbelegschaft von gut 11 400 Personen aktuell etwa 3200 Leihkräfte, aber noch vor wenigen Jahren waren es 5500 - und in manchen Abteilungen liegt der Anteil heute sogar weit über der angepeilten Quote. Der Einsatz von Leihkräften hat seinen Sinn, um zeitlich begrenzte Arbeitsspitzen bewältigen zu können. Aber davon kann nicht mehr die Rede sein, wenn etliche dieser Personen bis zu zehn Jahren bei uns arbeiten. Damit ist der Sinn der Leihkräfte nicht mehr gegeben.

Airbus hat schon im Juni vergangenen Jahres beschlossen, in Deutschland 700 Leiharbeiter in die Stammbelegschaft zu übernehmen, davon 500 in Hamburg. Muss dieses Programm noch ausgeweitet werden?

Hinz: Man ist damit auf dem richtigen Weg. Aber auch unter den übrigen Leihkräften sind noch viele, bei denen es sinnvoller wäre, sie fest einzustellen. Sie haben wertvolle Kenntnisse und Fähigkeiten, und sie identifizieren sich genauso mit dem Unternehmen wie die Airbus-Mitarbeiter.

Ist der Airbus-Betriebsrat nicht insgesamt in einer beneidenswerten Situation? Die Konzernleitung hat doch offenbar eingesehen, dass die Stammbelegschaft nun weiter aufgestockt werden muss: In diesem Jahr sollen 1500 zusätzliche Stellen entstehen.

Hinz: Richtig, die Auftragsbücher sind voll. Mir fällt kaum eine andere Branche ein, die in einer vergleichbaren Lage ist. Nicht einmal die Automobilindustrie hat Arbeit für sechs Jahre. Aber innerhalb des Unternehmens bewegen wir uns in einem Spannungsfeld - wie teilen wir die zusätzliche Arbeit gerecht auf? Das ist für Gewerkschafter und Geschäftsführer keine beneidenswerte Aufgabe. Zumal es politische Einflüsse gibt, die nicht immer in eine für Airbus sinnvolle Richtung gehen. Klar ist: Wir müssen um die Arbeitsanteile kämpfen. Toulouse tut das auch. Wir gehen jedenfalls davon aus, dass der größte Teil der 1500 neuen Stellen in den norddeutschen Werken geschaffen wird und die Mehrzahl davon, also einige Hundert, am Standort Hamburg.

Trotz der Produktionsrekorde und Verkaufserfolge hört man immer wieder von schlechter Stimmung bei Airbus. Was ist die Ursache?

Hinz: Ja, es gibt Unzufriedenheit im Unternehmen. Einer der Gründe dafür ist die Diskussion über die zunehmende Fremdvergabe von Arbeiten. Das ist ein Spiel mit der Angst. Dabei sind wir gar nicht grundsätzlich gegen Auslagerungen. Aber es kann nicht sein, dass man Arbeitsanteile an Fremdfirmen vergibt, nur um Bilanzzahlen optisch zu verbessern. Die Auslagerung muss auch im Hinblick auf den Produktionsprozess sinnvoll sein. Außerdem müssen wir den Betroffenen Perspektiven für die Zukunft anbieten. Doch das ist nicht der einzige Grund für die Unzufriedenheit. Ein anderer ist die sehr starke Zentralisierung.

Können Sie das erläutern?

Hinz: Die Entscheidungskompetenzen in den Werken vor Ort sind zwischenzeitlich sehr stark beschnitten worden. Darunter leidet die Motivation. Zwar hat man dies erkannt und zuletzt den unteren Leitungsebenen wieder etwas mehr Freiheiten gegeben. Aber es bleibt die Tatsache, dass der größte Teil der Airbus-Manager der ersten Führungsebene ihren Sitz nicht in Deutschland hat. Selbst der Vorsitzende der Geschäftsführung von Airbus Deutschland arbeitet an vier bis fünf Tagen in der Woche in Toulouse. Dabei gehört eine starke Führungskraft, die auch Entscheidungen treffen kann, nach Hamburg - aber dann könnte sie in der Zentrale nichts mehr durchsetzen. Im Prinzip müsste es also zwei Deutschland-Chefs geben.

Zurück zu dem "Zukunftsvertrag", den Sie anstreben. Bis wann soll er ausgehandelt sein?

Hinz: Die Sondierungsgespräche haben begonnen. Die Arbeitgebervertreter haben aber wenig Interesse, mit uns eine weitgehende Beschäftigungssicherung zu vereinbaren. Bis Mitte des Jahres möchten wir den Vertrag unter Dach und Fach gebracht haben. Er soll bis 2020 gelten, parallel zur "Vision 2020" des Konzerns. Wir halten die Beschäftigungssicherung für sehr wichtig, auch um den Optimierungsprozess im Unternehmen voranzubringen. Stellen Sie sich vor, ein Mitarbeiter kommt zu dem Schluss, dass ein bestimmter Arbeitsgang an dieser Stelle nicht sinnvoll ist - ohne Beschäftigungssicherung im Rücken wird das niemand offen sagen.