Als neuer Boss von Google soll Mitbegründer und Technikgenie Larry Page neue Impulse im Kampf gegen Konkurrent Facebook geben.

Mountain view/Hamburg. Die Nachricht kam standesgemäß über den Kurznachrichtendienst Twitter. "Tägliche Aufsicht durch Erwachsene nicht mehr notwendig", verkündete Google-Chef Eric Schmidt, 55, ein wenig launig und läutete damit seinen Rückzug von der Konzernspitze ein. Im harten Konkurrenzkampf mit Facebook, Apple und Microsoft soll nun künftig der 37 Jahre alte Mitbegründer Larry Page das Steuer des weltgrößten Internetunternehmens übernehmen.

In der Hamburger Deutschland-Zentrale von Google hatte niemand mit dieser Nachricht gerechnet. "Wir waren sehr überrascht, haben nichts davon geahnt", sagte ein Mitglied der Führungsmannschaft am Freitag dem Abendblatt. Der Wechsel zu Page erstaunt vor allem deshalb, weil der studierte Mathematiker zwar als brillanter Softwareentwickler und technikbegeisterter Workaholic gilt (als Student bastelte er mal aus Legosteinen einen Tintenstrahldrucker zusammen), gleichzeitig aber auch als öffentlichkeitsscheu und wenig begabter Redner. Ob es Page mit dem rhetorisch brillanten Schmidt aufnehmen und Google nach außen hin repräsentieren könne, müsse man erst einmal abwarten, heißt es in Hamburg.

Hintergrund des Führungswechsels scheint vor allem der Wunsch der Gründer zu sein, zu den Wurzeln als junge, unkonventionelle Garagenfirma zurückzukehren. Larry Page hatte Ende der 90er-Jahre zusammen mit seinem Studienkollegen Sergey Brin an der kalifornischen Stanford University den ersten Prototyp der Suchmaschine entwickelt. Um den 100 000-Dollar-Scheck eines Investors einlösen zu können, gründeten sie 1998 das Unternehmen Google Inc.

Die beiden waren begnadete Entwickler, doch als Geschäftsleute blutige Anfänger. Deshalb holten sie den erfahrenen Manager Schmidt ins Unternehmen, der sich als Technikchef von Sun Microsystems und einflussreiches Verwaltungsratsmitglied bei Apple einen Namen gemacht hatte. Schmidt brachte Google im Jahr 2004 nicht nur erfolgreich an die Börse, sondern ebnete auch den Weg von einer aufstrebenden Internetsuchfirma zu einem breit aufgestellten Technologiekonzern.

Der Marktwert der Firma hat sich seit dem Börsengang von 27 auf 200 Milliarden Dollar erhöht, 24 000 Angestellte arbeiten heute für Google. Erst am Donnerstag meldete der Konzern für das Schlussquartal 2010 einen beeindruckenden Gewinnanstieg um 29 Prozent auf 2,54 Milliarden Dollar.

Doch je mehr sich Google zum wichtigsten Unternehmen im Silicon Valley mauserte, desto größer wurde auch die Bürokratie. Kritiker werfen dem Konzern vor, sich in einen schweren, kaum noch manövrierfähigen Tanker verwandelt zu haben. Hinzu kommen Imageprobleme und Datenschutzstreitigkeiten durch den umstrittenen Straßendienst Street View.

Groß ist die Sorge im Konzern, schon bald das Schicksal von Microsoft zu erleiden. Der einst dominierende IT-Riese scheint mittlerweile seinen Zenit überschritten zu haben und wirkt trotz jüngster Erfolge mit der Spielkonsole Xbox und der Bewegungssteuerung Kinect nur noch wenig innovativ. "Für junge, aufstrebende Softwareentwickler ist Google als Arbeitgeber heute nicht mehr unbedingt die erste Wahl", sagt Unternehmensberater Veit Siegenheim, Autor des Buchs "Die Google-Ökonomie" dem Abendblatt.

Und auch in der Deutschland-Zentrale in Hamburg heißt es selbstkritisch, die "hottest company" der IT-Welt sei eben nicht mehr das eigene Unternehmen, sondern Facebook. Mit 500 Millionen Nutzern weltweit ist das soziale Netzwerk zum Hauptkonkurrenten im Kampf um Werbekunden herangewachsen. Auf dem wichtigen Mobilfunkmarkt hechelt Google mit dem eigenen Betriebssystem Android zudem noch immer dem Erfolg von Apples iPhone hinterher.

Das will Larry Page nach seinem Amtsantritt im April nun ändern. "Mein Ziel ist, Google wieder mit der Geschwindigkeit, der Seele und der Leidenschaft eines Start-ups zu führen", sagte der neue Chef. Außerdem soll der Führungswechsel zu einer klareren Managementstruktur führen. Pages Kompagnon Brin wird sich künftig um die Entwicklung neuer Produkte kümmern, während Eric Schmidt dem Konzern als Verwaltungsratschef erhalten bleibt.

Doch Beobachter sind skeptisch, ob die Rückkehr zu den Wurzeln ausreicht, um Google den verlorenen Elan der Jugend zurückzugeben. "Larry Page steht mit seiner Technikgläubigkeit eher für das alte Denken in der IT-Welt", meint Experte Siegenheim. "Der Aufstieg von Facebook hat aber gezeigt, dass es weniger auf die richtigen mathematischen Formeln, sondern mehr auf die Beziehungen zwischen Menschen ankommt, die heute den Erfolg eines Internetunternehmens ausmachen."

Was Google in Zeiten von Datenschutzbedenken und Auseinandersetzungen mit der EU über die immer größere Marktmacht vor allem brauche, sei ein geschickter Diplomat. "Der aber ist der neue Chef eher nicht."

Immerhin hatte Nachwuchsboss Page zehn Jahre lang Zeit, sich auf seine neue Rolle vorzubereiten. Er konnte seinem Vorgänger Schmidt jeden Tag im operativen Geschäft über die Schulter gucken. "Keine Frage, Larry ist bereit, das Unternehmen zu führen", sagte Schmidt. "Ich bin sicher, dass er einen fantastischen Job machen wird." Und das auch ohne die Aufsicht eines "Erwachsenen".