Gemeinsam mit der Uni Harvard hat Google 15 Millionen Bücher aus fünf Jahrhunderten digitalisiert. Eine lustige Suchmaschine ist das Ergebnis.

Mit der Liebe geht es bergab. Sagt zumindest Google. Und die wissen das - weil sie in den letzten sechs Jahren zusammen mit der amerikanischen Elite-Universität Harvard 15 Millionen Bücher digitalisiert und katalogisiert haben. Rund um den Globus pflügten ihre Lesegeräte in Universitätsbibliotheken über bedruckte Seiten und erfassten 500 Milliarden Wörter. 500 Milliarden! Solch eine Zahl wurde noch vor Kurzem - also bis zur Finanzkrise - als astronomisch bezeichnet.

Aus diesem Projekt ist eine Suchmaschine erwachsen, mit der sich die Wörter vermessen lassen Der "Books Ngram Viewer" gibt darüber Auskunft, wie sich die Häufigkeiten der Wörter in den vergangenen fünf Jahrhunderten verändert haben. Dabei kann man die Zeitspanne der Suchabfrage einschränken, um etwa einen genaueren Blick auf eine bestimmte Epoche zu werfen. Sprachbegabten bietet sich die Gelegenheit, sich in gleich mehreren Sprachen umzutun. Wer also weiß, wie Differenzialgetriebe auf Chinesisch heißt, und darüber hinaus vor Neugier darauf brennt, herauszufinden, wie sich der Gebrauch dieses Wortes seit der Ming-Dynastie entwickelt hat - nur zu.

Aus einem deutschsprachigen Fundus von 37 Milliarden Wörtern seien hier exemplarisch vier wichtige durch Googles Suchmaschinenlupe betrachtet: Liebe, Freiheit, Mann, Frau. Also dann - die Liebe. Gibt man sie ins Suchfeld ein, stellt man fest, dass sie zu Zeiten der Romantik etwa viermal häufiger erwähnt wurde als heute.

Seitdem taumelt die Liebe hinab. Nur nach den beiden Weltkriegen blühte sie auf, allerdings jeweils nur kurz. Die Menschen hatten wohl für eine Weile die Nase voll von Leid und Tod und schrieben über das, was sie im Krieg so oft vermissten - die Liebe. Man kann diese Suchmaschine, wenn man Spaß daran hat, auch als Barometer für gesellschaftliche Tendenzen auffassen, beispielsweise die Gleichberechtigung.

Vor 200 Jahren dominierte im Buch der Mann und trat als Wort fast fünfmal häufiger auf als die Frau. Seitdem finden immer mehr Frauen den Weg in den gedruckten Text, und im Jahre 1980 herrschte dann sogar Gleichberechtigung im Sinne der Worthäufigkeit. Aber damit nicht genug: Der Anteil des Wortes Frau stieg in den folgenden Jahren weiter an, wohingegen er beim Mann sank. Wenn man also davon ausgeht, dass die Häufigkeit eines Wortes die Machtverhältnisse widerspiegelt, bedeutet das nun, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann das Matriarchat ausgerufen wird? Mit solchen Fragen lässt die Suchmaschine den Nutzer leider allein zurück, und verstimmt schreitet er zum nächsten Wort: Freiheit.

Die hatte ihren Höhepunkt unmittelbar vor der Revolution von 1848. Diese Revolution war ja unter anderem durch neue publizistische Wege möglich geworden; "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!", ließ der Schriftsteller Georg Büchner auf Hunderte Flugblätter drucken. Die Wende 1989 war hingegen eine vergleichsweise spontane Angelegenheit. Dies lässt sich ebenso aus der Häufigkeit des Wortes Freiheit herauslesen: Es wurde in den Jahren zuvor sogar mit leicht fallender Tendenz benutzt. Dies lag natürlich zum einen daran, dass in der DDR über den vermehrten Wunsch nach Freiheit nicht hätte geschrieben werden können, zum andern aber auch, dass sich im Westen keine Propheten einfanden, die das Bevorstehende spürten.

Die Spanne der Wissenschaftler, die an dieser Suchmaschine mitgewirkt haben, reicht von Mathematikern, Informatikern und Soziologen bis zu Linguisten. Sie alle versprechen sich von ihrer quantitativen Methode einen tiefen Erkenntnisgewinn, der es ermöglichen soll, verborgene Strömungen in Geschichte, Kultur, Sprache und Denken zu erfassen.

Von dieser Vision sind die Wissenschaftler allerdings noch weit entfernt. Das zeigen die ersten Ergebnisse eines kürzlich in der Wissenschaftszeitschrift "Science" erschienenen Artikels. Die interessanteste Erkenntnis war, dass sich der englische Wortschatz zwischen 1900 und 2000 von 544 000 auf 1 022 000 verdoppelt hat.

Die Aussage hingegen, dass viele der neuen Wörter noch keinen Weg in ein Lexikon gefunden haben, klingt nicht mehr überraschend, wenn man weiß, wie lange ein neues Wort etwa vor der Académie française anstehen muss, bis ihm ein französisches Wörterbuch Einlass gewährt. Eine weitere bahnbrechende Aussage der Wissenschaftler war, dass es früher länger dauerte, ehe Menschen berühmt wurden, und heutzutage Berühmtheiten schneller vergessen werden. Nun, wer hätte das gedacht? Die Suchmaschine von Google und Harvard ist bisher noch nicht das linguistische Wunderwerkzeug, das sich ihre Schöpfer erhoffen. Schließlich steckt sie auch noch in den Kinderschuhen, und die wachsen ja bekanntlich sehr schnell. Auf jeden Fall ist sie bereits jetzt eine amüsante Spielerei für Zwischendurch - und manchmal herrlich erhellend dazu.

Der Link: http://ngrams.googlelabs.com/