Die Hersteller wollen sich mit der EU-Behörde beraten. Die Produktion und der Transport von Industrie- und Futterfetten soll besser getrennt werden.

Brüssel/Hamburg. Wegen des Dioxin-Skandals in Deutschland kommen europäische Futterfett-Hersteller an diesem Montag zu einem Krisentreffen mit der EU-Kommission zusammen. Das sagte der Sprecher von EU-Verbraucherkommissar John Dalli am Sonntag in Brüssel. Nach Bekanntwerden der Vorfälle in Deutschland setzt sich die EU-Behörde dafür ein, die Produktion und den Transport von Industrie- und Futterfetten besser zu trennen. Von Brüssel aus gibt es Kontakte, um Blockaden deutscher Lebensmittel in Drittstaaten zu vermeiden.

Der Sprecher sagte, solche Embargomaßnahmen seien „unverhältnismäßig“. Südkorea blockiert bereits seit Mitte vergangener Woche Schweinefleisch aus Deutschland. Russland verschärfte die Einfuhrkontrollen für deutsches Geflügel und Schweinefleisch. Einen Importstopp schloss die dortige Lebensmittelbehörde nicht aus.

Am Dienstag wird zudem der Ständige Ausschuss der EU für die Lebensmittelsicherheit in Brüssel über den Dioxin-Skandal in Deutschland beraten. In dem Ausschuss sitzen unter anderem Experten der EU-Staaten – es wird ein Bericht des deutschen Vertreters erwartet. (dpa)

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Der Dioxin-Skandal um verseuchtes Tierfutter hat früher begonnen als bisher bekannt. Nach Angaben des Kieler Landwirtschaftsministeriums lieferte die Uetersener Firma Harles und Jentzsch schon im Frühjahr 2010 dioxinbelastetes Fett an Futtermittelhersteller und brachte den krebserregenden Stoff so in Lebensmittel. "Wir haben Strafanzeige erstattet", sagte Landwirtschaftsministerin Juliane Rumpf (CDU) dem Abendblatt. Sie warf der Firma vor, seit März 2010 in mindestens drei Fällen bei Fettkontrollen überhöhte Dioxinwerte festgestellt, dies den Behörden aber verschwiegen und die Ware so in den Verkehr gebracht zu haben. Gegen den Futterfettproduzenten ermittelt auch die Staatsanwaltschaft.

Neue Rückstellproben der Firma wiesen am Freitag eine Belastung auf, die um das 77-Fache über dem zulässigen Dioxin-Grenzwert lag. Die Werte von zehn weiteren Proben reichten von 0,66 bis 58,17 Nanogramm pro Kilogramm, wie das Ministerium mitteilte. Der zulässige Grenzwert von 0,75 Nanogramm wurde in weiteren neun Fällen überstiegen. Bisher hatte die höchste bekannte Belastung 13-fach über dem Grenzwert gelegen.

Erste Betriebe in Niedersachsen dürfen wieder Eier verkaufen

Wegen des Dioxin-Skandals wurden dem Bundesagrarministerium am Freitag mehr als 4700 Betriebe als gesperrt gemeldet. Am Nachmittag kam zum ersten Mal ein Unternehmen aus Baden-Württemberg hinzu. Es geht um mögliche Giftablagerungen in Eiern, Geflügel und Schweinefleisch. Mit rund 4500 gesperrten Höfen ist Niedersachsen nach wie vor am härtesten von den Vorsichtsmaßnahmen betroffen. Allerdings können die ersten Bauern hier auch wieder aufatmen: Einige Legehennenbetriebe etwa in den Kreisen Cloppenburg, Vechta und Osnabrück dürfen wieder Eier verkaufen. Nächste Woche könnten nach Einschätzung des Agrarministeriums die meisten Höfe bereits wieder geöffnet werden. Die Hamburger Gesundheitsbehörde erhielt am Freitag die Mitteilung, dass auch ein Bergedorfer Ferkelzuchtbetrieb mit rund 2000 Tieren dioxinverdächtige Futtermittel von einem niedersächsischen Händler erhalten hat. "Wir haben aber auf eine Sperrung des Betriebs verzichtet, weil die Dioxin-Belastung des Futters rechnerisch nicht nur unter den gesetzlichen Höchstwerten liegt, sondern auch unter dem sogenannten Aktionswert", sagte Behördensprecher Rico Schmidt. Dieser Aktionswert lege fest, ab welcher Kontamination die Behörde aktiv werden müsse. Das Futter gelte somit als verkehrsfähig.

Friteusenfett könnte Quelle für das Ultragift gewesen sein

Unterdessen gibt es erstmals eine Spur, wie das Dioxin ganz am Anfang in die Fette gelangt sein könnte. Das niedersächsische Agrarministerium lässt prüfen, ob vielleicht Friteusenfett aus dem Ausland die Quelle für das Ultragift war. Harles und Jentzsch bekamen Fett von dem Biodieselhersteller Petrotec, der Reststoffe aus Imbissen und Friteusen verarbeitet. In der kommenden Woche solle anhand von Proben geklärt sein, ob Petrotec Altfette bezog, die mit Dioxin belastet waren, sagte Agrarstaatssekretär Friedrich-Otto Ripke (CDU) in Hannover.

"Kriminelle Energie" brachte Verursacher Millionenprofit

Während Petrotec laut Ripke ihre Industriefette korrekt gekennzeichnet habe, machte der Staatssekretär keinen Hehl aus seinem Verdacht, dass es beim Empfänger Harles und Jentzsch nur ums schnelle Geld ging: "Dahinter vermuten wir Vorsatz und kriminelle Energie." Ripke rechnete vor, industrielle Fette hätten einen Marktwert von 500 Euro, Fette fürs Tierfutter 1000 Euro. Rechnet man dies auf die in Niedersachsen zwischen dem 11. November und dem 13. Dezember möglicherweise von der Uetersener Firma verarbeiteten 2482 Tonnen Industriefette um, ergibt sich ein zusätzlicher Gewinn von mehr als einer Million Euro.

Hamburger Verbraucherschützer kritisieren Gesundheitsbehörde

Die Hamburger Verbraucherzentrale kritisierte unterdessen die Einschätzung der Hamburger Gesundheitsbehörde zur Gefährlichkeit von Dioxin. Die Behörde hatte vorgerechnet, dass ein Mensch mit 75 Kilogramm Körpergewicht pro Woche 80 Eier essen könne, ohne die von der Weltgesundheitsorganisation festgelegte Obergrenze zu überschreiten. "Diese Rechnung kann nicht so stehen bleiben. Denn schon durch den Genuss eines mit zwölf Pikogramm verseuchten Eis pro Tag nimmt ein sieben- bis achtjähriges Kind mit 25 Kilo Körpergewicht mehr Dioxin auf als tolerierbar ist", sagte Ernährungsexperte Armin Valet.

Die Umweltorganisation Greenpeace forderte eine deutlich stärkere staatliche Kontrolle für die Futterwirtschaft. Derzeit komme nur ein Kontrolleur auf rund 1200 Futtermittelbetriebe, sagte Manfred Santen, Chemiker bei der Umweltorganisation Greenpeace. "Da ist es nicht verwunderlich, wenn es Monate dauert, bis Daten über giftige Stoffe im Tierfutter öffentlich werden."