Die Programme für Apples iPad und iPhone entwickeln sich zusehends zur Goldgrube - auch für etliche Hamburger Firmen.

Hamburg. Vorsichtig steuert Michael Schade (41) sein Schiff auf die Raumstation über dem fremden Planeten zu. Ein leichter Schwenk mit dem iPad und das Flugobjekt auf dem Bildschirm neigt sich zur Seite, umschifft einige Asteroiden und startet schließlich ein automatisches Andockmanöver. Auf der Station kann sich der Raumfahrer in Bars herumtreiben, Aufträge von zwielichtigen Gestalten annehmen, sein Schiff ausrüsten oder neue Ladung an Bord nehmen.

In einem Winterhuder Hinterhof entsteht eine ganze Galaxie

"Galaxy on Fire 2" nennt sich die Weltraumsimulation, mit der die Hamburger Softwareschmiede Fishlabs vom derzeitigen Hype um Apples neuen Tabletcomputer profitieren will. Im lichtdurchfluteten Großraumbüro eines Winterhuder Hinterhofs entwerfen Grafiker derzeit immer neue Aliens, Raumstationen und Planeten, die das Spieleuniversum bevölkern sollen. 3D-Techniker setzen die Zeichnungen auf ihren Bildschirmen in detaillierte Computermodelle um. Bis August soll das Spiel mit einem Entwicklungsbudget von rund 500 000 Euro fertig sein - ein ehrgeiziger Zeitplan. "Im positiven Sinn ist bei uns die Hölle los", sagt Fishlabs-Chef Schade und greift zu einem Schokoriegel als Nervennahrung.

Das Hamburger Entwicklerteam gehört zu jenen Zigtausend Firmen weltweit, die gewaltige Hoffnungen mit Apples Wunderflunder verbinden. Zwei Millionen Stück des berührungsempfindlichen Flachrechners hat der Computerkonzern aus Cupertino in den ersten 60 Tagen verkauft. Die Marktforschungsgesellschaft Gartner prognostiziert, dass bis Ende dieses Jahres rund zehn Millionen sogenannter Media-Tablets über die Ladentische wandern könnten.

Der Optimismus der Programmierer wird vor allem durch den phänomenalen Erfolg des Mobiltelefons iPhone genährt, jenes iPads in klein, das einen regelrechten Programmboom auslöste. Mehr als fünf Milliarden Mal haben sich Apple-Fans jene Apps (Abkürzung für englisch: Applikation) genannten digitalen Helferlein heruntergeladen, mit denen sich das Mobiltelefon mal in ein Wörterbuch, mal in eine Straßenkarte oder ein simuliertes Bierglas, einen Visitenkartenscanner oder eine virtuelle Flöte verwandeln lässt.

Das Hamburger Abendblatt auf dem iPad

Hunderte von Eiern braten für die perfekte Applikation

Wegen der vergleichsweise einfachen Technik und Apples eigener Vertriebsplattform, dem App-Store, sind in den vergangenen Jahren gleich reihenweise brave Familienväter zu Hobbyprogrammierern mutiert. Einer kochte beispielsweise Hunderte von Eiern auf dem heimischen Herd, um die Formel für seine App "Die perfekte Eieruhr" zu testen, die er anschließend über Apple zum Verkauf anbot. Ein anderer entwickelte ein Programm zum Unterscheiden von Vogelstimmen. Beide Apps , die für 1,59 bis 9,99 Euro verkauft werden, bescherten ihren Schöpfern in kurzer Zeit mehrere Tausend Euro Gewinn. 30 Prozent des Umsatzes strich Apple ein - der Standarddeal, der für alle Verkäufe im App-Store gilt.

Etablierte Unternehmen wie die Hamburger Firma Navigon haben Apps als lukratives Zusatzgeschäft für sich entdeckt. Der Navigationsgerätespezialist bietet gleich mehrere Programme an, mit denen sich das iPhone in ein vollwertiges Navigationssystem verwandeln lässt. Für den Verkauf bedienen sich die Hanseaten eines cleveren Geschäftsmodells: Ein Großteil der deutschen iPhone-Besitzer erhält eine Grundversion des Programms mit Kartenmaterial für Deutschland, Österreich und die Schweiz kostenlos, muss aber für Zusatzleistungen wie Europakarten, 3D-Darstellung oder Staumeldungen bis zu 20 Euro bezahlen. Damit ist den Hamburgern das Kunststück gelungen, mit einer zunächst kostenlosen App in die Liste der umsatzstärksten iPhone-Programme aufzusteigen.

Auch die Spieleschmiede Fishlabs hat ihre bisherigen Erfolge vor allem Apples Mobiltelefon zu verdanken. "Ohne das iPhone gäbe es uns vermutlich gar nicht mehr", sagt Inhaber Schade. Das Gros des Jahresumsatzes von rund zwei Millionen Euro erwirtschaftet Fishlabs mit iPhone-Apps. Die Vorgängerversion der Weltraumsimulation "Galaxy on Fire 2" konnte Schade auf dem Handy schon mehrere Hunderttausend Mal verkaufen. Diesen Erfolg will der Chef nun auf dem iPad mit einem noch größeren und detaillierteren Spieleuniversum wiederholen.

"Das iPad gibt mobilen Spielen mit Sicherheit einen neuen Schub", ist der Entwickler überzeugt. Wesentliche neue Elemente wie Gesten- und Bewegungssteuerung habe Apple zwar mit dem iPhone schon eingeführt. "Doch auf dem iPad fühlt sich alles durch den größeren Bildschirm und die höhere Auflösung noch intensiver an."

Wenn vier Leute gleichzeitig am iPad spielen, bleibt Gerangel nicht aus

Während sich Fishlabs auf besonders aufwendige 3D-Spiele spezialisiert hat, versucht der Hamburger Konkurrent MobileBits, das iPad in eine Art digitales Brettspiel zu verwandeln. Im Firmensitz auf der Schanze drängen sich vier Männer um den Flachcomputer und tippen wie wild auf dem berührungsempfindlichen Bildschirm herum. Mit ihren Zeigefingern steuern sie kleine Comicpanzer und versuchen, sich gegenseitig abzuschießen. Der eine oder andere Ellenbogencheck bleibt dabei nicht aus.

Mit Zombies und Rollenspielen in die schwarzen Zahlen

"Statt wie bisher auf einen zentralen Bildschirm zu starren, kann man das iPad auf den Tisch legen und mit mehreren Leuten gleichzeitig daran spielen. Das ist ideal für Partys", sagt MobileBits-Geschäftsführer Karsten Wysk (31). Neben der etwas martialischen Panzerschlacht gibt es auch ein Flipperspiel und eine Hockeyvariante, bei der die Teilnehmer versuchen müssen, einen Puck im Netz des Gegners zu versenken.

"Zombie Party" haben die Entwickler ihr Spiel genannt, obwohl die kleinen grünen Comicmonster, die das Programm bevölkern, eher putzig als blutrünstig wirken. "Zombies verkaufen sich einfach gut", meint Wysk, der davon ausgeht, dass er mehrere Zehntausend Exemplare der Neuentwicklung absetzen kann. Zusammen mit einem Fantasyrollenspiel namens Soulcraft soll dies die vor einem Jahr gegründete Firma in die schwarzen Zahlen bringen. Zuvor müssen die Entwickler aber noch den berüchtigten Qualitätssicherungsprozess von Apple durchlaufen. Wie auch beim iPhone behält es sich der Computerriese vor, alle Programme für das iPad zu testen und gegebenenfalls auch inhaltlich zu zensieren. "Da fühlt man sich ein bisschen wie in Gottes Hand", so Wysk. Unberechenbar ist für die Entwickler, wie viel Zeit sich Apple nimmt, bis ein Programm akzeptiert wird. "Beim iPhone kann das einige Tage, aber auch bis zu vier Wochen dauern", sagt Wysk.

Manch ein Programmierer fühlt sich bei Apple wie in "Gottes Hand"

Der unsichere Veröffentlichungstermin stellt vor allem die Marketingstrategen der Firmen vor erhebliche Probleme. Denn nur wer zum Start alle Werbemaßnahmen über Youtube, Twitter, Facebook oder andere Kanäle bündelt, hat Aussicht, in die Top 25 der meistverkauften Programme im nationalen App-Store aufzusteigen. Und nur wer das schafft, ist für die Nutzer wirklich sichtbar und verschwindet nicht im digitalen Nirwana.

"Wenn du den Start versaust, kann dich das die Hälfte des Gesamtumsatzes kosten", weiß auch Fishlabs-Chef Schade. Ein Glücksfall ist es hingegen für die Softwareentwickler, wenn Apple sich dazu entschließt, ihr Programm in Kategorien wie "topaktuell" zu bewerben. "Einen Platz in diesen begehrten Kategorien kann man sich nicht kaufen", sagt Schade. Es helfe aber, den Mann zu kennen, der in Deutschland die Programme dafür auswähle. "Wir gehen ab und zu ein Bier mit ihm trinken."

Manchmal bleibt es aber auch für die Programmierer ein Rätsel, warum sich ein Spiel von einem Augenblick zum anderen zu einem Hit entwickelt. Als ein Werbekunde ein Wasserrutschenspiel für das iPhone programmiert haben wollte, lehnte der Fishlabs-Chef dies zunächst ab. "Mir war das Spiel zu simpel", sagt Schade. Schließlich ging es nur darum, eine Figur durch das Bewegen des Mobiltelefons durch endlose 3D-Rutschen zu steuern. Dass er sich am Ende doch breitschlagen ließ, erwies sich als Glücksfall. 14 Millionen Mal wurde das kostenlose Programm "Waterslide Extreme" bis heute heruntergeladen.

"Leider haben wir keine Erfolgsprämie vereinbart", bedauert der Chef. "Aber immerhin hat es uns weltweit bekannt gemacht."