Der weltweit geschätzte akademische Grad soll durch Master of Science ersetzt werden. Die neun führenden Technischen Unis sind dagegen.

Hamburg. Es wäre das Ende einer großen Tradition: Mit dem Diplom-Ingenieur steht einer der bekanntesten deutschen Universitätsabschlüsse vor dem endgültigen Aus. Zwar wird er am 11. Oktober 111 Jahre alt. Doch nun drohe er, "ein Opfer deutscher Politbürokratie zu werden", fürchten jedenfalls die neun führenden deutschen Technischen Universitäten, die sich in der Allianz TU9 organisiert haben. Sie repräsentieren mit 200 000 zwölf Prozent aller deutschen Studenten und zugleich die Hälfte von zuletzt 46 000 Absolventen in den Ingenieurwissenschaften. Die Forderung der TU9, die sie jetzt mit dem Buch "Glückwunsch Dipl.-Ing." unterstreichen: Der Titel soll für Deutschland nach dem Vorbild Österreichs als akademischer Grad nach einem erfolgreichen Masterstudium erhalten bleiben und nicht zum "Master of Science" mutieren.

Prominente Unternehmenschefs setzen sich für Erhalt des Abschlusses ein

Zu Hilfe kommen den Universitäten, zu denen etwa die Hochschulen in Aachen, Hannover oder auch München zählen, prominente Wirtschaftsführer. "Ein Dipl.-Ing. vor dem Namen ist wie ein Stern auf der Haube: ein Markenzeichen für höchste Qualität", schwärmt etwa Daimler-Chef Dieter Zetsche. So hätten Ingenieurleistungen zur Erfindung des Automobils geführt. "Und es werden Ingenieurleistungen sein, die über die Neuerfindung des Autos für die Ära nach dem Öl entscheiden", so Zetsche weiter.

Auch Wolfgang Reitzle, Chef der Linde AG, ist sicher: "Der Dipl.-Ing. ist eine deutsche Marke mit internationaler Strahlkraft. Er steht für höchste Qualität, Präzision und Verlässlichkeit - und damit für die Werte und Tugenden, für die unser Land in der ganzen Welt respektiert und anerkannt wird."

Dennoch sieht die Zukunft für den Titel derzeit düster aus. Denn nach dem Beschluss der Wissenschaftsminister aus 29 europäischen Staaten 1999 in Bologna soll er eben durch den international überall verständlichen Master of Science abgelöst werden. "In den Jahren nach der Entscheidung haben sich die Hochschulen sukzessive umgestellt", sagt Sven Renkel, Sprecher des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Zwar waren 2009 noch 36 000 von 46 000 Abschlüssen an Universitäten und Fachhochschulen Diplome. "Wir rechnen aber damit, dass von 2015 an diese Zahl auf null zurückgehen wird", sagt Renkel. Auch die beiden Hamburger Ingenieurhochschulen, die nicht zur Allianz TU9 gehören, bilden Neueinsteiger nur noch über sechs Semester zu Bachelors und nach weiteren vier zum Master aus. Für die TU Harburg gilt dies seit 2007/08, bei der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und Bergedorf begann die neue Ära ein Jahr früher.

Klar ist: Der Ingenieurtitel müsste nicht gänzlich verschwinden. Das sei in Bologna nicht verlangt worden, heißt es bei TU9. "Wir diskutieren derzeit noch, ob auf der Rückseite des Science-Zeugnisses zusätzlich der Diplomtitel vermerkt werden soll", sagt die Sprecherin der TU Harburg, Jutta Katharina Werner. Das Diplom der Zukunft sei aber der Master of Science. "Was zählt, ist letztlich der Inhalt der Ausbildung, und da halten wir auch für den Master an den alten Diplomqualitäten fest."

Hamburger Hochschule sieht Vorteile von Bachelor und Master

Deutlich für die neue Studienausrichtung votiert die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. "Mit dem Bachelor bietet sich nun ein Abschluss, mit dem man früher in die Wirtschaft gehen kann", sagt HAW-Sprecherin Katharina Ceyp-Jeorgakopulos. Etwa 30 Prozent der Absolventen kämen dann zurück, um den Master zu absolvieren - mit "ganz klaren Zielvorstellungen für ihr Studium." HAW-Präsident Professor Michael Stawicki zählt zu den entschiedenen Befürwortern des neuen Systems mit Bachelor und Master. "Der Diplomstudiengang hat seine Zeit gehabt", sagt er. Ceyp-Jeorgakopulos ergänzt: "An der HAW weinen wir auch dem Titel Dipl.-Ing. nicht nach. Wenn einmal die Diskussion über eine Neuordnung begonnen hat, geht es nicht mehr zurück."

Das Ruder herumwerfen könnten noch die deutschen Kultusminister. Eine Chance für den Dipl.-Ing. sieht TU9-Präsident Ernst Schmachtenberg, Rektor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, auf der nächsten Sitzung im Oktober. "Wir wünschen uns, dass das Thema dort auf die Tagesordnung kommt."