Verfassungsschutz hat China und Russland im Visier. Schaden der Spionage aus dem Ausland beträgt in Hamburg jährlich rund 70 Millionen Euro.

Hamburg. Argwohn hegte niemand, wenn abends die Putzfrau in der Büroetage unterwegs war. Ihr Interesse an Schreibtischen, Regalen und Personalcomputern schien nur dem Staub zu gelten. Dass sie mit einem 400 Euro teuren Kopierstift ähnlich einem Textmarker ganze Schriftsätze kopierte und sich über ein unverdächtig aussehendes, am Morgen angestöpseltes Kabel alle an einem Tag verwendeten Passwörter sicherte, hätte ihr ohnehin keiner zugetraut. Doch der Dame aus Osteuropa ging es sowieso nicht primär um die acht Euro Stundenlohn, sie hatte ganz andere Aufgaben. Wie sie werden immer häufiger Spione in Unternehmen eingeschleust, um für ihre Heimatstaaten wirtschaftlich wichtige Entwicklungen auszuspähen und die begehrten Daten auf ihre Weise zu besorgen.

Die Gefährdungslage in Deutschland ist konkret, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2009. Das gilt auch für Hamburg. "Es gibt immer wieder Probleme, und die Zahl der Fälle nimmt zu", sagt Marc März, der Sprecher des Hamburger Industrieverbandes, der 230 Firmen in der Stadt vertritt. Den jährlichen Schaden allein in Hamburg beziffert Philip Buse, Geschäftsführer des Verbandes für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland (VSWN), auf 70 Millionen Euro und mehr.

Dabei ist die Tendenz steigend, sind sich vom Abendblatt befragte Experten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG und von Pricewaterhouse Coopers (PwC) sicher. "Das ergibt sich schon daraus, dass die Informationen für einen Markteintritt oder über eine neue Technologie immer wertvoller werden", sagt Alexander Geschonneck, Partner bei KPMG.

Woher die Gefahr kommt, ist für Experten klar. "Staaten wie Russland und China betreiben mit ihren Nachrichtendiensten aktiv Spionage in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2009. Allein 13 000 Mitarbeiter des zivilen Auslandsnachrichtendienstes seien auf deutsche Unternehmen angesetzt. Dazu arbeiten noch einmal 350 000 Menschen für den russischen Inlandsnachrichtendienst mit besonderem Blick auf das Internet. Beim chinesischen Ministerium für Staatssicherheit sind gleich 800 000 Mitarbeiter angestellt. 80 000 Chinesen leben und arbeiten in Deutschland - darunter Gastwissenschaftler, Praktikanten und Studenten, hat der Verfassungsschutz gezählt. Da die Informationsbeschaffung in China und Russland "ganz offiziell im Regierungsprogramm festgehalten wird", wie VSWN-Geschäftsführer Buse sagt, dürften zumindest einige von ihnen durchaus bereit sein, für ihren Staat zusätzliche Aufgaben zu übernehmen. "Ich hege keinen Zweifel daran, dass solche Aufträge ernst genommen werden", sagt Heino Vahldieck, der Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes.

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Die Gefahr, ihren technologischen oder organisatorischen Vorsprung rascher als gedacht zu verlieren, droht vor allem Hightech-Firmen. Das reicht vom in Hamburg stark vertretenen Flugzeugbau nebst Zulieferern über den Schiffbau bis hin zu Metallfirmen, Energieversorgern oder der Chemie- und Pharmaindustrie. "Man kann davon ausgehen, dass bei solchen Firmen überall schon einmal etwas vorgefallen ist und zumindest ein Versuch gestartet wurde, an sensible Daten zu kommen", sagt Buse. Die Chinesen gehen dabei oft nach der Staubsaugermethode vor und sichern sich jede Information, der sie habhaft werden können. "Manchmal reicht unsere Fantasie nicht aus, uns vorzustellen, was alles für die Dienste interessant ist", räumt Vahldieck ein.

Insgesamt 400 Firmen werden derzeit in Hamburg beraten. Dazu gehören auch Mittelständler, die mit ihren Technologien an der Weltspitze stehen. Noch immer aber wird die Gefahr unterschätzt. In manchen Unternehmen herrsche eine gewisse Naivität, meint der Hamburger Verfassungsschutzchef, und zu wenig Sorgfalt, um sich selbst zu schützen.

Dabei geht es nicht nur um die Abwehr von elektronischen Hilfsmitteln der Spione. Auch grundsätzliche Überlegungen können die Gefahr vermindern, Opfer eines Spähangriffs zu werden. So sollte vor Auslandsreisen überlegt werden, welche Informationen auf welchen Speichermedien mitgenommen und wie sie geschützt werden. Für das Unternehmen selbst gilt: Es muss klar festgelegt sein, wer wie viel von welchen Daten einsehen darf. "Es kann nicht sein, dass Praktikanten überall reingucken können", sagt Steffen Salvenmoser, Experte für Wirtschaftskriminalität und Partner bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC.

Oftmals sei die "Schwachstelle auch der Mensch", hat Salvenmoser erfahren. "Man muss nur einmal in der 1. Klasse Bahn fahren und sehen, wie offen Informationen in den Laptops einzusehen sind", sagt er. Als Qualifikation für einen Spion reicht es in solchen Fällen mitunter schon aus, einfach gut lesen zu können. Solche Sorglosigkeit kann jedoch weiterreichende Folgen haben. "Deutschland lebt von seinem Know-how", sagt Buse vom Verband für Sicherheit in der Wirtschaft. "Wenn davon zu viel abfließt, verliert das Land seinen Wissensvorsprung. Dagegen müssen wir uns wehren."