Verbraucher zahlen laut Grüne eine Milliarde Euro zu viel im Jahr für ihren Strom. Der Atomausstieg sei unverzichtbar für faire Preise.

Hamburg. Die Verbraucher in Deutschland müssen derzeit einen zu hohen Strompreis bezahlen. Das ist das Ergebnis einer Studie im Auftrag der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag. "Die Preiserhöhungen beim Strom für die Haushaltskunden in diesem Jahr sind nicht nachvollziehbar", schreibt der Leverkusener Energieexperte Gunnar Harms und vergleicht die Einkaufspreise an der Strombörse EEX in Leipzig mit den Tarifen, die die Konzerne von ihren Kunden verlangen.

Sein Fazit: Der Großhandelspreis am Terminmarkt, an dem langfristige Bezugsverträge zur Versorgung von Privatkunden gehandelt werden, ist demnach seit 2008 bis heute um fast 30 Prozent gesunken, während die Strompreise für Verbraucher im gleichen Zeitraum munter um durchschnittlich sieben Prozent nach oben geklettert sind. Laut Harms hat dies zur Folge, dass die Verbraucher in Deutschland zusammengenommen rund eine Milliarde Euro zu viel im Jahr für ihren Strom bezahlen müssen.

An den sogenannten Spotmärkten, bei denen sich Industriekunden über kurzfristige Verträge eindecken, sind die Einkaufspreise demnach sogar um 40 Prozent gefallen. Bei den Unternehmen habe dies, im Gegensatz zu den Privatkunden, auch zu niedrigeren Einkaufskosten geführt. Der Grund für beide Preisrückgänge an der Leipziger Börse liegt in der Wirtschaftskrise. Während der Kurzarbeit in zahlreichen Firmen sowie durch Betriebsaufgaben infolge der Finanzmarktkrise sank die Nachfrage der Wirtschaft nach Strom gewaltig. Heruntergefahren haben die Versorger ihre Kraftwerke dennoch nicht. Um die Ausfälle wenigstens teilweise auszugleichen, hätten die Konzerne vielmehr den Verbraucher zum Zahlmeister gemacht. "Statt gesunkene Börsenpreise an private Haushalte weiterzugeben, werden die Preise von den Stromkonzernen willkürlich erhöht. Es handelt sich um reine Abzocke der Unternehmen. Denn deren Gewinne erreichen Jahr für Jahr exorbitante Höhen", sagte gestern Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, dem Abendblatt .

Verbraucherschützer raten, zu günstigeren Anbietern zu wechseln

"Die Preiserhöhungen der vergangenen Monate sind für mich nicht nachvollziehbar", ergänzt Aribert Peters, Chef vom Bund der Energieverbraucher. Er rät betroffenen Kunden, zu einem günstigeren Anbieter zu wechseln oder sogar die Preisgestaltung der Anbieter gerichtlich überprüfen zu lassen. "Uns fällt immer wieder auf, dass die Konzerne steigende Kosten schneller an die Kunden weitergeben als sinkende", sagt auch Dagmar Ginzel, Sprecherin vom Internetverbraucherportal verivox.de, das sämtliche Strompreise der Lieferanten darstellt.

Die Argumentation der Stromfirmen, die gesetzlich festgelegten Zuschüsse für erneuerbare Energien seien gestiegen und würden den Preis hochtreiben, lässt Harms nicht gelten. Er hat nachgerechnet, dass die zu Jahresbeginn gestiegene Umlage nach dem Einspeisungsgesetz für Erneuerbare Energien (EEG) nur einen Mehrpreis von 0,7 Cent pro Kilowattstunde gerechtfertigt hätte. Exakt diese Kostenerhöhung hatte der Hamburger Versorger Vattenfall zum Jahresanfang an seine Kunden weitergegeben. Konkurrent RWE hingegen hebt zum 1. August seine Tarife um 7,3 Prozent an. Für Kunden der Grundversorgung bedeutet dies satte 1,79 Cent Mehrkosten je Kilowattstunde. "Dadurch werden ungerechtfertigte Mehrerlöse von circa 100 Millionen Euro erzielt", so die Studie.

RWE ist kein Einzelfall. Nach Angaben des Preisvergleichsportals Toptarif wollen bis September mindestens 15 weitere deutsche Versorger ihre Preise erhöhen - obwohl laut Verivox im ersten Halbjahr 2010 bereits 454 Unternehmen die Tarife um durchschnittlich sechs Prozent angehoben haben. Vattenfall hingegen plant in Hamburg in diesem Jahr keine Veränderung mehr.

"Die steigenden Strompreise sind ein Symptom des nicht funktionierenden Wettbewerbs. Eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke konterkariert den Wettbewerbsgedanken weiter. Der Atomausstieg ist unverzichtbar für effektiven Wettbewerb und faire Strompreise. RWE macht hier mit schmutziger Kohle das dicke Geschäft. Die Zeche zahlt der Verbraucher", sagt Grünen-Politikerin Ingrid Nestle.

Sinkende Netzkosten nicht an die Kunden weitergegeben

Laut Harms haben die Stromunternehmen den Kunden nicht nur eigene Kosteneinsparungen vorenthalten, sondern auch eingesparte Netzkosten in einer Gesamthöhe von 200 Millionen Euro nicht an die Verbraucher weitergegeben. Auf den Strompreis gerechnet, bedeutet dies, dass die Haushalte derzeit 0,05 Cent pro Kilowattstunde weniger bezahlen müssten, wenn ihnen die Versorger diese Kostenentlastung gutgeschrieben hätten.

Ohne die Strombörse EEX in Leipzig ist in Deutschland heute der Stromhandel übrigens kaum noch denkbar. Die großen Erzeuger wie E.on, EnBW, RWE oder Vattenfall geben die von ihnen in Atom- oder Kohlekraftwerken sowie über Windkraftanlagen produzierten Strommengen an die Börse, wo je nach Angebot und Nachfrage der Preis für die Energie ermittelt wird. Danach werden die Kontrakte verkauft. Nicht selten kommt es vor, dass ein Erzeuger an der Strombörse die von ihm dort zuvor angebotene Menge wieder zurücknimmt. Neben den Stromerzeugern treten vor allem Banken und andere Finanzinvestoren als Käufer und Verkäufer von Stromkontrakten auf. Die Kilowattstunden gehen somit durch viele Stationen, ehe sie in der Steckdose des Verbrauchers ankommen.