Volkswagen, Daimler und BMW befinden sich insbesondere im Ausland auf Rekordkurs. Das befürchtete Händlersterben ist bisher ausgeblieben.

Hamburg. Manchmal sind Irrtümer eine gute Sache. Nach dem Auslaufen der Abwrackprämie werde über die Autohändler in diesem Jahr eine immense Pleitewelle hinwegrollen, fast jeder zweite Betrieb in Deutschland sei dann akut von der Insolvenz bedroht - so lauteten die alarmierenden Nachrichten einer Expertenstudie Ende August 2009.

Und noch im November malte kein geringerer als Volkswagen -Chef Martin Winterkorn die Perspektiven der Autohersteller in düsteren Farben: 2010 werde schwieriger als das Wirtschaftskrisenjahr 2009, in dem immerhin staatliche Stützungsprogramme wie die deutsche Abwrackprämie Schlimmeres verhinderten. Volkswagen müsse in den nächsten Jahren versuchen, mit Kurzarbeit möglichst viele Jobs zu retten.


Doch die Realität sieht ganz anders aus. Kurzarbeit gibt es in den deutschen Pkw-Werken längst nicht mehr. Der VW-Konzern hat in den ersten sechs Monaten dieses Jahres dank des blendenden Auslandsgeschäfts 15 Prozent mehr Autos verkauft als im Vorjahreszeitraum und plant für 2010 einen Produktionsrekord. Mercedes-Benz erreichte im ersten Halbjahr ebenfalls ein Absatzplus von 15 Prozent, bei der BMW-Gruppe waren es 13 Prozent.

Selbst Experten staunen über solche Zahlen. "Es ist schon überraschend, wie schnell man aus diesem tiefen Tal herauskam", sagte Stefan Bratzel, Professor an der Fachhochschule der Wirtschaft Bergisch Gladbach, dem Abendblatt. "Diese Dynamik ist absolut einmalig, so etwas gab es noch nie." Und auch von einem dramatischen Händlersterben auf dem deutschen Markt kann nicht die Rede sein.


"Nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts für den Zeitraum Januar bis April hat sich die Zahl der Insolvenzen von Autohändlern und Werkstätten im Vergleich zum Vorjahr nicht wesentlich verändert", sagte Ulrich Köster vom Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK).

Zwar sind die Neuzulassungen in Deutschland im ersten Halbjahr um 29 Prozent eingebrochen, nachdem im Vorjahr die Abwrackprämie für einen Absatzboom gesorgt hatte. Aber dies werte man als die "Rückkehr zu einem Normaljahr" wie etwa 2008, erklärte Köster. Gemessen an den damaligen Verkaufszahlen entspreche die jüngste Halbjahresbilanz nur einem Minus von zehn Prozent, und dies liege noch innerhalb der "normalen Schwankungsbreite", mit der die Autohäuser umgehen könnten.

Doch die Pleitewelle ist noch aus einem anderen Grund bislang ausgeblieben: "Ursache der Insolvenzen sind häufig Finanzierungsprobleme", sagte Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) in Nürtingen, "aber die Bilanzen für das Jahr 2009 sehen bei vielen Autohändlern gut aus, und darum bekommen sie bei den Banken weiter Kredite." Schon im nächsten Jahr könne sich dies allerdings umkehren. Ohnehin sei das Händlernetz überbesetzt, meinte Bratzel. "Darum wird sich die Zahl der unabhängigen Autohäuser in den kommenden Jahren deutlich reduzieren, in vielen Fällen durch Übernahmen." Selbst der ZDK rechnet damit, dass sich die Zahl der Firmen in dieser Branche innerhalb von acht bis zehn Jahren auf weniger als 5000 halbiert, die Zahl der Filialen werde von etwa 20 000 auf allenfalls 15 000 schrumpfen.


Ähnlich wie die bisherige Resistenz der Händler gegen den Absatzeinbruch auf dem Inlandsmarkt beruht auch der unerwartet große Exporterfolg der deutschen Hersteller nach Ansicht von Diez nicht zuletzt auf einem Sondereffekt: "Den Wertverfall des Euro gegenüber dem Dollar konnte man so nicht vorhersehen." Tatsächlich sind Daimler, VW und BMW zurzeit in den USA und in Asien, wo etliche Währungen mehr oder weniger fest an den Dollar gekoppelt sind, besonders erfolgreich. Nachdem laut Diez während der Wirtschaftskrise in der deutschen Autoindustrie rund 50 000 Jobs - hauptsächlich bei Zeitarbeitskräften - verlorengingen, werden diese Stellen nun allmählich wieder aufgebaut.

"Für die Zahl der fest angestellten Beschäftigten erwarte ich aber auch auf längere Sicht kein deutliches Wachstum mehr", sagte Bratzel. Denn in den Chefetagen sei man sich bewusst, glaubt Diez, dass der Exportboom auf tönernen Füßen steht. Sein Kollege aus Bergisch Gladbach nennt einen der Gründe dafür: "In China droht eine gewisse Überhitzung." Zudem befürchten immer mehr Ökonomen einen konjunkturellen Rückschlag in den USA. Und noch ein Argument spricht nach Auffassung von Bratzel gegen einen Ausbau der Kapazitäten an den deutschen Standorten: "Der Druck auf die Konzerne wächst, dort zu produzieren, wo die großen Absatzmärkte sind." So plant etwa VW eine Fabrik in den USA und eröffnete vor gut einem Jahr ein Werk in Indien.


Auf Rückenwind durch eine kräftige Erholung des Heimatmarktes dürfen die deutschen Hersteller wohl auch nicht hoffen. Nachdem die Abwrackprämie im vorigen Jahr für 3,8 Millionen Neuzulassungen sorgte und die Zahl in diesem Jahr auf voraussichtlich 2,8 Millionen absackt, dürften es 2011 wohl nicht mehr als 3,1 Millionen werden, erwartet Diez: "Deutschland hat schließlich einen gesättigten Markt." Daher sei auch künftig nicht mit sehr viel mehr als drei Millionen Neuwagen jährlich zu rechen. Zum Vergleich: In China wurden schon 2009 mehr als zehn Millionen neue Autos gekauft.