Ladeninhaber und Dienstleister versuchen, Leben in die HafenCity zu bringen. Doch das Geschäft im Quartier ist noch längst kein Selbstläufer.

Hamburg. Einzelhändler und ihr Quartier müssen eine Symbiose bilden, eine ertragreiche wechselseitige Beziehung für Kunde und Kaufmann. Deshalb hat Gisela Roppelt ihr Bekleidungsgeschäft Gutejacke.de im vergangenen Oktober am Überseeboulevard eröffnet, mitten in der HafenCity, in Hamburgs jüngstem Stadtteil und Europas wohl spektakulärstem stadtplanerischen Projekt. Roppelt verkauft Allwetterbekleidung von Topmarken wie Mammut, Schöffel, The North Face oder Tatonka für einen denkbar breiten Kundenkreis: für Geschäftsleute, für Freizeiter mit Naturdrang, für den Alltagsgebrauch bei jeder Witterung. Doch der Durchbruch ist noch nicht geschafft: "Während der Winterzeit war wenig los, aber wir sind nicht unzufrieden. Die Lage hier hat viel Potenzial."

All die Kunden, mit denen die Kauffrau vor der Eröffnung kalkuliert hatte, gibt es in der HafenCity: den Ingenieur oder die Architektin, die für eine Außenbegehung noch schnell eine modische Outdoorjacke in der richtigen Länge und der passenden Farbe brauchen, den Anwohner, der am Sonnabend in Ruhe die Auslage studiert, die touristische Laufkundschaft aus aller Herren Länder. Doch es gibt am Überseeboulevard noch nicht genügend davon. "Der Kunde muss wohl erst noch erkennen, dass man hier im Quartier überhaupt einkaufen kann", sagt Roppelt. "Diejenigen, die dann herkommen, sind meistens ziemlich begeistert."

Großprojekte wie die HafenCity sind ein besonderes Wagnis. Ihre Gestalt kann man recht genau planen, viel weniger hingegen, wie und wie schnell sich dieses Format dann mit Leben erfüllt. Hamburgs Einzelhändler und Dienstleister machen derzeit spannende und teils ernüchternde Erfahrungen. Die Erstbelegung im Geschäft gegenüber von Gutejacke.de, ein Schmuckhändler, hat bereits aufgegeben. Nun versucht sich dort ein Herrenausstatter. "Die Ladenmieten hier sind zukunftsorientiert hoch", sagt Roppelt mit Blick auf den erhofften künftigen Boom. Dennoch bereut sie ihre Entscheidung nicht. Den Erfolg ihres ersten Geschäfts am Kreuzfahrthafen von Rostock Warnemünde möchte sie in der HafenCity wiederholen. "Ich hätte hier gern größer gemietet, aber der Andrang nach guten Ladenlokalen ist hoch."

Die HafenCity ist für Kaufleute bislang noch ein hartes Pflaster. Dabei wirkt die Präsenz von Läden, Restaurants, Studios und Salons auf den ersten Blick völlig normal für einen Stadtteil in Aufbau und Aufbruch. Viele Hamburger Filialisten sind in den Straßen und Plätzen präsent, von der Haspa bis Dat Backhus. Auch überregional tätige Unternehmen wie Le Crobag, Edeka, Rossmann und die Deutsche Bank zeigen Flagge zwischen Elbe und Speicherstadt. Die Kettenläden und Großfilialisten können sich Experimente und ertragsschwache Zeiten in einer wechselvollen Umgebung wie dieser gut erlauben. Die Kleinunternehmer aber, Kaufleute und Dienstleister mit nur einem oder wenigen Läden, gehen volles Risiko. Vor allem sie leisten die Pionierarbeit bei der Belebung der HafenCity.

+++ Wie City und HafenCity zusammenwachsen +++

Rund 80 von ihnen haben sich im Netzwerk HafenCity organisiert, einem Verein, der die Interessen von Anliegern und Anwohnern im Dialog mit den städtischen Institutionen vertritt. Der Brillenfachhändler Kevin Schütt repräsentiert als 2. Vorsitzender des Vereins vor allem die Kaufmannschaft. Er führt das Familienunternehmen Schütt Optik, das in der Hamburger Innenstadt zwei Filialen unterhält. Am Großen Grasbrook eröffnete Schütt im Februar 2011 die erste Filiale seiner neuen Handelsmarke SehKunst. Die Unwägbarkeiten des neuen Viertels kennt er gut: "Bislang ist die HafenCity ein Schönwetterstadtteil, im Winter strahlt sie eine gewisse Kühle aus. Mit SehKunst an den Großen Grasbrook zu gehen, war trotzdem absolut richtig - obwohl wir mit dem Standort noch nicht da sind, wo wir hinwollen."

Das Geschäft vor Ort sei bislang stark von den saisonalen Schwankungen im Tourismus geprägt und vom Freizeitverhalten vieler regionaler Kunden. "Wir sind bislang noch sehr abhängig vom Tourismus, und das vor allem an den Wochenenden. An den Sonntagen entgeht uns viel Umsatz", sagt Schütt. "Zumindest für eine Übergangszeit, bis die HafenCity enger an die Stadt angebunden ist und mehr Menschen dort wohnen, bräuchten wir regelmäßig verkaufsoffene Sonntage." Das Hamburgische Ladenöffnungsgesetz allerdings bietet dafür keinen Spielraum. Nur vier verkaufsoffene Sonntage im Jahr gestattet es dem größten Teil des städtischen Einzelhandels. Die Bezirke legen dafür die Termine fest. In der HafenCity ist der nächste verkaufsoffene Sonntag der 1. April.

Die Fachverbände des Hamburger Einzelhandels wollen mehr verkaufsoffene Sonntage für die Stadt erreichen, nach dem Vorbild von Berlin, wo es zwölf solcher Termine im Jahr gibt. "Eine Sonderregelung für die HafenCity ist aber politisch und rechtlich nicht zu machen", sagt der 1. Geschäftsführer Wolfgang Linnekogel. Viele Entwicklungen, die über den Aufschwung des neuen Stadtteils mitentscheiden, können die Händler nicht beeinflussen. "Die Finanzmarktkrise hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Bauprojekten verzögert, zum Beispiel im Überseequartier, dem eigentlichen Zentrum der HafenCity", sagt Linnekogel. Rund 10 000 Quadratmeter Verkaufsfläche gebe es bislang im Überseequartier. Ursprünglich hatte man für 2012 bereits mit 20 000 bis 30 000 Quadratmetern gerechnet.

Auch die Querelen und die jahrelangen Verzögerungen bei der Fertigstellung der Elbphilharmonie wirken sich auf den Stadtteil aus. 2009 sollte das Konzerthaus eingeweiht werden, so sahen es ältere Planungen vor. Mittlerweile erscheint Ende 2014 realistisch. "Die Elbphilharmonie wird ein wichtiger zusätzlicher Magnet für den Handel in der HafenCity sein", sagt Linnekogel. "Umgekehrt spüren die Unternehmen vor Ort eben auch, dass da bislang noch ein sehr wichtiges Element fehlt."

Wind zieht durch die Straßenschneise des Kaiserkais. Der Frühling startet seinen ersten Vorstoß in diesem Jahr. Trotz der Sonne wirkt das Quartier an dieser Stelle nicht behaglich. Am Ende der Straße ragt die unvollendete Elbphilharmonie empor. Noch Jahre werden vergehen, bis das spektakulärste Konzerthaus Deutschlands den Betrieb aufnehmen kann. Thomas Eckholdt fährt mit einem Lieferwagen vor und öffnet den Ausstellungsraum seines Unternehmens Thomas Gardener. Gerade kommt er aus seiner eigenen Baumschule in Oldenburg. Eckholdt ist Gärtner und Landschaftsgestalter. In Deutschland und weit darüber hinaus entwirft und baut er Gärten und Parks von erlesener Schönheit und mit ausgewähltem Zubehör. Pflanzen, Baumaterial aus Holz, Stein und Metall, aber auch Außenmöbel und Dekorstücke sind seine wichtigsten Accessoires.

Einige der luxuriösen Artikel präsentiert er im Ausstellungsraum am Kaiserkai: Keramikschalen, extravagante Sitzmöbel und auch eine 200 Jahre alte indische Tonamphore, die einst in einem Haus eingemauert war und in der Reis lagerte. Auf der Rückseite des Ladens blickt man auf den neuen Museumshafen mit Schiffen wie der früheren Senatsbarkasse "Schaarhörn" oder dem aufwendigen Nachbau der historischen russischen Fregatte "Shtandart". "Wir nutzen den Laden vor allem als Beratungs- und Präsentationsraum für die Gartenprojekte unserer Kunden", sagt Eckholdt. "Viele kommen aus dem Ausland. Das Ambiente der HafenCity, gerade hier in Sichtweite der Elbphilharmonie oder der Museumsschiffe, begeistert sie." Auf Laufkundschaft hingegen sollte man sich am Kaiserkai nicht verlassen, meint er: "Er wird immer vor allem ein Versorgungsweg bleiben. Eine Shoppingmeile wird hier nie entstehen. Allein schon wegen des steifen Windes zwischen den Häusern."

Das Spannungsverhältnis zwischen alt und neu, die Dynamik des ständigen Wandels in der HafenCity wollte Steffi Oesterwind für ihr Geschäft nutzen. 2010 zog sie mit ihrem Kosmetik- und Wellnessstudio Sakura Spa in den Sandtorkai, eine der ersten Straßen, die in dem neuen Stadtteil bebaut worden waren. Aus dem Fenster ihrer Rezeption blickt sie auf ein iranisches Teppichlager in der Speicherstadt. Maniküren, Pediküren, Massagen und Botox-Behandlungen bietet die erfahrene Kosmetikerin an. "Ich wollte etwas Neues haben und raus aus dem Jugendstilambiente am Rothenbaum", sagt sie. Ihre Stammkunden kommen teils von weither aus dem Ausland, zunehmend aber auch aus der HafenCity selbst. Anwendungen und Behandlungen gibt es nur mit Voranmeldung: "Wir sind auf vier bis sechs Wochen im Voraus ausgebucht, vor allem an exponierten Tagen wie den Sonnabenden."

Die Startschwierigkeiten, die viele Händler und Gastronomen in der HafenCity erlebt haben, teilt Oesterwind nicht. "Wir sind dabei, uns ein ganz neues Publikum zu erschließen, sowohl Anwohner wie auch Menschen, die hier arbeiten." Die Anziehungskraft und die Chancen des neuen Stadtteils faszinieren die Unternehmerin: "Man fährt zwei Wochen in Urlaub und kann sicher sein: Wenn man zurückkommt sieht es wieder ganz anders aus als zuvor."