Renaissance der Braukunst: Ratsherrn, Blockbräu, Gröninger. In der einstigen Bierhochburg Hamburg entstehen wieder kleine Brauereien.

Hamburg. Geschlafen hat Thomas Kunst nur wenig in den vergangenen Tagen. Immer wieder ist der Braumeister nachts hochgeschreckt, hat verzweifelt nach seinen Werkzeugen gesucht und ist im Kopf die Details seiner neuen Brauerei im Schanzenviertel durchgegangen. Funktionieren alle Ventile richtig und arbeitet auch die Sudpfanne korrekt, in der bald die Zutaten für sein Bier kochen?

Mitte dieser Woche war es dann endlich so weit: Zum ersten Mal schalteten Kunst und seine Kollegen ihre neue Anlage ein und begannen, aus Malz, Wasser, Hopfen und Hefe die ersten 50 Hektoliter Ratsherrn Pilsener zu brauen. "Das war schon ein erhebender Moment", sagt der 46 Jahre alte Familienvater. "So etwas erlebt man als Braumeister nur einmal im Leben."

Es ist eine Renaissance der Braukunst, die sich derzeit in und um Hamburg abspielt. Nicht nur die Ratsherrn-Brauerei auf dem ehemaligen Schlachthofgelände im Schanzenviertel hat in dieser Woche ihre Arbeit aufgenommen. Auch im Blockbräu an den Landungsbrücken testet der dortige Braumeister gerade seine Anlage. Und Jens Stacklies, der Chef der Gröninger Privatbrauerei in der City, will im kommenden Jahr eine weitere Braustätte in Pinneberg eröffnen.

Damit kehren zumindest einige Brauer in die Hansestadt zurück, die mit mehr als 400 Braustätten mal als die Bierhochburg Deutschlands galt und der heute mit Holsten nur eine einzige Großbrauerei geblieben ist. Die neuen Bierexperten setzen allerdings nicht auf die Massenproduktion, sondern auf Erlebnisgastronomie. In ihren Gasthäusern bieten sie neben Bier auch Speisen und Spezialitäten an.

"Wir verbinden moderne Technik mit der alten Handwerkstradition", sagt Braumeister Kunst, während er durch das Herzstück der Ratsherrn-Brauerei führt. Wie eine fremdartige, futuristische Maschine wirken die Lagertanks, Bottiche und Röhren aus gebürstetem Edelstahl, die mitten in den verwitterten, historischen Viehhallen des Schlachthofgeländes stehen.

Um den Braumeister herum herrscht noch das komplette Chaos. Bauarbeiter heben Fundamente für das angrenzende Gasthaus aus, andere schweißen Verstärkungsteile an alte Stahlträger. Herber Biergeruch vermischt sich mit dem Geruch von feuchtem Zement und glühendem Metall.

Die Braueranlage selbst aber läuft bereits wie ein Uhrwerk, Computer steuern alle Prozesse. Zweieinhalb Jahre hat Thomas Kunst sein "Baby" zusammen mit der Herstellerfirma konzipiert, in seinem Büro stapeln sich fast 60 Aktenordner mit den technischen Details. "Ich habe besonders darauf geachtet, dass ich mit der Anlage verschiedene Spezialitäten brauen und auch manuell in den Prozess eingreifen kann", erzählt er.

+++ Jens Stacklies: Das Energiebündel aus der Fischauktionshalle +++

Und dann deutet der gemütliche Mann mit dem mächtigen Bauchumfang auf drei kleine Zylinder, die im Zentrum des Sudhauses stehen. Seinen "Braueraltar" nennt er die Anordnung. Hier kann der Experte per Hand den Hopfen in die Anlage füllen und so den Charakter des Bieres beeinflussen. Vier verschiedene Hopfensorten hat er miteinander kombiniert, um den richtigen, leicht herben Geschmack zu finden. "Unser Bier soll eine elegante Hopfennote haben, die an der Zunge nicht so stark nachhängt", sagt er.

Ob ihm dies gelungen ist, wird der Braumeister erst in etwa zwei Wochen erfahren. So lange dauert es, bis die Hefe das Gemisch aus Malz, Hopfen und Wasser im Gärprozess in Bier verwandelt hat und es erstmals probiert werden kann. "Wir werden sicher noch ein paar Testläufe benötigen, bis das Ergebnis perfekt ist", sagt Kunst.

Der Braumeister geht davon aus, dass das erste, in Hamburg gebraute Ratsherrn Pilsener in etwa sechs Wochen abgefüllt und danach an Restaurants, Kneipen und Supermärkte ausgeliefert werden kann. Bisher stammen die Flaschen, die in der Hansestadt zu bekommen sind, noch aus der Stralsunder Brauerei der Nordmann-Gruppe, die hinter Ratsherrn steckt. Das Unternehmen hatte vor Jahren die Rechte an der einstigen Hamburger Traditionsmarke von Holsten erworben.

In der sogenannten Braumanufaktur soll es auch noch eine Minibrauerei geben, in der die Gäste den Herstellungsprozess noch genauer als in der großen Anlage verfolgen und auch mit dem Braumeister zusammen ihr eigenes Bier brauen können. Das angrenzende Gasthaus wird voraussichtlich im Juli seine Pforten öffnen.

Insgesamt verfügt die Ratsherrn-Brauerei über eine Kapazität von 50.000 Hektoliter pro Jahr, das geht deutlich über eine reine Gastrobrauerei hinaus. Und es unterstreicht den Anspruch, das Bier auch über die Grenzen Hamburgs hinaus in ganz Norddeutschland zu vertreiben.

Im Blockbräu am Hafen ist man da bescheidener, hier liegt die Kapazität gerade einmal bei 5000 Hektoliter jährlich. Das genügt zwar, um Tausende von Touristen und Einheimische täglich zu verköstigen, aber nicht, um noch etwas an andere Betriebe abzugeben.

+++ Baubeginn für Eugen Blocks Brauhaus an der Elbe +++

"Dafür habe ich aber den viel schöneren Arbeitsplatz", lacht Braumeister Thomas Hundt und lässt den Blick von seinem Braukessel über das spektakuläre Hafenpanorama schweifen. Mitten in die historischen Landungsbrücken hinein hat Hamburgs Steakhaus-König Eugen Block seine erste eigene Brauerei gesetzt. Acht Millionen Euro hat sich der Patriarch die Verwirklichung seines Traums kosten lassen, allein die Brauanlage hat 750 000 Euro verschlungen. Am 23. April soll das neue Haus mit mehr als 500 Plätzen und einer riesigen Dachterrasse eröffnen.

Auch im Blockbräu wuseln noch zig Bauarbeiter um den Braumeister herum, sägen kreischend schwarze Fliesen zu oder schleppen riesige Kabeltrommeln durch das künftige Restaurant, das sich über zwei Ebenen erstreckt. Über all dem thront das Sudhaus mit seinen kupferfarbenen Kesseln, die zum Schutz noch in Plastikplanen gehüllt sind und daher noch nicht fotografiert werden dürfen.

Im Inneren der Kessel läuft aber auch hier der Brauprozess auf Hochtouren. Braumeister Hundt wirft einen prüfenden Blick in die Würzepfanne, in der eine trübe Flüssigkeit aus Malz, Wasser und Hopfen vor sich hinblubbert. Mit dem Finger tippt der 51-Jährige auf einen berührungsempfindlichen Bildschirm, über den die Anlage gesteuert wird. "Da gibt es ein Dampfventil, das sich immer von allein öffnet", sagt Hundt. "Das müssen wir noch in Ordnung bringen."

Auch dem besten Braumeister passieren mal kleine Missgeschicke

Hundt hat Erfahrung damit, neue Brauanlagen in Betrieb zu nehmen. Nach einer Lehre bei Haake-Beck hat er in vier Gasthausbrauereien in Hannover und Bremen gearbeitet. Dennoch passieren auch dem Experten noch hin und wieder kleine Missgeschicke. Als er den ersten Treber, das Abfallprodukt des Brauprozesses, genauer unter die Lupe nehmen wollte, spritzten ihm die ausgelaugten, übel riechenden Malzrückstände ins Gesicht. "Da wusste ich, dass die Mischung ein wenig zu flüssig ausgefallen war."

Was den Umgang mit Hopfen angeht, hat jeder Braumeister so seine ganz eigene Philosophie. Während Hundts Kollege bei Ratsherrn mehrere Sorten zusammengemixt hat, schwört man im Blockbräu auf die Sorte "Spalter Select", die aus dem größten deutschen Anbaugebiet Hallertau in Bayern stammt. Damit glaubt Hundt am besten die Vorgaben seines Chefs Eugen Block erfüllen zu können, der sein Pils gern "feingehopft und süffig" hätte. "Wir müssen aber noch abwarten, wie der Hopfen mit dem Hamburger Wasser reagiert", sagt er. Daneben braut Hundt auch ein Weizenbier, das einen "bananigen" Geschmack aufweisen soll. "Das erreicht man dadurch, dass man bestimmte Temperaturen beim Einmaischen beachtet", verrät der Braumeister. In einigen Wochen wird er Block zu einem ersten Testtrinken bitten.

Wenn das Blockbräu wie geplant einschlägt, ist es durchaus denkbar, dass die Gruppe auch in anderen deutschen Städten vergleichbare Gasthausbrauereien eröffnet. "Das Konzept eignet sich auf jeden Fall, um auf andere Städte übertragen zu werden", sagt Blockbräu-Geschäftsführerin Claudia Driver, die zuvor schon für die Burgerkette der Gruppe, Jim Block, verantwortlich war.

Wie gut sich mit Gasthausbrauereien Geld verdienen lässt, weiß der Chef der Gröninger Privatbrauerei, Jens Stacklies. Sein Braukeller, dessen Ursprünge bis ins Jahr 1722 zurückreichen, ist eines der letzten Überbleibsel der großen Hamburger Biertradition. Heute drängen sich am Wochenende bis zu 1000 Gäste in den urigen Gewölben an der Willy-Brandt-Straße mitten in der Innenstadt. Rund 2500 Hektoliter Bier schenkt der Gastronom im Jahr in dem Traditionshaus aus, das er 1995 übernahm. "Die Besucher lieben es, dass unser Bier noch nach Hamburg schmeckt und kein austauschbares Massenprodukt ist."

Ausgerechnet zwei Bremer beleben die Brautradition in Hamburg wieder

Weil das Geschäft so gut läuft, will Stacklies nun auch in Pinneberg eine weitere Brauerei mit Platz für rund 400 Gäste eröffnen. Im kommenden Jahr sollen die Bauarbeiten direkt am Marktplatz der Stadt beginnen. "Wir werden die Pinneberger direkt in die Namensfindung für das neue Bier einbinden und sie auch zu einem Testtrinken einladen", verspricht der Gastronom, der auch die Fischauktionshalle betreibt.

Thomas Kunst und Thomas Hundt haben sich jedenfalls fest vorgenommen, die Brautradition in Hamburg wieder aufleben zu lassen. Die Braumeister von Blockbräu und Ratsherrn kennen sich gut und haben auch schon das eine oder andere Bier zusammen gezischt. Obwohl Konkurrenten sprechen sie nur mit Hochachtung voneinander. Beide studierten Brauwesen an der Technischen Universität Berlin - und sie haben danach beide für Brauereien in Bremen gearbeitet.

Letzteres ist eine Tatsache, die den Männern klammheimlich große Freude bereitet. "Dass ausgerechnet zwei Bremer den Hamburgern das alte Brauhandwerk wieder näherbringen, ist schon etwas, an dem sie an der Elbe wohl ein wenig zu knapsen haben", sagt Thomas Hundt lächelnd.