Steinway, Otto, Beiersdorf und Co. wollen von steigender Kaufkraft profitieren. Export hat sich seit Jahrtausendwende mehr als verdoppelt.

Hamburg. Karl Lagerfeld und Steinway - das ist eine Kombination, die auf reiche Russen anziehend wirkt. Der vom Modezar entworfene Flügel aus der Produktion in Hamburg entwickelte sich zum Verkaufsschlager. "Vor allem Design-Instrumente sind in Russland stark gefragt", sagt Werner Husmann, Marketing- und Verkaufsdirektor des Klavierbauers, und freut sich beim Blick auf die Geschäftszahlen: "Für uns ist das ein Wachstumsmarkt." Machte das Bahrenfelder Unternehmen vor sechs Jahren erst rund ein Prozent seiner Erlöse dort, waren es 2011 schon drei Prozent. Tendenz steigend. Husmann: "2015 wollen wir sechs bis sieben Prozent unseres Umsatzes dort erzielen."

Wachstum - dieses Ziel wollen viele Firmen aus der Hansestadt über den Schritt in den eurasischen Staat erreichen. "Wir schätzen die Zahl der in Russland engagierten Hamburger Firmen auf 700", sagt Cornelia Kahl von der Handelskammer Hamburg. Das seien etwa 300 bis 400 mehr als zur Jahrtausendwende. Mehr als verdoppelt hat sich auch der Außenhandel in dieser Zeit. Statt für 186 Millionen Euro exportierten Hamburger Firmen im Jahr 2010 für 490 Millionen Euro Waren. Und allein in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres gab es ein Plus von 77,6 Prozent auf bis dato 472 Millionen Euro. "Russland ist ein super Markt mit einer hohen Kaufkraft", sagt Wirtschaftsprofessor Wolfram Schrettl vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. "Solange der Ölpreis hoch bleibt - und davon gehe ich aus - kann man dort relativ sicher investieren."

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Bereits in den 1990er-Jahren unternahm die Otto Group die ersten Gehversuche. Das Versandhandelshaus brachte seine Kataloge in deutscher Sprache in Umlauf und kooperierte mit lokalen Agenturen. 2006 schloss sich der weltgrößte Versandhändler mit dem russischen Branchenprimus PPE zu einem Gemeinschaftsunternehmen in Moskau zusammen. Seither schnellen die Umsätze nach oben. Die Erlöse kletterten von einem hohen zweistelligen Millionenbereich auf 349 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2010/11. Im aktuellen Bilanzjahr soll es noch einmal um mehr als 30 Prozent nach oben gehen. "Mittelfristig wollen wir ein Umsatzniveau von mehr als einer Milliarde Euro erreichen", sagt Josef Teeken, Leiter des Russland-Geschäfts der Otto Group. Die Wachstumsperspektiven blieben hervorragend.

Es gebe immer mehr Internetnutzer und bei der Onlinequote mit zwei Prozent noch einen deutlichen Nachholbedarf, sagt ein Sprecher. In Deutschland liege sie bei neun Prozent des Gesamtumsatzes. Russland sei das Vorzeigemodell für die künftige Expansionsstrategie, heißt es beim Hamburger Familienkonzern. Hinter Deutschland, Frankreich und den USA stehe es mittlerweile auf Rang vier der wichtigsten Länder für das Unternehmen. Das im Frühjahr 2008 gebaute Warenlager in Tver, 150 Kilometer nordwestlich von Moskau, soll ausgebaut und damit die Kapazität verdoppelt werden.

Dass Bauprojekte nicht immer problemlos über die Bühne gehen, erfuhr der Einkaufscenterbetreiber ECE, der ebenfalls vom Versandhauspionier Werner Otto gegründet wurde. "Wir haben 2005 einen frostigen Markteintritt erlebt", sagt Russland-Geschäftsführer Stefan Zeiselmaier. Durch die Wirtschaftskrise wurde die Finanzierung schwieriger, sodass auch "ein oder zwei Projekte auf Eis gelegt wurden". Dennoch halten die Poppenbütteler, die in Moskau das Einkaufscenter Vremena Goda ("Jahreszeiten") managen, den Staat für hochattraktiv. "Wir wollen weiter in Russland expandieren", sagt Zeiselmaier, "der Markt für professionelle Managementbetreiber wird wachsen, weil das Einzelhandelsvolumen enorm ist."

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Die 143 Millionen Russen gelten überwiegend als konsumfreudig - und die Händler wollen von den steigenden Löhnen profitieren. Seit 2005 hat sich der Durchschnittslohn von umgerechnet 243 Euro auf 524 Euro mehr als verdoppelt (siehe Grafik). Die Gehälter legten dabei in ähnlicher Höhe zu wie das Bruttoinlandsprodukt, das sich von 613 Milliarden Euro auf 1,1 Billionen Euro fast verdoppelte. Selbst unter Abzug der teils kräftigen Inflationsraten bleibt den Bürgern damit mehr Geld im Portemonnaie.

Gute Gründe für Zeiselmaier, den Neubau eines Shoppingcenters in Jaroslawl voranzutreiben. Im späten Frühjahr soll es losgehen, auf 60 000 Quadratmetern werden rund 220 Läden Platz finden, zudem ist ein großer Entertainmentbereich mit Kino, Spielen und Restaurantmeile geplant. Für Ende 2013 ist nun die Eröffnung terminiert - bedingt durch die Finanzkrise vier Jahre später als vorgesehen.

Nicht nur die Otto-Familie sucht in Russland geschäftlichen Erfolg. Tchibo ging 1994 gen Osten und betreibt im größten Flächenstaat der Welt eine Vertriebsgesellschaft und eine Instantkaffeeproduktion. Filialen wie in Deutschland gibt es dort allerdings nicht. "Im Rahmen unserer Expansionsstrategie ist Russland ein wichtiger und erfolgreicher Marktplatz", sagt ein Unternehmenssprecher. Zahlen zu einzelnen Ländern nennt das Unternehmen nicht. Ebenso wie Beiersdorf. Hamburgs einziger DAX-Konzern verweist darauf, dass Nivea-Creme, Eucerin-Seife und Pflaster bereits seit 1912 in Russland erhältlich sind - mit politisch bedingten Unterbrechungen. Nach Vertriebskooperationen mit lokalen Partnern wurde 1998 die lokale Tochtergesellschaft in Moskau gegründet. Der Staat gelte als einer "der aufstrebenden Märkte, die auch für Beiersdorf Wachstumstreiber der Zukunft" seien, sagte eine Sprecherin.

Auch Tom-Tailor-Vorstandschef Dieter Holzer sieht außerhalb der europäischen Kernmärkte in Russland großes Wachstumspotenzial. Die Modekette stieg Ende der 1990er-Jahre in den Markt ein, hat heute 30 Franchise-Geschäfte dort und steigerte den Umsatz zuletzt um 60 Prozent - allerdings noch auf niedrigem Niveau. Im Januar 2011 gründete das börsennotierte Unternehmen eine Repräsentanz in Moskau, im Juni wurde ein Showroom eröffnet. Dort bestellen Kunden die monatlich wechselnden Kollektionen.

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Experten sehen allerdings durchaus auch Risiken. "Die Korruption ist hoch und Eigentumsrechte sind nicht so sicher", sagt Ökonom Schrettl. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegt Russland Platz 143 von 183 Ländern. Mit anderen Worten: In nur 40 anderen Staaten wird Bestechung als noch verbreiteter angesehen. "Ich bin was Russland angeht etwas skeptisch", sagt Sven Schulze, Russland-Experte des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Die Mittelschicht profitiere nicht stark genug vom Aufschwung. Daher traut er Industrieunternehmen das größte Potenzial zu. "Für sie ist Russland interessanter als für Konsumgüterhersteller, weil die Industrie dort nicht so wettbewerbsfähig ist", sagt Schulze.

Diese Einschätzung teilt man bei Jungheinrich. "Wir haben mit den politischen Umwälzungen den Markt erkannt, weil Industrie und Handel in Russland innerbetriebliche Logistik benötigt", sagt Unternehmenssprecher Markus Piazza. Der Gabelstaplerhersteller aus Wandsbek kooperierte ab 1993 zunächst mit lokalen Händlern, zehn Jahre später gründete er eine Vertriebsgesellschaft, die mittlerweile 230 Beschäftigte zählt. Rund 23 000 Gabelstapler wurden 2011 in Russland abgesetzt, damit wuchs der Markt um die Hälfte. Mit einem Anteil von rund 18 Prozent kommt knapp jedes fünfte Flurförderzeug von den Hamburgern.

Damit für Steinway in Russland weiterhin die Musik spielt, investiert der Klavierbauer in die Infrastruktur. Drei Showrooms in Moskau und einen in St. Petersburg unterhält die Firma bis jetzt. Im Sommer 2013 soll eine Galerie hinzukommen. "Auf 400 Quadratmetern werden wir die gesamte Produktpalette von Steinway, Boston und Essex ausstellen", sagt Verkaufsdirektor Husmann. Es wird der erste sogenannte Flagship-Store des Klavierbauers, der rund 1100 Flügel und Klaviere pro Jahr in Bahrenfeld baut. Die Hamburger zeigen Flagge in Russland.