Das Abendblatt traf Jannis Boutaris, Bürgermeister von Thessaloniki. Er spricht über Auswege aus der Krise und die Lage seiner Region.

Hamburg. Griechenlands Wirtschaft liegt am Boden, und besonders stark leiden darunter die Städte. Das Abendblatt sprach mit Jannis Boutaris, 70, dem parteilosen Bürgermeister der zweitgrößten griechischen Stadt Thessaloniki, über Auswege aus der Krise, die Lage in seiner eigenen Region und über seine Gründe, nach einem erfolgreichen Berufsleben als Unternehmer in die Politik zu wechseln. Boutaris war zu politischen Gesprächen in Berlin, Hamburg und Stuttgart unterwegs. Beim Treffen mit Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Rathaus ging es unter anderem um Hamburgs Erfahrungen als Umwelthauptstadt Europas und um die Entwicklung der beiden europäischen Hafenstädte.

Hamburger Abendblatt: Herr Bürgermeister, die Verhandlungen mit den privaten Gläubigern Griechenlands über einen Schuldenerlass sind noch nicht abgeschlossen. Aber schon sagen manche Ökonomen, dass auch dieser Schritt nicht ausreichen wird, um das Land zu sanieren. Wie ernst ist die wirtschaftliche Lage in Ihrer Stadt Thessaloniki?

Jannis Boutaris: Die Lage ist schlecht, so wie in ganz Griechenland. Thessaloniki war früher das Zentrum der griechischen Textilindustrie, mit vielen Unternehmen und Kleingewerben. Etliche Unternehmen sind im Lauf der Zeit ins Ausland abgewandert, zum Beispiel nach Bulgarien. Das hat die wirtschaftliche Basis der Stadt schon vor Jahren geschwächt. 2009 kamen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise hinzu. Dadurch ist die Situation noch schwieriger geworden. Wir haben mittlerweile rund 25 Prozent Arbeitslosigkeit in Thessaloniki. Vor diesem Hintergrund ist die Stadt davon abhängig, dass es mit dem Land insgesamt wieder aufwärtsgeht.

Was können Sie selbst vor Ort tun, um gegen die Krise zu kämpfen?

Boutaris: Wir wollen unseren Hafen besser entwickeln als in der Vergangenheit. Dazu müsste das Hafenmanagement allerdings vom Staat weg in die Hände einer professionellen Verwaltungsgesellschaft gelegt werden, was in Griechenland ein schwieriger Prozess ist. Damit meine ich nicht Privatisierung im üblichen Sinne, sondern in erster Linie ein besseres Management, als es der Staat leisten kann. Zweitens setzen wir auf den Ausbau der Universitäten als zentrale Orte für Forschung, Innovation und den Aufbau neuer Unternehmen. Wir haben zum Beispiel in Thessaloniki auch fremdsprachige Hochschulen, die sich dafür anbieten.

Was würden Sie tun, wenn Sie keine politischen Kompromisse eingehen müssten und Handlungsfreiheit hätten?

Boutaris: Ich bin parteipolitisch nicht gebunden und agiere eigenständig. Aber natürlich kann ich nicht zaubern. Neben der Bekämpfung der tragisch aufgeblähten Bürokratie wünsche ich mir in Griechenland mehr Autonomie für die Städte. Nur ein Beispiel: Der Hafen von Thessaloniki gehört dem Staat. Er entscheidet über seine Entwicklung. Die Stadt hat dabei nichts zu sagen. Das ist unerhört und muss geändert werden. Ein anderes wichtiges politisches Projekt ist eine umfassende Reform der Hochschulen. Sie haben sich bislang wie selbstverständlich beim Staat finanziell bedient und nie Rechenschaft über die Verwendung der Mittel abgelegt. Es sollte einen Universitätsrat mit externen Beratern geben, damit die Hochschulen ähnlich funktionieren wie Unternehmen. Wichtig sind dabei auch die finanziellen Mittel. Die Menschen in Griechenland leben mit dem Gefühl, dass Bildung nichts kostet. Selbstverständlich kostet sie Geld, und das muss organisiert werden, unter anderem aus der Wirtschaft.

Kommen die nötigen Reformen mit der Regierung von Lucas Papademos, die seit November amtiert, in Gang?

Boutaris: Die ersten Wochen der Regierung waren sehr unangenehm. Die Parteien Pasok, Nea Dimokratia und die orthodoxe Partei Laos, die jetzt gemeinsam regieren, inszenierten zunächst weiter ihren parteipolitischen Streit. Mittlerweile werden aber Gesetzesentwürfe vorangetrieben, die das Land voranbringen können. Die Koalitionsparteien haben begriffen, dass es mit den Spielchen endlich vorbei sein muss.

Sind Sie als Bürgermeister in Ihrer Stadt überhaupt noch handlungsfähig?

Boutaris: Wir haben die Verschuldung gegenüber städtischen Gläubigern - Dienstleistern und Lieferanten - um 50 Prozent auf 20 Millionen Euro reduziert. Wir haben die städtischen Gebühren um 7,5 Prozent gesenkt. Wir schaffen Ordnung bei unseren Finanzen. Das zeigt, dass wir es können und den Willen dazu haben. Bis zum Ende unserer vierjährigen Amtszeit wollen wir den Bürgern mehr Qualität bei den städtischen Dienstleistungen bieten, und das zu einem geringeren Preis. Die funktionalen Kosten der Stadt sollen bis zur nächsten Bürgermeisterwahl 2014 auf 30 Prozent des Niveaus sinken, das wir vorgefunden haben. Schon heute sind wir in der Lage, Schulden abzubauen und Gebühren zu senken.

Was können Europa und Deutschland tun, um Griechenland zu helfen?

Boutaris: Griechenland ist Teil des europäischen Problems, aber nicht das europäische Problem. Alles, was zur Überwindung der Krise in Europa beschlossen wird, nützt auch Griechenland. Deutschland hat viel Einfluss in Europa. In dieser Rolle sollte es auf die richtige Balance von Strenge und Hilfe achten. Ich glaube nicht, dass Griechenland vor allem Geld braucht. Die Griechen brauchen Disziplin. Einem hungernden Menschen schenkt man keinen Fisch, man bringt ihm das Fischen bei. Deutschland bietet uns sein Wissen in Bereichen an, in denen wir nicht genügend zustande gebracht haben. Damit können wir mehr tun als bisher.

Zuletzt gab es viele gegenseitige Vorwürfe zwischen Deutschland und Griechenland. Wie gut oder schlecht ist derzeit das beiderseitige Verhältnis?

Boutaris: Weder sind die Griechen faul oder parasitär, noch agieren die Deutschen barbarisch. Beides sind Erfindungen vor allem der Boulevardpresse in unseren Ländern. Wenn Griechen in einem guten organisatorischen Rahmen arbeiten wie zum Beispiel in Deutschland, können sie sehr viel leisten. In Griechenland haben wir dieses Umfeld bislang leider nicht.

Sie waren selbst ein erfolgreicher Unternehmer. Wieso sind Sie ausgerechnet am Beginn einer solch fundamentalen Krise in die Politik gegangen?

Boutaris: Meine Kinder führen jetzt das Unternehmen. Ich wollte mit Ende 60 noch mal etwas Neues machen und mich für die Gesellschaft engagieren. Meine Frau hat mich darin bestärkt.