Es klingt absurd, ist aber wahr: Die Investoren zahlen aus Panik negative Zinsen dafür, dass sie ihr Kapital an den Bund verleihen dürfen.

Frankfurt/Main. Die Aktion klingt vollkommen absurd. Doch sie ist wahr und zeigt letztlich nur, wie verzweifelt und panisch viele Investoren inzwischen sind. Anleger haben dem deutschen Fiskus gestern erstmals sogar Geld dafür bezahlt, dass sie ihm ihr Kapital leihen dürfen. Fast eine Viertelmillion Euro schenken sie dem Bundesfinanzminister, damit er bereit ist, sich von ihnen 3,9 Milliarden Euro zu borgen, unverzinst natürlich. So etwas hat es noch niemals zuvor gegeben.

Abgespielt hat sich das Szenario gestern Vormittag. Die Schuldenagentur des Bundes hatte Investoren dazu aufgerufen, Gebote für eine neue unverzinsliche Schatzanweisung mit einer Laufzeit von sechs Monaten abzugeben. Insgesamt boten die Anleger sieben Milliarden Euro an. Der Fiskus hatte damit die Wahl, und wählte, wie das immer bei derartigen Versteigerungen ist, natürlich die attraktivsten Angebote.

+++ Dänische Staatsanleihen bieten Schutz und Verluste +++

+++ Dänemark leiht sich Geld zu negativen Zinsen +++

Am Ende ergab sich im Durchschnitt eine negative Rendite von 0,0122 Prozent (aufs Jahr gerechnet). Wenn ein Anleger Deutschland beispielsweise eine Million Euro geliehen hat, so bekommt er dafür in sechs Monaten nur noch 999 939 Euro zurück, was einem Verlust von 61 Euro entspricht. Das klingt nicht viel, bei 3,9 Milliarden Euro, die insgesamt verliehen wurden, summiert sich dies jedoch auf eine Summe von fast 250 000 Euro, die der Staat am Ende gutmacht.

Schon im Dezember waren die Zinsen, die Anleger für derartige Papiere erhielten, auf einen Tiefststand von gerade mal 0,0005 Prozent gesunken. Zum Jahreswechsel änderte die Bundesbank jedoch das Verfahren. Jetzt sind damit auch negative Renditen möglich - und sie ergaben sich prompt. Damit wurde ein Prinzip auf den Kopf gestellt, das jahrelang gegolten hatte: Wer sich Geld leiht, muss dafür eine Gebühr bezahlen, den Zins. Nun kann der deutsche Staat erstmals daran verdienen, dass er sich verschuldet. Er bekommt etwas dafür, dass er bereit ist, sich Geld zu leihen.

Die Investoren, die bei diesem seltsamen Spiel mitgemacht haben, sind allerdings keine Privatanleger, da diese bei derartigen Auktionen nicht mitbieten. Es sind Banken und andere große institutionelle Anleger, die mindestens eine Million Euro investieren müssen. Deren Problem ist wiederum, dass sie seit einigen Monaten nicht mehr wissen, wo sie ihr Geld noch sicher unterbringen können. Sie haben panische Angst vor der Insolvenz einer anderen Bank oder eines Staates. Deutschland gilt als eine der letzten Fluchtburgen. "Geld wird in Deutschland geparkt, weil es innerhalb der Euro-Zone derzeit der sicherste Platz ist", sagte Emelia Sithole-Matarise von der ING-Bank. Und für diese Sicherheit sind die Banken sogar bereit zu bezahlen. Die Devise lautet: Lieber keine Rendite oder sogar ein geringes Minus, dafür aber die Sicherheit, das Geld zurückzubekommen.

Neben Deutschland gelten nur wenige andere Staaten noch als ähnlich sicher - wie Dänemark. Auch dort hatte sich im Dezember bei einer ähnlichen Auktion ebenfalls eine Negativrendite ergeben. Den meisten anderen Euro-Staaten trauen die Investoren dagegen immer weniger, was besonders augenfällig am Renditeaufschlag italienischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Anleihen zu sehen ist (siehe Grafik).

Deutlich über sieben Prozent muss Italien inzwischen wieder für Papiere mit zehnjähriger Laufzeit bezahlen. Der deutsche Finanzminister kann zwar bei dieser langen Laufzeit noch keine Prämie einstreichen, aber der Zins liegt gerade mal noch bei 1,9 Prozent - und ist geringer als die Inflationsrate. Inflationsbereinigt sind also selbst solche langen Anleihen für die Anleger inzwischen ein Verlustgeschäft. Auch untereinander trauen sich die Banken nicht mehr. Das zeigt wiederum die sogenannte Einlagenfazilität der Europäischen Zentralbank, auch Angstkasse genannt. Dabei können Banken überschüssiges Geld über Nacht bei der EZB anlegen, erhalten dafür aber nur einen Minizins von 0,25 Prozent. Würden sie es sich untereinander leihen, könnten sie ein Vielfaches erhalten. Dennoch bescheiden sie sich lieber mit den 0,25 Prozent, als ein derartiges Risiko einzugehen. Per Sonntagabend waren so 463,6 Milliarden Euro bei der EZB gelagert - ein neues Rekordhoch.

Panik und Risikoscheu stellen also die Finanzwelt auf den Kopf. Allerdings haben jene Banken, die jetzt die Sechs-Monats-Papiere vom deutschen Finanzminister ersteigert haben, durchaus noch eine Chance, am Ende ohne Verluste aus dem Geschäft herauszukommen. Denn am Markt könnten die Zinsen in den nächsten Monaten noch weiter sinken, wenn sich beispielsweise die Krise um Griechenland, Italien und Ungarn zuspitzt. Das wiederum würde bedeuten, dass der Kurs der jetzt herausgegebenen Anleihen stiege - sie würden ja mehr wert, weil ihr Zins dann relativ gesehen höher läge als bei den dann aktuell neuen Anleihen. In diesem Fall könnten die jetzigen Käufer die Papiere dann weiterverkaufen und damit sogar noch einen Gewinn machen.

Irgendjemand muss die Schuldscheine dann kaufen, und egal, wer sie am Ende der Laufzeit schließlich in Händen hält: Er bekommt auf jeden Fall pro einer Million Euro, die daraufsteht, nur 999 939 Euro zurück. Dem deutschen Finanzminister dürfte es egal sein, wem er diese Summe überweisen muss. Denn der deutsche Fiskus hat mit diesen herausgegebenen Schuldscheinen über 3,9 Milliarden Euro in sechs Monaten auf jeden Fall insgesamt fast eine Viertelmillion Euro verdient, und dies einfach dadurch, dass er sich verschuldet hat. Eine absurde Welt.