Leerverkäufe von Aktien und Staatsanleihen sind künftig untersagt. Schärfere Kontrollen gelten in Zukunft auch für die Ratingagenturen.

Hamburg. Die Bundesregierung weitet das Verbot riskanter Börsenwetten aus und übernimmt damit eine Führungsrolle in Europa. Künftig sollen in Deutschland alle ungedeckten Leerverkäufe auf Aktien und Staatsanleihen der Euro-Zone verboten werden. Das Kabinett beschloss gestern einen entsprechenden Gesetzentwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Solche Börsenwetten wurden in der Krise "in einem nicht mehr beherrschbaren Maße" von Investoren genutzt, um Marktentwicklungen zu beeinflussen, sagte Schäuble. Dies sei wie im Fußball ein Wettskandal. "Deshalb verbieten wir diese Leerverkäufe", so Schäuble.

Ungedeckte Leerverkäufe gelten als besonders spekulativ, weil damit an der Börse Wertpapiere wie Aktien verkauft werden, die noch gar nicht im Besitz des Verkäufers sind (siehe "Wetten auf fallende Kurse"). Viele Wetten auf einen Kursverfall können Abwärtstrends an den Börsen verstärken.

Mit Kreditausfallversicherungen darf nicht mehr spekuliert werden

Bereits jetzt sind in Deutschland ungedeckte Leerverkäufe auf die zehn größten Finanztitel wie Allianz oder Deutsche Bank untersagt. Gedeckte Leerverkäufe, bei denen sich der Käufer die Aktien oder Anleihen von einer Bank oder Fondsgesellschaft gegen eine Gebühr leiht, bleiben dagegen erlaubt. "Aufgrund ihres risikoreichen Charakters haben die ungedeckten Leerverkäufe nur einen geringen Anteil und die Wirkung dieses Verbots bleibt damit beschränkt", sagte Bankenprofessor Hans-Peter Burghof von der Universität Hohenheim dem Abendblatt. "Außerdem können solche Transaktionen an andere Standorte verlagert werden."

Auch das Verbot des ungedeckten Leerverkaufs von Staatsanleihen der Euro-Zone betrifft de facto nur deutsche und österreichische Staatsanleihen, wie ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums dem Abendblatt bestätigte. "Denn nur diese Staatspapiere werden am regulierten Markt in Deutschland gehandelt." Im Fokus der Spekulanten stehen aber vor allem griechische, spanische und portugiesische Staatsanleihen, die von dem Verbot damit nicht betroffen sind. "Dennoch gehen die Verbote in die richtige Richtung, auch wenn es auf nationaler Ebene nur die viertbeste Lösung ist", sagt Professor Gustav A. Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Schäuble räumte ein, dass mit dem Leerverkaufsverbot nicht alle Probleme gelöst werden. Er erwarte aber schon eine "gewisse Wirkung".

Das Verbot betrifft auch zweckentfremdete Kreditversicherungen auf Staatsanleihen. Investoren können sich mit solchen Credit Default Swaps (CDS) gegen die Pleite eines Staates absichern. Da diese CDS aber auch erworben werden können, ohne entsprechende Anleihen zu besitzen, eignen sie sich auch zur Spekulation.

Experten streiten über Manipulation oder Regulierung des Marktes

Die Käufer setzen darauf, dass sie diese Papiere zu einem höheren Preis weiterverkaufen können, wenn das Ausfallrisiko des entsprechenden Staates steigt. Deutschland verbietet deshalb auch CDS-Transaktionen, wenn sie nicht der tatsächlichen Absicherung von Wertpapierbeständen dienen. Seit der Euro-Krise wachsen die Renditeabstände zwischen den Staatsanleihen der einzelnen Euro-Länder. So bringt eine zehnjährige Bundesanleihe eine Rendite von 2,67 Prozent, während eine zehnjährige griechische Staatsanleihe mit knapp acht Prozent rentiert. Die Politik sieht das als ein Ergebnis ausufernder Spekulation und will die durch verschiedene Maßnahmen eindämmen. Andere Experten verweisen auf die hohen Staatsdefizite, die nun von den Finanzmärkten stärker beachtet werden als noch vor einigen Jahren. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) kauft inzwischen Staatsanleihen auf, um so den Markt zu stützen. "Ob EZB-Aufkäufe oder CDS-Verbote - beides sind Versuche, den Markt zu manipulieren und die Zinsen für Staatsanleihen in eine der Politik genehme Richtung zu lenken", sagt Burghof. "Damit werden falsche Anreize gesetzt."

Deutschland und Frankreich treiben EU-Kommission an

Experte Horn bezweifelt dagegen, "dass der Markt die fundamental richtigen Informationen liefert, wenn man ihm freien Lauf lässt". Die EU-Kommission will ihre Vorschläge zu Leerverkäufen erst im Oktober vorlegen. "Bei diesem Thema wünsche ich mir, dass die EU-Kommission schneller arbeitet", sagte Frankreichs Wirtschaftsministerin Christine Lagarde.

Ratingagenturen sollen künftig auf europäischer Ebene beaufsichtigt und reguliert werden. In einem Gesetzesvorschlag hat sich Binnenmarktkommissar Michel Barnier dafür ausgesprochen, die Zuständigkeiten bei der neuen EU-Aufsichtsbehörde für den Wertpapiersektor zu bündeln, die im Januar die Arbeit aufnimmt. Sie soll weitreichende Befugnisse erhalten, von der Beaufsichtigung des Tagesgeschäfts über spontane Kontrollvisiten vor Ort bis hin zu Gebühren und Sanktionen. Den Ratingagenturen wird vorgeworfen, die Risiken hochkomplexer Finanzprodukte unterschätzt sowie jüngst die Kreditkosten von Griechenland in die Höhe getrieben zu haben.