Harmonie bei der Deutschen Bahn: Beschäftigte und Politiker hat er bereits hinter sich gebracht - nun muss er Kunden begeistern.

Hamburg. So harmonisch ging es bei der Deutschen Bahn schon lange nicht mehr zu: kein Krach mit den Gewerkschaften, keiner mit der Politik, ein anständiger Gewinn trotz schwerer Wirtschaftskrise und keine Rede mehr vom Endlosthema Börsengang.

Jahrelang war Deutschlands größter Staatskonzern in einen permanenten Mehrfrontenkampf verstrickt. Der frühere Konzernchef Hartmut Mehdorn agierte wie ein Boxer, der sich nicht nur mit seinem Gegner im Ring und mit dem Ringrichter prügelt, sondern auch noch an das Publikum austeilt. Dass diese Zeit vorüber ist, dass bei der Bahn heutzutage wieder konzentriert an Inhalt, Service und Qualität gearbeitet wird, ist das Verdienst von Mehdorns Nachfolger. Am 1. Mai läuft das erste Amtsjahr von Rüdiger Grube (58) als Vorstandsvorsitzendem der Bahn ab.

Die Zwischenbilanz des gebürtigen Hamburgers kann sich sehen lassen, auch ohne spektakuläre Zahlen - Grubes Führungsstil verschafft der Bahn neuen Wert. Und den Kunden neue Hoffnung: Man wolle sich vordringlich "dem Brot-und-Butter-Geschäft" widmen, sagt Grube. Zufriedene Fahrgäste in pünktlichen, fahrtauglichen Zügen - eine Idee, die bei der Bahn lange in Vergessenheit geraten schien.

Allseits attestiert man dem neuen Konzernchef die Fähigkeit, Kritik anzunehmen, seine Mitarbeiter zu motivieren, der Bahn nach schweren Krisenjahren ein neues Fundament zu bauen. "Rüdiger Grube hat die Datenaffäre bewältigt und für einen neuen Stil nach innen und außen gesorgt", sagte Klaus-Dieter Hommel, Vorsitzender der Bahngewerkschaft GDBA, dem Abendblatt. "Doch er hat noch viel zu tun. Seinen lobenswerten Worten über eine neue Qualität und Präsenz der Bahn müssen die Taten jetzt auch folgen."

Von Mehdorn hatte Grube im Mai 2009 ein Unternehmen in desaströsem Zustand übernommen. Jahrelang hatte Mehdorn seine Belegschaft systematisch durchleuchten lassen, mit Maßnahmen bis an den Rand der Legalität und auch darüber hinaus. Frust und Verunsicherung prägten das Klima im Konzern. "Bis heute ist die Stimmung im Unternehmen nicht himmelhoch jauchzend", sagte Hommel.

Der Börsengang, für den Mehdorn in jahrelangen zähen politischen Debatten das Terrain bereitet hatte, musste im Herbst 2008 angesichts der Weltwirtschaftskrise auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Zu all dem kamen noch schwere Materialmängel bei den Zügen der Berliner S-Bahn und bei den ICE-Hochgeschwindigkeitszügen hinzu: Wegen schadhafter Radreifen, die eine weitere Katastrophe wie jene nach einer ICE-Entgleisung 1998 in Eschede hätten auslösen können, musste die gesamte ICE-Flotte einer Sonderwartung unterzogen werden, die Intervalle für die regelmäßigen Inspektionen wurden verkürzt.

"Als Rüdiger Grube hier begann, hatte er es mit drei Krisen zu tun", heißt es aus dem Umfeld des Vorstands, "mit einer Technikkrise, einer Datenkrise und mit der Weltwirtschaftskrise. Allen drei Herausforderungen hat er sich gestellt." Für die Überwindung der Materialmisere schuf Grube ein neues Vorstandsressort Technik. Und bei seiner ersten Jahresbilanz, die er Ende März vorlegte, präsentierte er für 2009 einen Umsatz von rund 29 Milliarden Euro und einen operativen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro. Das waren zwar gut zwölf Prozent weniger Umsatz und etwa ein Drittel weniger Gewinn als im Jahr zuvor. Angesichts eines vor allem stark rückläufigen Güterverkehrs, angesichts der Dimensionen der Wirtschaftskrise erscheint das aber gleichwohl als ein respektables Ergebnis.

Grube hat die Wahrnehmung der Bahn in kurzer Zeit verändert, auch in der Bundespolitik, die auf das Unternehmen entscheidenden Einfluss ausübt. Grubes Auftritt vor dem Verkehrsausschuss des Bundestags zur Aufarbeitung der Datenaffäre sei "ein völliger Stilwandel", sagte der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion, der Hamburger CDU-Abgeordnete Dirk Fischer. Von seinem Vorgänger, dem Lautsprecher Mehdorn, grenzt sich Grube damit konsequent ab. Das ist erstaunlich, weil Mehdorn selbst Grubes Berufsweg mitgeprägt hat. Von 1990 bis 1992 war Grube Mehdorns Assistent in der Geschäftsführung der Deutschen Airbus.

Als Bahnchef verspottete Mehdorn Verkehrspolitiker gern als "sogenannte Verkehrsexperten". Grube reicht ihnen die Hand und ist damit gut beraten. Denn die politischen Gewichte, die an der Bahn und drumherum hängen, haben sich im zurückliegenden Jahr gravierend verändert. Der neue Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) lässt keinen Zweifel daran, dass Bahnpolitik nun wieder in seinem Ministerium gemacht wird und nicht mehr im Bahn-Tower am Potsdamer Platz: "In den vergangenen Jahren ist viel schiefgelaufen", sagte er kürzlich. "Um die Zahlen börsenfein zu machen, hat die Bahn in Bezug auf Kundenorientierung und Sicherheit nur noch so viel gemacht, wie unbedingt nötig war. Als Quasimonopolist konnte man sich das leisten. Dieses Denken muss aufhören." Ein vernichtendes Zeugnis für die Ära Mehdorn und ein Wegweiser für Grube.

Der bekommt demnächst einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden, den früheren Chef des Chemiekonzerns Degussa, Utz-Hellmuth Felcht. Dem bisherigen Vorsitzenden des Kontrollgremiums, dem früheren Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, wollte der Bund als Eigner der Bahn das Mandat nicht verlängern. Müller war ein Vertrauter von Hartmut Mehdorn. Und die haben bei der Deutschen Bahn keine Zukunft mehr.