Eine Studie zeigt die Auswirkungen der Demografie für die Hansestadt. Ergebnis: Chemie- und Metallbranche wollen Ältere halten.

Hamburg. In Hamburg droht in den kommenden Jahren ein Mangel bei Naturwissenschaftlern, Technikern und Ingenieuren. Hintergrund ist die alternde Gesellschaft. Ist bei den hoch qualifizierten Arbeitnehmern derzeit mehr als jeder fünfte älter als 50 Jahre, so gilt dies bei Chemikern und Physikern für mehr als jeden Vierten. Das geht aus einer erstmals für Hamburg vorgelegten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zum demografischen Wandel hervor, die dem Abendblatt vorliegt. Das IAB gehört als Forschungsinstitut zur Arbeitsagentur.

"Künftig wird aber nicht nur dieselbe Zahl der derzeit Beschäftigten bei den technischen und naturwissenschaftlichen Berufen zu ersetzen sein. Vielmehr wird die Zahl der Arbeitsplätze für Hochqualifizierte weiter zunehmen und es werden weitergehende Kenntnisse verlangt", sagt die Autorin der Studie, Tanja Buch. Diese Arbeitsplätze werden sich aber nur besetzen lassen, wenn genügend Nachwuchs ausgebildet oder ältere Arbeitnehmer ausreichend weitergebildet werden. Deutlich weist die Studie dabei aus, wie wichtig Hochschulabsolventen schon jetzt für den Hamburger Arbeitsmarkt sind. So entstanden seit 1999 mehr als 25 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich - ein Plus von mehr als 33 Prozent.

Bereits seit April 2008 befasst sich der Arbeitgeberverband Chemie Nord mit dem Thema Demografie und hat als erster dazu einen Tarifvertrag geschlossen. "Unsere 300 Mitgliedsbetriebe analysieren jetzt, wie sie von der Entwicklung betroffen sind", sagt Verbandssprecher Alexander Warstat. Seit Januar werden zudem für jeden der 67 000 Beschäftigten 300 Euro in einen Fonds gezahlt, die für die Qualifikation, Gesundheitsförderung oder die Entwicklung von Arbeitszeitmodellen eingesetzt werden sollen. "Das soll auch Hochqualifizierte länger in den Unternehmen halten", so Warstat.

Beim Arbeitgeberverband Nordmetall berät ein Arbeitswissenschaftler seit 2009 die Firmen dabei, wie sie Abläufe oder ihr Gesundheitsmanagement auf ältere Beschäftigte abstimmen können. "Dabei wird auch hochgerechnet, wann es für die einzelnen Betriebe personell eng werden könnte", sagt Verbandssprecher Peter Haas. Ingenieure sichern sich die Unternehmen zudem über das duale Studium an der Technischen Universität Harburg. Dabei sind die Studenten gleichzeitig bei den Firmen beschäftigt. "So wird der Nachwuchs vom ersten Semester an gebunden."

"Um noch mehr Akademiker nach Deutschland zu holen, ist auch die Steuerung bei den Einwanderungen nötig", sagt Rolf Steil, der Chef der Hamburger Arbeitsagentur. Gute Beispiele dafür seien Neuseeland oder Australien, die ihren Bedarf an ausgebildeten Kräften öffentlich machten. "So etwas gibt es bisher in Deutschland nicht." Zudem müsse man prüfen, ob mehr Abschlüsse von internationalen Universitäten anerkannt werden könnten. "Das würde den Einstieg für Ausländer erleichtern." Lichtblick für Hamburg: Bezogen auf die Entwicklung bei allen Erwerbstätigen steht die Stadt besser da als der Bund. Während die Zahl der 15- bis 65-Jährigen, also aller Menschen im erwerbsfähigen Alter, bundesweit seit 2006 zurückgeht, wird es in der Hansestadt noch bis 2020 einen Anstieg geben. Nach den Berechnungen des IAB von gut 1,2 auf knapp 1,3 Millionen. In den nächsten zwei Jahrzehnten wird sich die Zahl der Erwerbsfähigen um 90 000 beziehungsweise um mehr als 70 000 verringern.

Die positive Entwicklung in Hamburg bis 2020 ist an zwei Bedingungen geknüpft: Den Zuzug von Menschen, die die Stadt wegen des Jobs, den im Vergleich zum Umland höheren Gehältern oder dem Freizeitangebot schätzen sowie die Pendler, die täglich in die Stadt hineinfahren. "Bisher kommen täglich 311 000, während 93 000 zu Arbeitsplätzen im Umland fahren. Damit ergibt sich ein Überschuss von 218 000 Pendlern", sagt Buch.

Doch schon jetzt lässt der Zustrom in die Hansestadt nach. Hintergrund ist, dass im nahen Mecklenburg-Vorpommern die Bevölkerung stark zurückgeht. Das Hamburger Handwerk spürt dies bereits. Kam bisher ein Drittel der 2009 knapp 2400 neuen Auszubildenden aus dem Umland, so geht diese Zahl spürbar zurück. "Speziell im Osten", so der Präsident der Handwerkskammer Josef Katzer, "hat es 2009 deutlich weniger Schulabgänger gegeben." Kein Wunder, dass nun weniger von ihnen eine Lehrstelle in Hamburg suchen.