Ermittler nehmen unter anderem Metro, Rewe, Lidl, Rossmann, Fressnapf und die Hamburger Zentrale von Edeka ins Visier.

Hamburg. Sie meldeten sich am Empfang, zogen einen Gerichtsbeschluss aus der Tasche und nahmen schon wenige Minuten danach zielstrebig Dokumente und Dateien in den Einkaufs- und Marketingabteilungen unter die Lupe: 56 Mitarbeiter des Bundeskartellamts und 62 Polizeibeamte durchsuchten gestern Vormittag insgesamt 15 Unternehmen im gesamten Bundesgebiet wegen des Verdachts verbotener Preisabsprachen in den Produktbereichen Süßwaren, Kaffee und Tiernahrung.

Die Beamten ermittelten bei Lebensmittelhandelsketten, Drogeriekonzernen, Tierbedarfsunternehmen sowie bei vier Herstellern von Konsumgüter-Markenartikeln, teilte das Kartellamt mit. Parallel dazu seien Verfahren gegen neun weitere Firmen schriftlich eingeleitet worden.

Durchsucht wurde auch die Zentrale von Deutschlands größtem Lebensmitteleinzelhändler Edeka in Hamburg. "Wir unterstützen das Kartellamt in vollem Umfang", sagte eine Firmensprecherin dem Abendblatt.

Ebenfalls betroffen waren nach eigenen Angaben die Handelsriesen Rewe und Metro (Kaufhof, real), der Discounter Lidl, der Drogeriemarktspezialist Rossmann in Burgwedel bei Hannover und die Tierfutterkette Fressnapf. Auch die Deutschlandzentrale des US-Markenartiklers Mars in Viersen, bekannt für seine Schokoriegel sowie Marken wie Whiskas und Pedigree, erhielt Besuch von den Ermittlern. Branchenkreisen zufolge waren sie auch beim Süßwarenproduzenten Haribo. Von den Hamburger Unternehmen Budnikowsky und Tchibo hieß es dagegen auf Abendblatt-Anfrage, bei ihnen habe es keine Durchsuchungen gegeben. Dies sagte auch ein Sprecher des Lebensmittelanbieters Nestlé.

Die Bonner Wettbewerbswächter gehen dem Verdacht nach, dass sich Herstellerfirmen mit Einzelhändlern "über die Gestaltung der Endverbraucherpreise abgestimmt" haben. Ein solches sogenanntes vertikales Kartell sei ebenso verboten wie eine Preisabsprache unter Firmen auf der gleichen Ebene (Hersteller oder Händler) - "selbst wenn sie für den Verbraucher im Einzelfall sogar von Vorteil sein sollte", sagte der Wettbewerbsrechtler Michael Kort von der Universität Augsburg dem Abendblatt. Beide Formen des Kartells kämen häufig vor, wobei die Dunkelziffer "wahrscheinlich sehr, sehr hoch" sei, erklärte Kort. Allerdings gehe das Bundeskartellamt im Kampf gegen solche Praktiken zuletzt immer entschiedener vor, nicht zuletzt wegen des harten Kurses der Brüsseler Wettbewerbshüter.

So wurden im vergangenen Jahr Untersuchungen bei Wurstfabrikanten und Mühlenbetreibern gemacht, außerdem läuft ein Verfahren zum Schokoladenmarkt. Erst vor wenigen Wochen verhängte das Kartellamt ein Bußgeld von zusammen knapp 160 Millionen Euro wegen Preisabsprachen gegen die Kaffeeröster Tchibo, Melitta und Dallmayr. Berichten zufolge hatte sich der Nahrungsmittelkonzern Kraft (Jacobs Kaffee) selbst angezeigt und musste daher nicht zahlen.

Diese Kronzeugenregelung trage zum Anstieg der Zahl von Kartellverfahren bei, sagte Kort. Auch die Bußgelder erreichten höhere Beträge. "In einer Zeit, in der die Kunden immer stärker auch auf ethische Aspekte achten, kann der Imageschaden ein Unternehmen aber härter treffen als das Bußgeld", meint der Experte.

"Bewahrheitet sich der Verdacht des Bundeskartellamtes, erschüttert dies das Zutrauen der Verbraucher in die soziale Marktwirtschaft", sagte Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Er forderte die Bundesregierung auf, ihre Blockadehaltung gegen eine EU-Richtlinie zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei Kartellverstößen aufzugeben: "Bußgelder in Millionenhöhe klingen erst einmal viel, wenn allerdings Milliarden zu Unrecht erwirtschaftet wurden, sind dies Peanuts ohne Abschreckungseffekt."