Auf bis zu 90 Prozent sollen Vorstände staatlich gestützter Firmen verzichten. Zerschlagung des Bankensystems im Gespräch.

Hamburg. Anfang der 1980er-Jahre galten USA und Kapitalismus noch als Synonyme. Die reine Lehre der Marktwirtschaft war für die Regierung in Washington Gesetz. "Der Staat ist das Problem, nicht die Lösung". Mit diesem frei übersetzten Satz, dieser Geisteshaltung, die vielen Europäern fremd war und Angst machte, gewann der Republikaner Ronald Reagan 1980 die Präsidentenwahlen. Die Geschwindigkeitsbegrenzungen für die Wirtschaft verschwanden, Soziales wurde auf den Standstreifen verbannt. Unternehmenssteuern sanken, Manager verdienten mehr als jemals zuvor, das Kapital nahm freie Fahrt auf. Im Herbst 2009 sind die "Reaganomics" nicht mehr als Geschichte. Der demokratische Hoffnungsträger Barack Obama regiert Amerika. Ein Land, das wie kein zweites von der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen wurde. Der Kapitalismus in seiner reinen Form ist Vergangenheit. Verstaatlichungen und Staatshilfen in Milliardenhöhe bestimmen die Gegenwart. Und nun schlachtet die Regierung Obama die letzte "heilige Kuh" des so lange gehuldigten freien Marktes. Sie greift in die Verträge zwischen privaten Unternehmen und deren Topmanagern ein, will Gehälter und Bonizahlungen radikal kappen.

Für den Hamburger BWL-Professor Karl-Werner Hansmann, der sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema Managergehälter beschäftigt, bedeutet dieser Schritt eine "tiefe Zäsur für die amerikanische Wirtschaftsordnung". Obama wolle damit ein klares Signal an die verunsicherten und erbosten US-Bürger senden: "Das Gezocke darf nicht wieder von vorne anfangen." Und Achtsamkeit scheint in diesem Punkt durchaus angebracht, schaut man auf die jüngsten Entwicklungen der Gehälter in den Chefetagen. Bei vielen Banken und Versicherungen kassieren Topmanager mittlerweile schon wieder mehr Geld als vor der Finanzkrise. "Noch immer wird der kurzzeitige Erfolg belohnt. Doch den gibt es nur, wenn man als Manager ein hohes Risiko eingeht", sagt der bundesweit bekannte Banken- und Finanzexperte Wolfgang Gerke dem Abendblatt. Deshalb wertet Gerke Obamas Gesetzesinitiative auch als "richtigen Schritt zum richtigen Zeitpunkt".

Sieben Unternehmen hat der US-Präsident für seine Pläne zur Gehaltskürzung ausgemacht: die Bank of America, den taumelnden Versicherungsgiganten American International Group (AIG), die Großbank Citigroup, die Autokonzerne General Motors (GM) und Chrysler sowie deren jeweiligen Banken GMAC und Chrysler Financial. Sie alle haben Geld aus dem von Washington aufgelegten 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket bekommen und hängen immer noch am Staatstropf. Um im Schnitt 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr will Obama die Einkommen kürzen.

In der Spitze können es sogar 90 Prozent sein. Zudem muss jeder Manager, der mehr als 25 000 Dollar Sondervergütung erhält - etwa für die Nutzung von Firmenjets oder Dienstwagen - dafür eine Erlaubnis der Regierung beantragen. Nach einem Bericht des "Wall Street Journal" geht es insgesamt 175 Spitzenmanagern ans Portemonnaie. Finanzinstitute wie Goldman Sachs oder JPMorgan Chase, die ihre Staatshilfen bereits zurückgezahlt haben, sind nicht von der Regelung betroffen. Finanzexperte Gerke hält die Kürzungspläne für "durchaus legitim". Immerhin habe der amerikanische Steuerzahler mit seinem Geld die betroffenen Unternehmen am Leben erhalten. "Deshalb muss man eine Gegenleistung der Topmanager erwarten können." Betriebswirtschaftsprofessor Hansmann kann sich sogar vorstellen, dass Obama die Regelung in Anlehnung an die Maßnahmen der deutschen Regierung auf den Weg gebracht hat. Hierzulande dürfen Banker, deren Geldhäuser Staatshilfen in Anspruch nehmen, nicht mehr als 500 000 Euro im Jahr verdienen.

Wie ernst es die amerikanische Politik mit ihrem Kampf gegen allzu gierige Manager nimmt, zeigen Aussagen der demokratischen Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi. "Unser Volk ist zu Recht empört über Berichte, dass gerettete Unternehmen ihre Spitzenmanager wieder mit enormen Millionenboni belohnen", sagte sie. Der Kongress stimme deshalb mit Obama darin überein: "Genug ist genug!"

Und möglicherweise bleibt es nicht bei Gehaltskürzungen von Topmanagern, das gesamte Bankensystem der USA könnte zur Disposition stehen. Denn geht es nach dem Willen des früheren US-Notenbankchefs und mächtigen Obama-Beraters Paul Volcker, sollen die Großbanken sogar zerschlagen werden. Volcker sagte der "New York Times", das normale Bankgeschäft, also Giro- und Sparkonten sowie Firmen- und Privatkredite, müssten vom wesentlich riskanteren Investmentbanking getrennt werden. Eine Maßnahme, die einer Revolution auf dem Finanzmarkt der USA gleichkäme.