Die Branche profitiert davon, dass die Menschen immer älter werden. Sie bekommen hohe Fördermittel vom Bund.

Hamburg. Langsam bewegt sich der Laborautomat nach links, stoppt über einem Plastikgefäß, senkt Pipetten herab, die einen Teil der im Gefäß enthaltenen Flüssigkeit entnehmen. Oft werden diese Tests auch per Hand gemacht. Aber die vollautomatischen Geräte arbeiten ruhiger als jeder Mensch. Der Automat wurde von dem Hamburger Medizintechnikhersteller Eppendorf entwickelt. Das Unternehmen verkauft diese Geräte in viele Länder und ist Weltmarktführer für Pipetten. Eine Erfolgsgeschichte - trotz Wirtschaftskrise - wie so viele in dieser Branche in Hamburg.

Eppendorf zählt neben Philips, Dräger oder auch Weinmann zu den Vorzeigefirmen der Gesundheitswirtschaft oder neudeutsch Life-Science-Branche im Norden. Ihr Vorteil: Sie ist nicht so krisenanfällig wie andere Wirtschaftssektoren. Denn in der Heilung und Betreuung von kranken Menschen entwickelt sich die Nachfrage unabhängig von der Konjunktur. "Die Branche lebt stark von der Demografie", sagt der Hamburger Gesundheitsexperte Heinz Lohmann. Hinzu komme, dass neben den Krankenkassen inzwischen auch die Bundesbürger immer mehr Geld für die Gesundheit ausgeben. "Bundesweit sind es schon 60 Milliarden Euro", sagt Lohmann.

"Hamburg und Schleswig-Holstein haben sich als Standort für Life Science sehr gut entwickelt. Vor allem in Bereichen wie Medizintechnik, Diagnostik und bei Tests von Wirkstoffen für neue Medikamente ist die Region stark", sagt Siegfried Bialojan dem Abendblatt. Der promovierte Biologe ist bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young unter anderem für den jährlich erscheinenden Report über die deutsche Biotechbranche zuständig. "Hamburg hat einen guten Branchenmix, selbst große Krankenkassen haben ihre Zentrale in der Stadt", ergänzt Lohmann.

Der Norden hat sich im Gesundheitsbereich komplett neu aufgestellt. Werkelten noch vor etwa zehn Jahren Firmen und Forschung nebeneinander her, so ist es inzwischen - auch durch Unterstützung der beiden norddeutschen Bundesländer - gelungen, ein funktionsfähiges und schlagkräftiges Cluster, also ein Netzwerk, aufzubauen. Die wichtigsten Teilnehmer sind rund 300 Unternehmen der Medizintechnik, 150 Firmen der Biotechnologie, 21 Forschungseinrichtungen und Unikliniken, sowie 154 Krankenhäuser mit 29 000 Betten. Allein in Hamburg sind nach Angaben der Stadt mehr als 100 000 Menschen im Bereich Life Science beschäftigt.

Die Bemühungen des Nordens haben sich offenbar gelohnt. Beim Bundeswettbewerb Biopharma, bei dem Fördermittel des Bundesforschungsministeriums verteilt wurden, gelang es einem Konsortium aus der Region, unter insgesamt 37 Bewerbern bundesweit als einer der drei Sieger ausgewählt zu werden. Neu{+2},ein Verbund der Uniklinik Eppendorf, des Kieler Unternehmens Bionamic, der Hamburger Evotec AG und des Pharmaunternehmens Merck, kann jetzt in den kommenden fünf Jahren mit bis zu 39 Millionen Euro rechnen. Es will Medikamente gegen Krankheiten wie Multiple Sklerose, Alzheimer oder Parkinson effizienter entwickeln.

"Vor fünf Jahren hätte ein Projekt aus Hamburg einen Sieg in diesem Wettbewerb nicht geschafft", sagt Kathrin Adlkofer, Geschäftsführerin der Agentur Norgenta, die die Aktivitäten der Branche im Norden im Auftrag von Hamburg und Schleswig-Holstein vernetzt. Doch inzwischen gebe es viele übergreifende Initiativen. So habe die Stadt Hamburg gemeinsam mit Evotec den European Screening Point gegründet. Er ermöglicht es, europäischen Forschungsinstituten mit der Technologie von Evotec Wirkstoffe auf ihre Tauglichkeit für neue Arzneien hin zu testen. Initiativen wie diese stärken die Branche in der Stadt. "Aber jetzt geht es darum, in Zukunft nicht nachzulassen", so Adlkofer. Die Branche in der Stadt sei jedenfalls gegen die Krise gerüstet.

Dies sehen auch die Unternehmen so. Zum Beispiel Weinmann, ein Hersteller für Notfall-, Schlaf- und Sauerstoffmedizin. "Wir werden auch dieses Jahr beim Umsatz zulegen", sagte Konzernsprecher Tobias Drewling dem Abendblatt. Weil der Staat im Gesundheitsbereich mehr spart und der Wettbewerb immer härter wird, steigen die Wachstumsraten zwar nicht mehr so rasant wie in der Vergangenheit, aber der Aufwärtstrend halte an. "Die Vernetzung der Branche ist besser geworden. Zudem profitieren wir davon, dass Hamburg auch bei den Zulieferern für die Medizintechnik gut aufgestellt ist", so Drewling. Auch Eppendorf ist zuversichtlich, 2009 besser abschneiden zu können als im Vorjahr. Unternehmenschef Klaus Fink erwartet für dieses Jahr einen Umsatz von 450 bis 460 Millionen Euro, nach 410 Millionen Euro 2008.

Dennoch gibt es auch Schattenseiten im Life-Science-Bereich. Vor allem die Biotechnologiefirmen leiden laut Bialojan derzeit darunter, dass sie in Zeiten der Krise kaum noch Risikokapital bekommen. Gerade Firmen, die neue Wirkstoffe für Medikamente erfinden wollen, sind auf solvente Geldgeber angewiesen. "Doch inzwischen sind viele Unternehmen aus diesem Bereich strategische Partnerschaften mit Pharmakonzernen eingegangen, die sie unabhängiger von Risikokapital machen", so Bialojan. Oder die Unternehmen haben ihr Geschäftsfeld breiter aufgestellt. Wie zum Beispiel Evotec in Hamburg. Nach Problemen bei der Erforschung neuer Wirkstoffe baut das Unternehmen nun seine Technik für Medizintests aus - und kehrt so zu den Wurzeln zurück, mit denen 1993 in Hamburg alles begann.