In der Krise scheuen Bürger langfristige Anlagen. Schon 2008 wurden weniger Lebensversicherungen abgeschlossen.

Hamburg. Wer im Alter seinen Lebensstandard halten will, muss privat vorsorgen. Denn die gesetzliche Rente reicht dafür bei den meisten nicht aus. So können allein in Hamburg rund 77 Prozent der Rentner nicht mit einem ausreichenden Versorgungsniveau aus der Rentenversicherung rechnen, wie aus dem aktuellen Vorsorgeatlas der Fondsgesellschaft Union-Investment hervorgeht. Im Klartext: Die Senioren haben weniger als 60 Prozent ihres letzten Bruttoeinkommens zur Verfügung. Doch in der Krise werden solche Fakten gern vergessen.

Denn das Geschäft mit der privaten Altersvorsorge gerät zunehmend ins Stocken. "Das Neugeschäft ist stark rückläufig", sagt Michael Heinz, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), dem Abendblatt. "Einem hohen Beratungsaufwand stehen nur noch wenige Abschlüsse gegenüber." Das zur Verfügung stehende Geld werde lieber für eine Urlaubsreise genutzt als für langfristiges Sparen. Damit setzt sich in der Branche die Talfahrt fort, die 2008 begann.

Im Krisenjahr 2008 wurden bereits mehr als 800 000 weniger Lebensversicherungs-Verträge abgeschlossen als im Vorjahr, wie die aktuellen Zahlen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zeigen. Bei der klassischen Rentenversicherung ist ein Rückgang von 28 Prozent zu verzeichnen (siehe Tabelle). Berufsunfähigkeitsversicherungen wurden zehn Prozent weniger abgeschlossen. Diese und andere Versicherungen werden unter dem Oberbegriff Lebensversicherungen zusammengefasst.

Kritiker von Lebensversicherungen, wie Verbraucherschützer, freuen sich über den Rückgang. "Renten- und Lebensversicherungen sind ein sehr intransparentes Produkt mit hohen Kosten und keine gute Form der Altersvorsorge", sagt Edda Castello von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Bindung der Verbraucher sei viel zu langfristig. Nur jede zweite Lebensversicherung werde bis zum Ende durchgehalten. Den Hauptgrund für die Zurückhaltung sieht Castello jedoch darin, dass viele Menschen durch die Finanzkrise verunsichert seien.

Über Geschäftszahlen im ersten Halbjahr 2009 verrät der GDV nichts. Da in dem Zeitraum die Zahl der staatlich geförderten Riester-Verträge deutlich zurückgegangen ist, liegt nahe, dass auch das übrige Vorsorge-Geschäft unter Druck steht. Im ersten Halbjahr 2009 verkauften die Versicherer 28 Prozent weniger Riester-Policen als im Vorjahreszeitraum, berichtet das "Manager-Magazin" unter Berufung auf unveröffentlichte Zahlen des GDV. Der Verband bestätigt zwar den Einbruch, nennt aber keine konkreten Zahlen. "In wirtschaftlich unsicheren Zeiten scheuen die Leute langfristige Vertragsbindungen", sagt eine Sprecherin des GDV dem Abendblatt. Außerdem sei 2008 das Riestergeschäft besonders stark gewesen, da im vergangenen Jahr die staatliche Zulage angehoben wurde. In diesem Jahr fehlt dem Vertrieb dieses Lockmittel. Die Fondsgesellschaften wie Deka, DWS und Union-Investment setzten sogar 51 Prozent weniger Riester-Sparpläne im ersten Halbjahr ab.

Bereits im ersten Quartal 2009 sind die Riesterverträge um 16 Prozent zurückgegangen, bestätigt ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. "Dennoch verkaufen sich Riester-Policen gegenwärtig noch besser als die anderen Vorsorgeprodukte", sagt BVK-Präsident Heinz. Die Riester-Rente als Instrument der Altersvorsorge ist dabei noch lange nicht ausgeschöpft. Lediglich 27,3 Prozent der Anspruchsberechtigten haben einen Riester-Vertrag abgeschlossen, geht aus dem neuen Vorsorgeatlas hervor.

Die Versicherungsunternehmen spüren die Zurückhaltung der Verbraucher unterschiedlich. Die Ergo-Gruppe, zu der auch die Hamburg-Mannheimer zählt, verzeichnet beim Neugeschäft einen Rückgang von 12,3 Prozent im ersten Halbjahr 2009. Die Debeka berichtet dagegen bei den Rentenversicherungen von einem Wachstum von 8,5 Prozent im ersten Halbjahr. Rückgänge spüren wir lediglich bei der Riester-Rente, sagt Debeka-Sprecher Christian Arns.

Der GDV rechnet für das Gesamtjahr mit einem stabilen Beitragsaufkommen für die Lebensversicherung. Das findet BDK-Präsident Heinz "sehr optimistisch". Ob die Verbraucher ihre Zurückhaltung im Jahresverlauf aufgeben, sei zweifelhaft. Denn er sieht bei den Verbrauchern eine psychologische Blockade, so Heinz: "Obwohl sie kaum von der Finanzkrise betroffen sind, scheuen sie jetzt langfristige Entscheidungen, weil sie nicht wissen, was noch kommt."