Die Beschäftigten in 91 Kaufhäusern des insolventen Arcandor-Konzerns bangen um ihre Jobs. Eine Verkäuferin hat Abendblatt.de berichtet, was sie von Managern hält, wie die Kunden mitleiden und wie sie auf Rettung hofft.

Hamburg. Am Dienstag hatte sie frei. Ausgerechnet an dem Tag, als ihr Arbeitgeber Insolvenz anmeldete, war Angelika Reiners (Name geändert) nicht bei Karstadt. Karstadt war bei ihr, zu Hause in ihrem Wohnzimmer in Pinneberg. Im Radio hörte sie vom Mutterkonzern Arcandor, von der "größten Insolvenz der deutschen Geschichte", im Fernsehen war vom "Ende eines Kaufhaus-Riesen" die Rede. Einige Kollegen aus der Filiale an der Mönckebergstraße riefen an. Manche waren traurig, manche wütend, alle verzweifelt. "Angelika", sagte eine Kollegin aus der Strumpfabteilung mit zittriger Stimme, "was bedeutet das für uns?"

Für Angelika Reiners bedeutet es, dass ihr Weltbild zusammenbricht, das Vertrauen in ein Traditionsunternehmen, fast schon in eine Institution. Wie ein Fels im Einzelhandel, der jedem wirtschaftlichen Unwetter trotzt, habe Karstadt auf sie gewirkt. "Ich fühlte mich sicher", sagt die 42-Jährige, "dachte, dass ich hier bis zur Rente arbeiten werde." Plötzlich liegt ein Schatten über der Warenwelt der bundesweit 91 Karstadt-Häuser. Und damit auch über Angelika Reiners' Leben. "Ich weiß, es klingt kitschig", sagt sie. "Aber Karstadt ist doch mein Leben, meine Existenz." Seit 26 Jahren.

Als 16-Jährige, gleich nach der mittleren Reife, machte Angelika Reiners eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Bei Karstadt in Pinneberg. Selbstverständlich sei sie nach der Lehre übernommen worden. Noch nicht einen Tag habe sie woanders gearbeitet als bei Karstadt. "Das geht vielen von uns so", sagt Angelika Reiners und meint die mehr als 900 Kollegen, die bei Karstadt Mö und bei Karstadt Sport an der Mönckebergstraße beschäftigt sind. Nur die Filiale habe sie gewechselt, 1998, als das Haus in Pinneberg dichtgemacht wurde. Hart sei das damals gewesen. Aber einfach im Vergleich zu heute. "Man wusste, dass man in einem anderen Haus unterkommt", sagt sie. Angelika Reiners kam in der Filiale an der Mönckebergstraße unter. Sozial und fair sei es bei Karstadt immer zugegangen.

Auch 1995, zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes Jan. Als Angelika Reiners wieder in den Job einsteigen wollte, aber eben nur in Teilzeit. "Da gab es überhaupt keine Debatte", sagt sie. Sogar um 15.50 Uhr habe sie jeden Tag Schluss machen dürfen, obwohl die Schicht doch eigentlich bis 16 Uhr gegangen wäre. "Ich hätte den Kleinen dann bloß nicht pünktlich in der Kindertagesstätte abholen können." Ganz individuell werde das geregelt, sagt Angelika Reiners. Und erzählt von einer Kollegin, die nur sonnabends kommt. Und von einer anderen, die immer nur in der Spätschicht von 10.45 Uhr bis zum Ladenschluss um 20 Uhr eingesetzt wird. "Ich habe noch nie von einem Konzern gehört, in dem so auf die Mitarbeiter eingegangen wird", sagt sie und zieht ihren schwarzen Rock glatt. Dazu trägt sie eine weiße Bluse und eine schwarze Weste, ihre "Karstadt-Uniform", wie sie sagt. Treu steht sie zum Unternehmen, auch in der tiefsten Krise. Trotz allem.

Ob sich die Manager auch so aufgeopfert hätten, wie die Verkäuferinnen es gerade tun, um das Schlimmste zu verhindern? Sie weiß es nicht. "Der Herr Middelhoff jedenfalls hat viel verbockt und dann gerade noch die Kurve gekratzt", sagt Angelika Reiners. Ob die Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz sich genug eingesetzt habe? "Ach, über die wird überhaupt nicht gesprochen." Das einzige Thema auf den Fluren, im Fahrstuhl, in der Kantine und auch daheim beim Abendessen mit Ehemann Rolf sei die Frage, wie es weitergehe mit Karstadt. "Wenn Metro uns rettet, ist das gut", sagt Angelika Reiners über eine mögliche Fusion. Bloß würden dann wahrscheinlich Tausende von Stellen wegfallen. Aber darüber denkt sie noch nicht nach. "Wir, die Basis, können den Laden nicht retten", sagt sie.

Oft habe sie sich schon gewünscht, "wir von unten" hätten mehr Einfluss oben, in den Chefetagen. "Manchmal glaube ich, die Entscheider sind einfach zu weit weg vom Geschehen", sagt Angelika Reiners, und ihre Stimme wird ein bisschen lauter. Wie damals, als nach dem dreijährigen Umbau der Mö-Filiale plötzlich der "Schnäppchen-Markt" abgeschafft wurde. "Das halte ich bis heute für einen Fehler", sagt sie. "Der Markt war beliebt bei unseren Kunden."

Die Kunden leiden mit den Angestellten. "Manche sehen so bedrückt aus, die muss man erst mal aufheitern", sagt Angelika Reiners. Etwa 95 Prozent ihrer Kunden hätten auf den "Rettet Karstadt"-Listen an den Kassen unterschrieben. Mehr als 30 000 Unterschriften wurden an den zwölf Warenhäusern in Hamburg gesammelt. "Ich verstehe bis heute nicht, warum Opel geholfen wird und uns nicht", sagt Angelika Reiners.

Abends bespreche sie oft mit ihrem Mann Rolf die Lage. Er arbeitet in der Autoindustrie. Auch der Branche geht es nicht gut. Manchmal überkomme sie die Sorge, dass sie demnächst beide auf der Straße stehen könnten. "Und in unserem Alter finden wir doch auf dem kaputten Markt nichts mehr."

In der Karstadt-Filiale an der Mö ist der kaputte Markt nicht sichtbar, die Kunden kommen. Nach dem KaDeWe erwirtschaftet das frisch renovierte Haus in der Hamburger Innenstadt bundesweit den höchsten Umsatz. "Das steigert unseren Marktwert, auch für einen Investor", sagt Angelika Reiners. Sie steht in der Strumpfabteilung wie schon ihr ganzes Karstadt-Leben lang. Söckchen, Kniestrümpfe, Strumpfhosen. Seit 26 Jahren. Doch nie habe sie so viele "Hamsterkäufe" beobachtet wie in dieser Woche. Eine 80-jährige Stammkundin habe gleich acht Strumpfhosen auf einmal gekauft und gesagt: "Ich weiß doch gar nicht, wo ich die herbekommen soll, wenn es Karstadt nicht mehr gibt." Rührend sei das, sagt Angelika Reiners. Und schmerzlich. "Ich lasse mir aber nichts anmerken, mache weiter wie immer." Trotzdem habe sie im Hinterkopf, dass es von dieser Marke jetzt kaum mehr Strumpfhosen im Regal gebe. Nach dem Insolvenzantrag hätten die Händler die Lieferungen gestoppt. "Noch sind die Lager gefüllt, aber wir brauchen Nachschub." Jetzt müssten Gespräche geführt werden.

Wenigstens für die kommenden drei Monate seien die Gehälter gesichert. "Die zahlt die Agentur für Arbeit", sagt Angelika Reiners. "Also eigentlich der Steuerzahler." Knapp 1000 Euro netto verdiene eine Verkäuferin im Durchschnitt monatlich. "Wirklich nicht viel", sagt sie. Aber sie sei zufrieden. Nur an diesem Morgen sei irgendwie die Wut in ihr hochgestiegen.

Angelika Reiners blickt auf ein Schild an der Rolltreppe. "Wir sind weiter für Sie da", haben die Mitarbeiter darauf geschrieben. Zumindest auf dem Papier steht Karstadt noch für Sicherheit und Verlässlichkeit.