Erfolgreiche Reise der Hamburger Wirtschaftsdelegation. Hansestadt wird zum wichtigsten deutschen Partner der Region.

Shanghai/Seoul/Tokio. Der Eingang liegt in einem Hinterhof. Vor der Tür stehen zwei kräftige Männer. Der Fahrstuhl fährt bis in die sechste Etage. Noch ein Stockwerk laufen, dann ist man in der Bar Rouge, einem Treffpunkt ausländischer Geschäftsleute, die häufiger in Shanghai sind. Hämmernde Beats, knapp gekleidete Chinesinnen und eine Getränkekarte mit hohen Preisen warten auf den Gast, der noch nicht schlafen kann. Umgerechnet zehn Euro verlangt der Barkeeper für eine Flasche Corona. Immerhin kalt - und mit Zitrone. Wer reserviert hat, darf sitzen. Die Gespräche zwischen Frauen und Männern unterschiedlicher Kulturen werden auf Englisch geführt. "What's your name?" und "Where are you from?" sind Standardeinstiege. Kein Standard ist der Ausblick von der Dachterrasse. Man schaut auf eine Skyline, die selbst eingefleischte New-York-Fans ins Schwärmen bringt. Grell, gigantisch und architektonisch gewagt liegt der Stadtteil Pudong auf der anderen Uferseite des Huangpu. Die zehn Euro für das importierte Bier sind bei diesem Anblick fast vergessen.

Um den Euro geht es auch bei Choi Eun-young in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Allerdings nicht im Zusammenhang mit Preisen für alkoholische Getränke, sondern um den Euro als wichtige Weltwährung. "Wie geht das weiter mit eurem Euro?", fragt die gut aussehende Reederei-Inhaberin ihre Gäste und fährt sich mit der rechten Hand durch die modische Frisur. "Wir machen uns Sorgen", ergänzt sie und lächelt. Seit ihr Mann vor sechs Jahren gestorben ist, leitet Choi Eun-young persönlich Hanjin Shipping - eine der größten Reedereien der Welt. Wie auf einer Stange aufgereiht sitzt die Führungsriege von Hanjin auf der einen Seite des riesigen ovalen Holztisches. Zehn Männer - und in der Mitte die Chefin im grauen, modischen Hosenanzug. Gegenüber von Choi Eun-young hat Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch Platz genommen. Zu seinen beiden Seiten sitzen Mitglieder der insgesamt 40-köpfigen Wirtschaftsdelegation, die sich nach Asien aufgemacht hat. Drei Länder, sechs Städte und mehrere Dutzend Termine in zehn Tagen. Kontakte pflegen, knüpfen und zu erfolgreichen Geschäftsabschlüssen führen - das ist das Ziel der Politiker, Manager und Wissenschaftler aus der 9000 Kilometer entfernten Hansestadt.

Choi Eun-young ist so ein Kontakt. Denn ihr Unternehmen ist ein großer Kunde des Hamburger Hafens. Um dessen Zukunft macht sie sich auch Sorgen - wegen der noch nicht abgeschlossenen Vertiefung der Elbe. Denn Hanjins Schiffe werden immer größer und haben voll beladen einen immensen Tiefgang. "Aber das mit der Elbe werdet ihr schon regeln", sagt sie zu Frank Horch. Die Frage, was denn da in Wilhelmshaven gebaut werde, kann sie sich dennoch nicht verkneifen. Dieser neue Hafen westlich von Hamburg soll ja ganz besonders tief sein. Ideal für riesige Schiffe. "Das mit der Elbe bekommt ihr bestimmt geregelt", sagt sie mit Nachdruck. Doch die Euro-Krise, die können ihre Gäste wohl kaum alleine meistern. Und das verunsichert Choi Eun-young. Denn Europa ist wichtig für ihre Reederei. Die Entwicklung der Frachten dorthin war zuletzt nicht zufriedenstellend. Frank Horch erklärt einer der mächtigsten Frauen Südkoreas die Euro-Krise und zeigt Auswege auf. "Dass ihr das Problem mit dem Euro löst, ist wichtig für uns, für unsere Beziehungen, für Südkorea und Hamburg", sagt Choi Eun-young zum Abschied. Nach einem Foto mit der Delegation geht sie mit zum Fahrstuhl, schüttelt Hände und lächelt noch einmal.

Katsuhiko Hirose lächelt ebenfalls, als er Frank Horch darum bittet, die schwarzen Sicherheitsschuhe anzuziehen. Der Top-Manager vom japanischen Autohersteller Toyota öffnet heute Türen, die nur sehr selten für Gäste aufgehen. Der Wirtschaftssenator und fünf zuvor ausgewählte Mitglieder der Delegation dürfen in die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des japanischen Autoherstellers in Toyota-Stadt, 250 Kilometer von Tokio entfernt. Katsuhiko Hirose zeigt Teile einer Brennstoffzelle und erklärt technische Details, die nur die Wissenschaftler in der Gruppe verstehen. Spannend und kompliziert ist sie, die Suche nach dem Autoantrieb der Zukunft.

Strom, Wasserstoff oder Gas - weltweit wird nach Alternativen zum Benzin geforscht, auch bei Toyota. Denn der Treibstoff der Gegenwart ist nicht nur endlich, sondern zerstört auch das Klima. Und mit Zerstörung wollen gerade die Japaner nach dem atomaren Super-GAU in Fukushima nichts mehr zu tun haben. Das Land leidet noch immer unter dieser Katastrophe. Dieses Trauma wollen sie endlich besiegen. Deshalb schmieden sie Pläne mit schnellen Elektromobilen, einem weltumspannenden Stromtankstellennetz und schwimmenden Windrädern auf hoher See. Sie wollen raus aus dieser gefährlichen Kernenergie. Nur wie? Da können die Gäste aus Deutschland vielleicht helfen. Schließlich stehen bei ihnen an der Küste schon eine ganze Reihe dieser gigantischen, Strom erzeugenden Windräder im Wasser. Allerdings ist das Meer vor Japans Küste viel tiefer als die Nord- und Ostsee. Egal. Die Computeranimation für den ersten japanischen Offshore-Windpark ist bereits fertig. Ausgerechnet vor der Küste Fukushimas wollen die Japaner das Zukunftsprojekt verwirklichen. In einem Erdbebengebiet mit Tsunamigefahr.

Keine Zukunftsmusik, sondern Gegenwart ist der neue Containerhafen von Busan, der zweitgrößten Stadt Südkoreas. 1999 wurde mit den Arbeiten am New Port begonnen. Heute ist Busan der fünftgrößte Umschlagsplatz für Containerschiffe weltweit. Nur Shanghai, Singapur, Hongkong und Shenzhen rangieren vor den Südkoreanern. Und Busan will seinen Hafen weiter kräftig ausbauen. Weder in Südkorea noch in China mag man Stillstand. Großprojekte sind hier gigantisch und Kompromisse verpönt. Da werden Straßen, riesige Hängebrücken, Wolkenkratzer oder eben Häfen in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft. Naturschutz und Einzelinteressen stehen hinten an. Koreaner und Chinesen lernen von Kindesbeinen an, dass jeder ein kleines Rad im großen Getriebe ist. Und wenn nur ein Rad stillsteht, das Getriebe ausfällt.

Gehorsam und Fleiß gelten als wichtige Tugenden. Der Leistungsdruck auf den Nachwuchs ist groß. Kein Wunder, dass Südkorea eine der höchsten Selbstmordraten weltweit hat. Bildung, Gemeinsinn und Neugier sind Zutaten im Erfolgsrezept der prosperierenden Industrienationen Asiens. Bei fast jedem Termin, ob bei Unternehmen oder Politikern, spüren die Hamburger das große Interesse an den Entwicklungen im Norden Deutschlands. Die Gastgeber sind glänzend über die Heimat ihrer Besucher informiert, stellen konkrete Fragen und zeigen sich nicht selten demütig. "Wir wollen von euch lernen." Das hört man in den zehn Tagen in der Ferne oft. Ein Satz, der deutschen Managern nur schwer über die Lippen kommt. Dabei hätten sie allen Grund dazu, ihn häufiger aufzusagen. Denn auch die nicht vorhandene Neugier hat in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass die deutsche Wirtschaft in der Informationstechnologie und der Unterhaltungselektronik kaum noch eine Rolle spielt. Die Zukunft der Tablet-Computer, Smartphones und 3-D-Fernseher gehört Asien und den USA, nicht Deutschland.

"Wir müssen mit den Asiaten zusammenarbeiten", sagt der Chef des Hamburger Industrieverbands, Michael Westhagemann. Er begleitet Senator Horch während der Asienreise bei den meisten Terminen, und beide werden nicht müde, für den Standort Hamburg zu werben. Mit Erfolg: Am Ende der Reise stehen als Ergebnis die Ansiedlung eines südkoreanischen Windkraftunternehmens, das bis zu 150 Arbeitsplätze an der Elbe schaffen will, und die Absichtserklärungen zwei weiterer Firmen aus der Branche, nach Hamburg zu kommen. Wissenschaftler in Asien und der Hansestadt wollen bei den regenerativen Energien enger zusammenarbeiten, zwischen Hamburg und Shanghai soll es eine ökologische Schiffslinie geben und sechs Häfen weltweit haben in Busan ein Kooperationsabkommen unterschrieben - Hamburg ist mit dabei. Der Chef der Hafenverwaltung HPA, Jens Meier, spricht von einem "wichtigen Baustein" in den gegenseitigen Beziehungen. Und er nennt die Geschäftspartner "Freunde".

Auch Frank Horch spürt eine große Herzlichkeit bei seinen Besuchen mit Politikern in Asien. Hamburg ist zu einer der wichtigsten europäischen Städte in Fernost geworden - vor allem wirtschaftlich, aber auch politisch. Immer wieder wird Horch gebeten, sich in Berlin und sogar auf EU-Ebene in Brüssel für asiatische Interessen einzusetzen.

Während die Hamburger Delegation etwa zwei Kilometer entfernt ihren Abschiedsabend begeht, hämmern in der Shanghaier Bar Rouge die Beats. Es ist 2 Uhr morgens, die Terrasse im siebten Stock leert sich. Die Geschäftsleute aus dem Ausland suchen an der prachtvollen Uferstraße nach Taxen. Viele haben längst nicht mehr den Eindruck, in einem kommunistischen Land zu sein. "Das ist hier wie in einer Diktatur mit Marktwirtschaft", sagt ein kanadischer Manager, der für ein Internetunternehmen in Melbourne arbeitet. An seinen Armen hängen zwei junge Chinesinnen in kurzen Röcken. "Massage? Sex?", fragen sie. Der Kanadier schüttelt beide ab und steigt ins Taxi. Er habe gute Geschäfte gemacht, erzählt er vorher noch. Die Lichter der Skyline von Pudong leuchten derweil nicht mehr so grell wie fünf Stunden zuvor. Strom sparen ist selbst in der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China zu einem Thema geworden. Die Delegation aus Hamburg begreift auch dieses Zeichen als Chance. Schließlich kommt man aus einer der europäischen Metropolen für regenerative Energien.