Windräder, Solardächer und Blockheizanlagen sollen bei der Energiewende helfen. Die Vernetzung steigert den Ertrag. Arbeitsplätze entstehen.

Hamburg. Paul Frank hat sich die Zukunft der Energieversorgung längst in den Alltag geholt, jedenfalls einen guten Teil davon. Mit einem Elektromobil vom Typ Opel Ampera fährt er in seiner Reihenhaussiedlung in Bramfeld vor und kommt gleich zur Sache: "Vattenfall Europe will ein virtuelles Kraftwerk verwirklichen. Wir arbeiten daran schon lange", sagt der Architekt und Energieberater aus dem Stadtteil Lemsahl. Der Begriff "virtuelles Kraftwerk" umschreibt den Zusammenschluss vieler kleiner Anlagen, um die Erzeugung von Strom und Wärme aus großen Kraftwerken zu ersetzen oder sie zumindest wesentlich zu ergänzen.

Zu der Wohnanlage in Bramfeld aus den 1950er-Jahren, die Frank und seinen Geschwistern gehört, zählen 194 Wohneinheiten, davon 150 Reihenhäuser. Seit Jahren saniert Frank Haus für Haus und rüstet es mit modernster Technik zur Strom- und Wärmeversorgung aus. Er öffnet eine Garage im Innenhof zwischen zwei Häuserzeilen. Darin sieht es aus wie im Maschinenraum eines Schiffes. Neben drei Blockheizkraftwerken stehen eine herkömmliche moderne Zentralheizung und speziell gedämmte Tanks zur Speicherung von warmem Wasser. Blockheizkraftwerke erzeugen mit Erdgasantrieb sowohl Wärme als auch Strom. Die Anlagen in der Garage sind vernetzt mit einer zentralen Leitstelle des Versorgungsunternehmens Vattenfall Europe in Berlin. "Wir sind in Hamburg der erste private Wohnungseigentümer, der sich durch dieses virtuelle Kraftwerk steuern lässt", sagt Frank.

+++ Vorwärts in vielen kleinen Schritten +++

Vattenfall Europe betreibt in Hamburg das Stromnetz und die Versorgung mit Fernwärme. Vor allem am Strommarkt ist die Konkurrenz in den vergangenen Jahren massiv gewachsen. Mittlerweile bieten in der Hansestadt gut 250 Unternehmen Strom an. Versorger wie Vattenfall, in früheren Jahren unangefochten in ihrer jeweiligen Region, stellen sich auf die neuen Zeiten ein. Vor allem der Ausbau erneuerbarer Energien und dezentraler Anlagen, die Stromversorgung aus Windturbinen, Solaranlagen oder Blockheizkraftwerken verändern die Lage erheblich.

"Es wird noch einige Jahre dauern, bis das Konzept der sogenannten Schwarmkraftwerke - das Zusammenspiel vieler kleiner Kraftwerke bei der Stromerzeugung - optimiert ist. Aber wir arbeiten daran, auch mit anderen Unternehmen der Stromwirtschaft", sagt Dietrich Graf, verantwortlicher Manager für das Stromnetz von Vattenfall Europe in Hamburg. Gemeinsam mit Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD) will das Unternehmen heute die 2500. dezentrale Anlage in Betrieb nehmen, die an das Hamburger Netz angeschlossen ist, eine Solarstromanlage auf dem Dach eines neuen Studentenwohnheims in der Hammerbrookstraße.

Auch Hauseigner Frank ist Teil dieses großen Netzwerks. Der Strom fließt dabei oft in beide Richtungen, zum Nutzen aller Teilnehmer. In Norddeutschland hat in den vergangenen Jahren das Aufkommen an Windstrom dramatisch zugenommen. Weil es noch keine ausreichenden Großspeicher dafür gibt, suchen Netzbetreiber wie Vattenfall Europe nach sinnvollen und flexiblen Möglichkeiten, den Strom zu verwenden. Dazu gehören zum Beispiel auch Wärmepumpen, die Frank in seinen Häusern in Bramfeld installiert hat. Sie verdichten Umgebungswärme aus der Luft und heizen damit Wasser für die Wärmespeicher in der Reihenhaussiedlung auf. Wärmepumpen arbeiten nach dem umgekehrten Prinzip von Kühlschränken. Wenn Vattenfall Europe ansteigende Mengen von Windstrom schnell zur Anwendung bringen will, kann die Leitzentrale in Berlin bei Tag und Nacht sekundenschnell etliche solcher Geräte aktivieren. Die Wärmespeicher in der Bramfelder Siedlung bieten stets genügend Puffer, um warmes Wasser für Hausheizungen und den Bedarf von Brauchwasser aufzunehmen.

Umgekehrt erzeugen die Blockheizkraftwerke bei Bedarf zusätzlichen Strom, etwa wenn das Netz stabilisiert werden muss. Auch dabei geht die anfallende Wärme in den Wasserspeicher und dient später für die Versorgung der angeschlossenen Häuser. "Der Klima- und Umwelteffekt solch vernetzter Anlagen ist massiv", sagt Frank. "Der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid lässt sich bei der Art, wie wir in der Siedlung Wärme erzeugen, gegenüber der herkömmlichen Versorgung um 60 bis 70 Prozent reduzieren. Je mehr Strom dabei aus Windkraft oder Sonnenlicht stammt, desto besser."

+++ "Netze-Deal" oder "Energiewende" +++

Auf dem Dach der Reihenhaussiedlung hat Frank eine Solarstromanlage installieren lassen, deren Strom ins Netz eingespeist wird. Die Häuser sind weitgehend energetisch saniert. Auch über die Bereitstellung von Elektromobilen für die Mieter und die entsprechende Stromversorgung denkt Frank nach. "Wir machen das hier nicht aus Idealismus oder weil wir Ökoromantiker sind", sagt Frank, dessen Großvater in den 1930er-Jahren die Frank'sche Siedlung in Klein Borstel im Norden Hamburgs entworfen und gebaut hat. "Wir müssen wirtschaftlich arbeiten. Mit meinem Honorar als Architekt kann ich mir keine Späßchen erlauben."

Die Zahl der Blockheizkraftwerke in Deutschland steigt ständig. Mittlerweile sind rund 40 000 Anlagen installiert. Zwar werden sie zumeist mit dem fossilen Brennstoff Erdgas betrieben, bei dessen Verbrennung das Treibhausgas Kohlendioxid entsteht. Weil sie aber zugleich Strom und Wärme erzeugen, arbeiten die kompakten Kellerkraftwerke wesentlich effizienter als herkömmliche Zentralheizungen - und erst recht als große Kohlekraftwerke. Ein Blockheizkraftwerk wandelt rund 80 Prozent des eingesetzten Brennstoffs in Nutzenergie um. "Wenn man Wohn- oder Gewerbeflächen von mehr als 600 Quadratmetern versorgen will, eignen sich Blockheizkraftwerke als Teil vernetzter dezentraler Anlagen", sagt Heiko Schröder, Inhaber der Firma Energieausweiser, der auch die Anlagen von Frank in Bramfeld betreut.

Auch bei den etablierten Stromversorgern gewinnt das Konzept Tausender vernetzter Anlagen an technologischem Zutrauen. "Durch die zunehmende Dezentralisierung der Stromversorgung kann sich die Stabilität der Netze erhöhen", sagt Vattenfall-Manager Dietrich Graf. "Dafür brauchen wir aber vordringlich Speicherkapazitäten für die schwankenden Stromerträge aus Wind- und Sonnenkraftwerken."

Die alten Macht- und Marktverhältnisse bei der Versorgung mit Strom und Wärme werden sich zum Teil auflösen, neue Verbindungen von Anbietern und Abnehmern wachsen mit neuen Netzen für die Energie. Das bedeutet viel Arbeit für viele qualifizierte Menschen: "Heutzutage sind die Stromnetze auf die Verbraucher hin ausgelegt", sagt Graf. "Künftig müssen sie sowohl für die Stromverbraucher wie auch für Tausende von Stromeinspeisern optimiert sein. Im vergangenen Jahrzehnt haben wir uns vor allem kaufmännisch auf die Liberalisierung des Strommarktes eingestellt. Jetzt ist ganz stark auch die physische Modernisierung der Stromversorgung gefragt."