300 Bewerber auf 60 Studienplätze: Trotz Werftenkrise ist Interesse am Studiengang der TU Hamburg-Harburg groß. Berufchancen stehen gut.

Hamburg. Zu Beginn seiner Vorlesung über Schiffspropeller erweckt Professor Stefan Krüger, 48, den Eindruck, dass auch ein Laie in den folgenden eineinhalb Stunden ein klein wenig Wissen mitnehmen kann. Es geht um Strömungs- und Auftriebskräfte an Flügelkonstruktionen wie Flugzeugtragflächen und eben auch bei Schiffspropellern. Es geht um Wirbel und um die sogenannte Kavitation, die Bildung von Bläschen durch Verwirbelung, die das Metall von Schiffspropellern schädigt.

Nach wenigen Minuten allerdings ist die Illusion von der Verständlichkeit dieser spannenden Materie bereits verflogen. Denn nun macht Krüger Tempo. Er spricht vom "Helmholtz'schen Wirbelerhaltungssatz", von "Tragflügeltheorie erster Ordnung", er schreibt Differenziale, Flügelprofile und Koordinatensysteme an die Tafel, wischt zwischendurch ab und fragt seine Studenten immer mal wieder: "Einverstanden?" Hier und dort nickt jemand kurz. Die 15 jungen Männer und drei Frauen im Vorlesungsraum sind vollauf damit beschäftigt, mitzuschreiben und zu zeichnen. Erinnerungen an viele knifflige Mathematik- und Geometriestunden werden beim Zuhören wach. Erstaunlicherweise aber geben die Studenten selbst nach einer Dreiviertelstunde unter hohem Formeldruck auf Nachfrage des Professors noch präzise und richtige Antworten.

Der Hochschullehrer freut sich: "Als Ingenieur muss man Probleme lösen können, auf einer starken theoretischen Grundlage. Und die bekommen die Studenten hier", sagt Krüger nach der Vorlesung in seinem Büro. "Wir betreiben keine realitätsferne Abstraktion. Alles dient letztlich der Anwendung. Zum Beispiel bei der Frage, wie man einen Schiffspropeller konstruieren muss, der für den Einsatz auf einem Kreuzfahrtschiff besonders vibrationsarm sein soll." An der Wand hängen Konstruktionszeichnungen von Rümpfen, auf dem Fenstersims steht das hölzerne Modell eines Versorgungsschiffes. Der Ingenieur ist einer von insgesamt elf Professoren, die an der Technischen Universität Hamburg-Harburg Schiffbau lehren. Der Studiengang gilt als die umfassendste akademische Ausbildung für Schiffbauingenieure in Deutschland. Er vereint das gesamte Spektrum von der grundlegendenTheorie über Rumpfkonstruktion und Antriebstechnik bis hin zu komplexen Themen wie Meerestechnik und Offshore-Anlagen für die Energiewirtschaft. Flankiert wird dieses Angebot durch Wissensvermittlung aus anderen ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen wie dem Maschinenbau.

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Der Andrang ist hoch, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage, unter der viele deutsche Werften heutzutage leiden. "Wir hatten für 60 Studienplätze zeitweise rund 300 Bewerber", sagt Krüger. "Schiffbau ist ein krisensicherer Beruf. Denn Bedarf für neue Schiffe wird es immer geben. Und die müssen konstruiert werden. Personalfirmen, die Nachwuchs für Unternehmen suchen, sind hier am Fachbereich ständig präsent." 256 Studenten aller Semester sind derzeit an der TU Hamburg-Harburg für das Fach Schiffbau eingeschrieben, davon 44 Frauen.

Obwohl die Konkurrenz der asiatischen Werften erdrückend groß ist, sieht Krüger für den noch verbliebenen deutschen Schiffbau eine glänzende Zukunft: "Auf den deutschen Werften werden Schiffe für sehr spezielle Anwendungen gebaut, als Einzelstücke oder in kleinen Serien. Dafür braucht man sehr viel mehr Ingenieurleistung als für Standardschiffe wie etwa Containerfrachter oder Tanker", sagt der Professor. "Wir haben in Deutschland eine sehr gute Schiffbauindustrie." Die Kontakte seines Fachbereichs zu deutschen Topwerften wie Meyer in Papenburg, Lürssen in Bremen, Blohm + Voss in Hamburg oder der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) sind eng. Viele Absolventen der TU Hamburg-Harburg bekleiden im deutschen Schiffbau Führungspositionen, etwa Blohm+Voss-Chef Herbert Aly, ein promovierter Schiffbauingenieur.

Stefan Krüger leitete von 1993 bis 2001 die Abteilung Basiskonstruktion bei der FSG, einer der renommiertesten Werften der Welt für den Bau von kombinierten Fracht- und Passagierfähren. Bis heute berät er das Unternehmen. "Bei Werften wie der FSG sieht man Schiffe als Anlagen, die über den gesamten Lebenszyklus von mehreren Jahrzehnten wirtschaftlich betrieben werden sollen", sagt er. "Entsprechend aufwendig ist es, das optimale Design und den bestmöglichen Antrieb zu finden."

Das Netzwerk von Universität und Wirtschaft zahlt sich für die Studenten aus. Viele von ihnen arbeiten bereits während des Studiums als Werkstudenten auf Werften, sammeln dort Erfahrungen und knüpfen Kontakte für das spätere Berufsleben. Sechs Semester dauert die Regelstudienzeit bis zum ersten Abschluss, dem Bachelor, der einem Fachhochschulabschluss ähnelt. Weitere vier Semester führen zum Abschluss als Master. Dieses zweistufige Studium nach internationalem Standard hat die in Deutschland etablierten Diplomstudiengänge abgelöst. Die letzten Studenten, die noch nach dem alten System ausgebildet werden, müssen ihr Studium an der TU Hamburg-Harburg bis 2013 abschließen.

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Lisa Brütt, 23, und Tim Müller, 27, haben ihr Schiffbaustudium im Wintersemester 2007 begonnen, sie gehörten zum ersten Jahrgang nach der Umstellung auf Bachelor und Master. Vor der nächsten Vorlesung stehen sie im Foyer des Fachbereichs neben Vitrinen mit Schiffsmodellen. Die komplizierte Theorie der Propellergeometrie, die sie gerade bei Professor Krüger gehört haben, ist ihnen vertraut. Nach dem Abschluss zum Bachelor absolvieren beide derzeit die Aufbaustufe zum Master.

Für Tim Müller scheint der Berufsweg bereits vorgezeichnet: Der gelernte Bootsbauer arbeitet neben dem Studium für das Bremerhavener Unternehmen Judel/Vrolijk, eines der international erfolgreichsten Konstruktionsbüros für Rennyachten. Unter anderem entwarf dessen Mitbegründer Rolf Vrolijk als Mitglied des Teams Alinghi Yachten, das den America's Cup gewann, die traditionsreichste Trophäe für Regattayachten. "Die Arbeit in einem Konstruktionsbüro oder bei einer Klassifizierungsgesellschaft würde mich nach dem Studium reizen", sagt Müller.

Lisa Brütt wiederum verbindet im Schiffbaustudium ihre Leidenschaft als Hobbyseglerin mit dem Interesse für die Ingenieurwissenschaften. Ein konkretes Ziel für ihren Berufsweg nach dem Abschluss hat sie noch nicht. Aber sie blickt mit viel Gelassenheit auf den deutschen Arbeitsmarkt: "Der Schiffbau boomt", sagt sie. "Ich kenne niemanden, der den Studiengang hier abgeschlossen und anschließend keinen Arbeitsplatz bekommen hat."