Der eine ist eher ein Linker, der andere dem neoliberalen Flügel zuzurechnen. Das Abendblatt hat zwei Wirtschaftswissenschaftler zum freundschaftlichen Streitgespräch eingeladen.

Hamburg. Abendblatt:

Herr Flassbeck, was sind die Hauptgründe für die aktuelle Krise?

Heiner Flassbeck:

Die Krise, die wir jetzt haben, ist nichts Neues. Dieses Land hat schon viele Krisen hinter sich. Nur die Dimension ist neu. In den USA wurde massiv mit Hypothekenpapieren spekuliert. Und diese Papiere hat man dann um die ganze Welt verschifft - ohne jede Kontrolle. Hinzu kommen Währungs-, Aktien- und Rohstoffspekulationen im großen Ausmaß. Das Prinzip ist so pervers wie einfach: Sie kaufen heute zu einem niedrigen Preis und versuchen übermorgen mit Gewinn zu verkaufen. Die Banken haben dieses Spiel mitgespielt - das war Zockerbanking. Und die Krise ist deshalb so gigantisch, weil die Banken nicht mit ihrem eigenen Geld gezockt haben, sondern mit Schulden. Es wurde in einem nicht für möglich gehaltenen Ausmaß und Tempo spekuliert. Und das Schlimme ist: Es wird weiter gezockt, die Kasinos sind immer noch geöffnet.

Thomas Straubhaar:

Das klingt so, als wären die Banken abstrakte Gebilde. Das sind sie nicht. Hinter den Banken steht eine ganze Reihe von Interessen. Hier haben nicht zuletzt politische Akteure mitgewirkt. So war die US-Regierung Bush an einer Politik des billigen Geldes, also an hohen Schulden interessiert. Washington wollte auch, dass die breite Masse billige Kredite bekommt. Jeder sollte sich den Traum vom Eigenheim erfüllen können; nicht nur die Mittelschicht, auch die Ärmsten im Land. Und in Deutschland empfanden die öffentlich-rechtlichen Banken ihr Tagesgeschäft als langweilig. Deshalb gingen einige, aber längstens nicht alle hohe Risiken ein - nicht zuletzt auf Druck der Politik. Als die hohen Renditen flossen, durfte sich auch der Steuerzahler freuen. Denn Teile der Gewinne wurden von den öffentlich-rechtlichen Banken an die Länderhaushalte überwiesen. Und die Aktionäre haben schließlich auch lange Zeit von steigenden Kursen profitiert. Also nicht nur die Banker dürfen als Buhmänner herhalten.

Flassbeck:

Das sehe ich genauso. Ich möchte hier nicht nur Herrn Ackermann als Schuldigen nennen.

Abendblatt:

Sie haben jüngst formuliert: Banken produzieren nichts, sie sind weder produktiv noch innovativ.

Flassbeck:

Das stimmt auch. Die Banken haben nichts Produktives geleistet. Sie haben Wetten getätigt, Nullsummenspiele gespielt.

Abendblatt:

Ist die Krise nicht auch deshalb entstanden, weil einfache Menschen zu gierig waren? Schließlich wollten sie für wenig Geld ein Haus finanzieren.

Flassbeck:

Viele Menschen in den USA sind mit großen Werbekampagnen in den Hauskauf getrieben worden. Bunt und plakativ wurde den Amerikanern suggeriert, dass die Finanzierung einer Immobilie völlig unproblematisch sei. Banken und Makler haben hier unverantwortlich gehandelt.

Straubhaar:

Den Amerikanern wurden Kredite stark angepriesen - das stimmt. Doch viele Menschen haben sich um die notwendigen Informationen auch nicht bemüht. Ich halte es aber für grundsätzlich problematisch, Banken als unproduktiv zu bezeichnen. Schließlich bieten Banken Dienstleistungen an. Sie sammeln Kapital ein und geben es wieder heraus - das halte ich für einen hoch produktiven Vorgang.

Flassbeck:

In den USA spricht man vom 3-6-3-Banking: Zu drei Prozent leiht der Banker sich Geld, zu sechs Prozent verleiht er es und um drei Uhr nachmittags steht er auf dem Golfplatz. Aber genau dieses Banking war Herrn Ackermann zu langweilig. Er wollte lieber zocken.

Straubhaar:

Aber die Dienstleistungen einer Bank sind doch ohne jede Zweifel sehr nützlich und sinnvoll. Und auch gegen Wetten, die Sie verdammen, Herr Flassbeck, ist nichts einzuwenden. Jede Innovation, die den Menschen nach vorne gebracht hat, war eine Wette auf die Zukunft. Ohne Wetten würden wir noch in Bärenfellen herumlaufen.

Flassbeck:

Dass wir heute nicht mehr in Bärenfellen herumlaufen, hat nichts mit Wetten zu tun. Das ist das Ergebnis produktiver Investitionen. Sie haben dazu geführt, dass wir heute mit den gleichen Mitteln mehr Ergebnis erzielen können. Das ist bei den Wetten, die ich meine, nicht so.

Straubhaar:

Ich kann Ihnen doch heute Geld geben und wetten, dass sie dieses Geld über eine gute Idee mehren.

Flassbeck:

Das ist richtig. Aber wenn Sie auf steigende Rohstoffpreise wetten, dann hat das mit Produktivität nichts mehr zu tun.

Abendblatt:

Wie schlägt sich die Politik in der Krise?

Flassbeck:

Was die Politik gegen die Ursachen der Finanzkrise unternimmt, ist aus meiner Sicht eine einzige Katastrophe. Die Kasinos sind weiter geöffnet. Im ersten Quartal haben die Banken dort bereits wieder gezockt. So verdient zum Beispiel die Deutsche Bank noch immer glänzend an weltweiten Devisengeschäften. Um die Wirtschaftskrise abzufedern, haben sich die meisten Wirtschaftspolitiker dafür entschieden, Keynesianer zu werden - sogar Bundesfinanzminister Steinbrück. Es ist grundsätzlich richtig, dass die Staaten Geld in die Hand nehmen, um die Nachfrage anzukurbeln. Aber in Deutschland geschieht hier noch viel zu wenig.

Straubhaar:

Ich finde nicht, dass zu wenig gemacht wird. Die Summe von insgesamt 80 Milliarden Euro ist ausreichend. Aber die Maßnahmen sind nicht effizient genug. Das Konjunkturprogramm ist ein Strukturerhaltungsprogramm. Die Maßnahmen müssten sofort wirken, zielgerichtet sein und dürfen nur auf Zeit erfolgen. Aus meiner Sicht wären Steuer- und Abgabenentlastungen der richtige Weg. Um eine solche Maßnahme auch sozial zu gestalten, habe ich neben Steuerschecks auch für Konsumschecks, die allen ausgehändigt werden sollten, plädiert. Weltweit gültige Regeln für den Finanzmarkt halte ich dagegen nicht für möglich. Dafür sind die Interessen der Länder zu unterschiedlich.

Flassbeck:

Man sollte wenigstens den Versuch wagen.

Straubhaar:

Einverstanden.

Abendblatt:

Vor gut zehn Jahren ist Oskar Lafontaine als Finanzminister zurückgetreten. Sie haben als sein Staatssekretär kurz darauf ebenfalls ihren Hut genommen. Ginge es Deutschland heute besser, wären Sie beide länger im Amt geblieben?

Flassbeck:

Zunächst einmal bin ich nicht zurückgetreten. Als verbeamteter Staatssekretär kann man nicht zurücktreten. Man muss entlassen werden. Ich bin weiterhin wie schon damals der Meinung, dass wir eine Weltwährungsordnung brauchen. Auf diese Weise könnte man verhindern, dass sich die Wechselkurse - wie jüngst geschehen - aus spekulativen Gründen in die falsche Richtung bewegen. Es hat nämlich nicht nur die amerikanische Fehlspekulation mit Hypotheken gegeben. Wir haben eine Krise, in der sich viele Wellen von Fehlspekulationen brechen - eine davon ist die Spekulation mit Währungen in Osteuropa und Island. Eine neue Weltwährungsordnung muss einerseits die Währungsrelationen zwischen den großen Blöcken regeln, andererseits aber auch kleineren Ländern eine Chance geben, ihre Währung mit hoher Aussicht auf Erfolg an einen der großen Blöcke zu binden.

Abendblatt:

Herr Straubhaar, was haben Sie damals gedacht, als Sie vom Rücktritt Oskar Lafontaines hörten?

Straubhaar:

Ich habe diesen Rücktritt als Kurzschlussreaktion empfunden. Denn Oskar Lafontaine hat sich der Möglichkeit beraubt, Politik weiter zu gestalten.

Abendblatt:

Warum wird Deutschland von der aktuellen Krise derzeit stärker getroffen als andere Länder?

Flassbeck:

Wir haben uns in Deutschland zu sehr von der Exportwirtschaft abhängig gemacht, die nun von der Krise besonders stark getroffen wird. Dagegen hat die Lohnzurückhaltung in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Binnennachfrage nicht angezogen hat. Die Reallöhne sind weit hinter der Produktivität zurückgeblieben.

Abendblatt:

Also waren die Gewerkschaften bei den Lohnverhandlungen Weicheier?

Flassbeck:

So würde ich es nicht ausdrücken. Aber im Prinzip muss man die Gewerkschaften für ihre Zurückhaltung kritisieren.

Straubhaar:

Die Gewerkschaften haben sich nicht falsch verhalten. Beim in den 90er-Jahren geschlossenen Pakt für Beschäftigung hat man Arbeitsplatzsicherheit gegen Lohnzurückhaltung getauscht. Über die zusätzlichen Stellen wurde auch mehr Einkommen geschaffen.

Flassbeck:

Wir müssen in Deutschland endlich wegkommen vom Standortwettbewerb, der andere Länder in die Verschuldung zwingt. Ziel muss eine gesunde Mischung aus Export und Binnenkonjunktur sein. Wir müssen zurückkehren zu einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik. Die Nominallöhne sollten so steigen wie die gesamtwirtschaftliche Produktivitätsrate plus der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank.

Straubhaar:

Das halte ich für naiv. Denn das hört sich doch sehr stark danach an, als würde die Politik bestimmen, wie viel exportiert und wie viel importiert wird. Das klingt mir viel zu staatlich und statisch. Einem Mittelständler ist doch vollkommen egal, ob er seine Maschine in Deutschland oder in einem anderen Land verkauft. Letztlich will der Unternehmer ein Geschäft machen - und da interessiert ihn die Existenz eines Exportüberschusses wenig. Zudem halte ich einen Exportüberschuss nicht für problematisch, weil wir auf diesem Weg Anteile am Vermögen anderer Volkswirtschaften bekommen.

Abendblatt:

Wird die Euro-Zone diese Krise überleben?

Flassbeck:

Teile der Euro-Zone haben an Wettbewerbsfähigkeit verloren, weil Deutschland seine Wettbewerbsposition massiv verbessert hat. Aus meiner Sicht könnte der Druck auf einige Staaten so groß werden, dass die Euro-Zone auseinanderbricht.

Straubhaar:

Es wird sicherlich zu erheblichen Spannungen innerhalb der Euro-Zone kommen. Aber jedes Land, das mit dem Gedanken spielt auszutreten, sollte bedenken, dass so ein Schritt mit extrem hohen Kosten verbunden wäre.

Abendblatt:

Kommt bald die große Inflation?

Straubhaar:

Ich halte eine Inflationsrate von mittelfristig fünf bis zehn Prozent für realistisch.

Flassbeck:

Nicht Inflation, Deflation wird bis mindestens 2011 das Thema sein. Da gehe ich jede Wette ein.

Straubhaar:

Ich halte dagegen. Wetten wir um sechs Flaschen dieses hervorragenden Weißweins, den wir während dieses Gesprächs getrunken haben.

Flassbeck:

Die Wette gilt.