Berlin. Viggo Mortensen hat schon viele harte Kerle gespielt. Sein neuer Film reflektiert den Tod seiner Eltern, an die er jeden Tag denkt.

Mit „Herr der Ringe“ wurde Viggo Mortensen zum Star, für „Tödliche Versprechen“, „Captain Fantastic“ und „Green Book“ erhielt er Oscarnominierungen. Doch bei all seinem Projekten war zu spüren, dass der inzwischen 62-Jährige noch größere künstlerische Ambitionen hat.

Die realisiert er mit seinem Regiedebüt „Falling“ (ab 12. August im Kino) – einer Reflexion über die Vergänglichkeit des Lebens und über Eltern-Kinderbeziehungen, über die er auch im Interview intensiv nachdenkt.

In „Falling” erzählen Sie eine sehr intime Familiengeschichte und geben damit gleichzeitig Ihr Regiedebüt. Wie nervös waren Sie vor diesem Projekt?

Viggo Mortensen: Eine gewisse Beklommenheit spüre ich vor jedem Film, denn ich habe stets meine Zweifel. Als Regisseur gebe ich natürlich noch mehr von meinem Innenleben preis, denn ich will ja nicht auf Nummer Sicher gehen und irgendetwas Oberflächliches abliefern. Wobei „Falling“ jetzt nicht direkt auf meiner eigenen Familiengeschichte beruht. Das Ganze ist nur vom Tod meiner Mutter vor sechs Jahren inspiriert.

Inwiefern?

Sie war schon vorher in die Demenz abgeglitten, und ich habe zu der Zeit begriffen, dass ich sie nicht mehr weiter zu unserer Familiengeschichte befragen konnte. Und beim Begräbnis traf ich Menschen aus ihrem Bekanntenkreis, die mir völlig neue Dinge zu ihr erzählten oder mir eine andere Perspektive auf eine schon bekannte Geschichte vermittelten. Die ganzen Erkenntnisse und Eindrücke fügten sich dann zu einem Plan für diesen Film zusammen, wobei dessen Story weitestgehend fiktional ist. Mehr zum Thema: Schauspieler Viggo Mortensen: „Erste Eindrücke trügen immer“

Diesmal keine Schwertkämpfe: Viggo Mortensen präsentiert mit „Falling“ einen nachdenklichen Film, für den er erstmals sowohl vor als auch hinter der Kamera stand.
Diesmal keine Schwertkämpfe: Viggo Mortensen präsentiert mit „Falling“ einen nachdenklichen Film, für den er erstmals sowohl vor als auch hinter der Kamera stand. © picture alliance | Jens Kalaene

Haben Sie für sich inzwischen völlig verstanden, was es bedeutet, dass Ihre Eltern nicht mehr da sind?

Wenn du stirbst, bist du tot. Aus und basta. Aber es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an meine Eltern denke. Speziell an meine Mutter. Ich kann ihre Präsenz spüren. Ich erinnere mich, wie sie die Welt gesehen hat. Plötzlich kommt eine Erinnerung hoch, es reicht schon, wenn sich der Einfallswinkel des Lichts ändert. Wenn ich Fotos von ihr sehe, fühle ich mich gut dabei. So werde ich von diesen Gedanken begleitet und ich gewöhne mich an die Vorstellung, dass meine Eltern nicht mehr bei mir sind. Und damit stelle ich mich auf die Tatsache ein, dass auch ich nicht ewig leben werde.

Wie kommen Sie damit klar?

Das ist schon recht kompliziert. Wir haben ja die Tendenz, vor dieser Vorstellung zu fliehen. Aber ich halte mich dann an Sigmund Freuds Motto: „Si vis vitam, para mortem. – Wenn du das Leben willst, bereite dich auf den Tod vor.“

Was sich deprimierend anhört.

Ist es aber nicht. Mach dir das einfach bewusst. Lebe das Leben in vollen Zügen. Und das kannst du nur, wenn du dich mit der unausweichlichen Tatsache anfreundest, dass du und andere eines Tages verscheiden werden. Die Pandemie hat uns das wieder schmerzlich vor Augen geführt. Das Leben ist völlig unberechenbar, so sehr wir auch unser Dasein und unser Verhältnis zur Welt kontrollieren möchten. Man muss sich damit abfinden, dass das Leben uns Hindernisse in den Weg legt. Sie zu verleugnen bringt nichts, das sorgt nur für Ärger und Frustration. Ich versuche damit so konstruktiv umzugehen wie möglich, ebenso wie ich mich über die Stolpersteine des Alltags nicht aufrege. Auch interessant: Senta Berger wird 80 – und hat ihre Leichtigkeit verloren

Allerdings sind die Rahmenbedingungen in dieser Zeit nicht gerade einfach, denn die Gesellschaft wirkt momentan sehr polarisiert. Lassen sich diese Gegensätze überwinden?

Ich bin hoffnungsvoll, da ich prinzipiell ein Optimist bin und an den Fortschritt glaube. Natürlich wird es immer so etwas wie Ausgrenzung, Hass oder Rassismus geben. Die sind in den Instinkten des Menschen verankert. Deshalb werden sie nicht komplett verschwinden. Jede Generation muss sich mit diesen Problemen auseinandersetzen. Doch wir fangen nicht bei Null an, sondern haben uns schon weiterentwickelt. Und das wird sich fortsetzen.

Dabei müssen wir aber auch zum Teil die Prägungen ablegen, die wir von der Elterngeneration bekommen haben. „Falling“ konfrontiert beispielsweise einen konservativen Vater mit seinem schwulen Sohn. Wie haben Sie sich mit den Einflüssen Ihrer Eltern auseinandergesetzt?

Indem ich mir viele Fragen gestellt habe: Warum wähle ich einen bestimmten Typ von Menschen als Freunde? Warum habe ich Partnerschaften mit einer bestimmten Art von Frauen? Das hat mit den Vorbildern und Einflüssen unserer Kindheit zu tun. Die Vergangenheit kontrolliert uns, sie macht uns zu den Menschen, die wir sind. Wir können das negieren, aber ihre Wirkung verschwindet trotzdem nicht. Ich liebe es, das zu erforschen, und ich finde, das ist sehr gesund. Lesen Sie hier: Bjarne Mädel: So war sein erstes Mal als Regisseur

Gleichzeitig haben Sie Ihren inzwischen 33-jährigen Sohn geprägt. Wie stark finden Sie sich in ihm wieder?

Er ist seine eigene Person. Trotz aller Fremdeinflüsse sind wir alle eigenständige Wesen. Als Elternteil musst du auch deine Kinder als autonome Individuen akzeptieren. Mein Sohn ist jemand, der mich ständig überrascht. Wenn ich in ihm nur eine Kopie meiner selbst sehen würde, dann würden mir alle einzigartigen Einfälle entgehen, die er mir zu bieten hat. Das ist auch ein Grundthema des Films: Nimm die anderen Menschen so wie sie sind und versuche sie nicht nach deinem Bild zu formen.